Die Tücken des öffentlichen Verkehrs in der Ostregion

23. September 2021

Soll die ökologische und sozial gerechte Mobilitätswende gelingen, so müssen die öffentlichen Verkehrsmittel zum Rückgrat unseres Verkehrsverhaltens werden. Öffis sind nämlich bezüglich vieler Aspekte (Energiebedarf, CO2-Ausstoß, andere Abgase, Lärm, Flächenverbrauch usw.) sehr umweltfreundlich und obendrein recht kostengünstig.

Derzeit werden fast 40 Prozent aller Wege in Österreich im Umweltverbund (Gehen, Radeln, Öffi-Fahren) zurückgelegt und knapp über 60 Prozent mittels Auto. Laut Mobilitätsmasterplan des Klimaministeriums soll sich dieses Verhältnis bis 2040 umkehren (siehe Abbildung).

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Aber nach wie vor bietet Autofahren eine Reihe von strukturellen Vorteilen: Meist steht der Pkw direkt vor der Haustür, und man kann einfach und zu jeder Zeit losfahren. Bei Orientierungsproblemen hilft das Navi. Das Fahrzeug muss auch nicht mit wildfremden Menschen geteilt werden. Im „verlängerten Wohnzimmer“ kann man nach Herzenslust Musik hören, mitsingen oder auch lautstark telefonieren. Häufig ist man dabei rascher am Ziel, auch wenn die Reisezeit nicht allzu produktiv genutzt werden kann. Die verbundenen Nachteile wie hohe Kosten, Unfallgefahren, Umweltprobleme, Staus und Parkplatzmangel werden dabei gerne ausgeblendet.

Öffi-Nutzer*innen müssen sich hingegen schon vor der Reise einer Reihe von Fragen stellen und Entscheidungen treffen: Komme ich mit Bus und Bahn an mein Ziel? Wann und wo muss ich wegfahren? Wo umsteigen? Welchen Fahrschein benötige ich? Eigentlich wollen Fahrgäste nur unkompliziert, verlässlich und preisgünstig von A nach B fahren, ohne dafür ein Diplom in Verkehrsgeografie oder eine juristische Vorbildung zu benötigen. Die Realität sieht freilich anders aus. In Ostösterreich gibt es im öffentlichen Verkehr drei wichtige Akteure, nämlich Wiener Linien, ÖBB und Verkehrsverbund Ostregion (VOR). Diese haben sich selbst eigene und damit unterschiedliche Beförderungsbedingungen gegeben. All diese verschiedenen Vorschriften folgen einer internen Logik, sollten Fahrgästen aber egal sein. Einfache, praktikable Fahrscheine und Vorgaben wären also ein Gebot der Stunde. Wie weit wir davon noch entfernt sind, sollen folgende „Schmankerln“ – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zeigen:

  • Jahreskarte vergessen? Wer als Wiener Jahreskartenbesitzer*in selbige daheim vergisst, hat Glück, wenn die Kontrolle von Beschäftigten der Wiener Linien erfolgt. Diese verfügen nämlich über ein Kontrollgerät, auf dem sie online nachsehen können, ob man tatsächlich über eine Jahreskarte verfügt. Falls ja, ist die Sache damit erledigt. Passiert dasselbe Missgeschick in der Schnellbahn oder einem Regionalbus, muss der Besitz einer Jahreskarte nachträglich nachgewiesen werden. Hier wird eine Bearbeitungsgebühr von 10 Euro fällig. Wer beim Einzahlen „trödelt“, hat 28 Euro zu bezahlen.
  • Geltungsdauer von Fahrscheinen: Dass ein entwerteter Einzelfahrschein in Wien höchstens zwei Stunden gültig ist, leuchtet ein. Leider wendet der VOR bei seinen Verbundfahrscheinen dasselbe Prinzip an. Wer also bei einem ÖBB-Automaten am Vormittag einen Fahrschein von Mistelbach nach Wien kauft und erst am Nachmittag fährt, wird zum/zur Schwarzfahrer*in, denn das Ticket verliert nach zwei Stunden seine Gültigkeit. Wer allerdings für dieselbe Strecke eine verbilligte Fahrkarte mittels ÖBB-Vorteilscard oder für zwei Fahrgäste kauft, bezahlt nach ÖBB-Tarif. Damit ist die Fahrkarte den ganzen Tag gültig.
  • ÖBB-Fahrscheinautomat kaputt? Die oben genannten Beispiele setzen einen funktionierenden Fahrscheinautomaten voraus. Ist der Apparat aber kaputt und man steigt notgedrungen ohne Fahrkarte ein, wird man bei einer Kontrolle automatisch als Schwarzfahrer*in betrachtet. Der/Die Schaffnerin stellt eine Zahlungsaufforderung über eine Mehrgebühr aus. Der Fahrgast muss nachweisen – sei es mittels Handyfoto oder durch eine Nachfrage bei der ÖBB-Zentrale –, dass der Automat tatsächlich defekt war. Nur wenn das gelingt, ist diese Mehrgebühr nicht zu bezahlen. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass sich die ÖBB selbst darum kümmern, dass ihre Geräte funktionieren. In der Realität betreiben die Bundesbahnen aber eine Beweislastumkehr zuungunsten ihrer Fahrgäste.
  • Schwarzfahren: Wer beim vermeintlichen oder tatsächlichen Schwarzfahren erwischt wird, hat 105 Euro zu begleichen – sofern sofort bezahlt wird. Wer sich einen Zahlschein geben lässt, bei dem-/derjenigen erhöht sich die Mehrgebühr bei den Wiener Linien und der Badner Bahn auf 115 Euro, bei den ÖBB gar auf 135 Euro. Sofortzahler*innen haben dafür ein anderes Problem: Auf der Bestätigung scheint häufig ihr Name nicht auf. Deshalb kann die Mehrgebühr – falls zu Unrecht eingefordert – im Nachhinein auch schwer angefochten werden.
  • Fahrschein im ÖBB-Zug kaufen? Sie sind im Zug zwischen Wien und Amstetten, Wiener Neustadt oder Bratislava unterwegs? Als ÖBB-Kund*in müssen Sie wissen, was Nah- und Fernverkehr ist. Denn bei Ersterem braucht man vor dem Einstieg in den Zug ein gültiges Ticket. Im Fernverkehr ist es möglich, einen Fahrschein mit einem Zuschlag von drei Euro auch bei der Zugbegleiter*in im Zug zu kaufen. Die ÖBB treffen diese Unterscheidung aber nicht nach Distanz oder Reisegeschwindigkeit, sondern schlichtweg nach der Zuggattung. Also: Regional- und Schnellbahnen (z. B. Cityjets) zählen zum Nah-, ICE und Railjet zum Fernverkehr.
  • Hürden für das TOP-Jugendticket: Das TOP-Jugendticket ist eine tolle Netzkarte, aber an einige Voraussetzungen gebunden: Es gilt „für Schüler*innen einer freifahrtsberechtigten Schule, Lehrlinge und Absolvent*innen des freiwilligen Sozial- bzw. Umweltschutzjahres sowie Polizeischüler*innen unter 24 Jahren, deren Wohn- oder Ausbildungsort in Wien, Niederösterreich oder im Burgenland liegt und für die Familienbeihilfe bezogen wird“. Andererseits gibt es seit Jahren schon die gesetzliche Ausbildungspflicht bis 18. Es wäre also logisch, wenn alle „Youngsters“ bis 18 Jahre auch eine Freifahrt und den Anspruch auf ein TOP-Jugendticket hätten. Allerdings hat der Gesetzgeber darauf „vergessen“.
  • Mit dem TOP-Jugendticket über die Ostregion hinaus: Mit dem TOP-Jugendticket können junge Menschen ja alle Öffis in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland nutzen. Wer aber mit dem Railjet nach Graz will, sollte einen Zug nehmen, der am Semmering eine Haltestelle hat. Denn so ist nur der Weg durch die Steiermark zu bezahlen. Bleibt der Zug allerdings nicht an der Landesgrenze, sondern nur in Wiener Neustadt stehen, so wird der – höhere – Tarif von Wiener Neustadt bis Graz fällig. Dasselbe Spiel wiederholt sich auf der Fahrt nach Linz, wo der langsame Railjet praktischerweise in St. Valentin hält und somit nur die „Reststrecke“ von dort nach Linz zu bezahlen ist. Keine Regel ohne Ausnahme: Auf der Mariazeller Bahn kann mit dem TOP-Jugendticket bis zur Endstation gefahren werden, obwohl Mariazell eindeutig in der Steiermark liegt.
  • Schaffnerzuschlag? Wer eine Einzelfahrt bei einem Fahrscheinautomaten in der Wiener U-Bahn-Station kauft, bezahlt 2,40 Euro. Befindet sich der Automat in einer Wiener Straßenbahn, werden 2,60 Euro fällig. Die Wiener Linien beweisen damit Traditionsbewusstsein: Hier wird offenbar in den schaffnerlosen Zügen der alte Schaffnerzuschlag eingehoben. In Bussen der Wiener Linien gibt das nicht, dort kann überhaupt kein Fahrschein gekauft werden.
  • Semesterticket, bitte warten: Für Studierende gibt es in Wien das preiswerte Semesterticket, das – im Winterhalbjahr – ab 1. September gilt, nicht aber für Studienanfänger*innen. Für den Erwerb benötigt man nämlich die Uni-Matrikelnummer und die vergeben die Universitäten derzeit oft erst gegen Ende des Monats.
  • Ärger mit der Senior*innenermäßigung: Diese Ermäßigung ist an das Alter gebunden, welches nächstes Jahr auf 65 Jahre angehoben wird. Das bedeutet, dass fast alle Frauen unmittelbar nach Ende ihrer Erwerbstätigkeit zwar über empfindlich weniger Einkommen verfügen, aber trotzdem Vollzahler*innen bleiben. 65-jährige Manager erhalten aber eine Ermäßigung. Die Arbeiterkammer kämpft schon seit Jahren dafür, die Senior*innentarife in Wien an den tatsächlichen Pensionsantritt zu koppeln. In Linz wird das bereits so gehandhabt.
  • Das günstigste Angebot? Entgegen allen Versprechungen, schlägt einem der Fahrscheinautomat nicht immer das günstigste Angebot vor. Es kann auch vorkommen, dass bei Hin- und Rückfahrt der reguläre Preis voneinander abweicht. Auch die Frage, ob man beim Automaten „ab Stadtgrenze“ buchen soll, schafft oft Verunsicherung.
  • Merkwürdige Preisgestaltung bei VOR-Jahresstreckenkarten: Die Tarife dieser Jahreskarten (z. B. Neusiedl/See nach Wien) werden – je nach dem „persönlichen Netz“, das hinterlegt ist – von einem undurchsichtigen Algorithmus berechnet. Fahrgäste haben keine Chance, diese Preisgestaltung zu überprüfen.

All die erwähnten Merkwürdigkeiten spiegeln sich in Fahrgastbeschwerden wider, die in der Arbeiterkammer Wien eintreffen. Insofern ist es besonders ärgerlich, dass sich die Ostregion bislang gegen die Einführung des Klimatickets – also einer bundesweiten Netzkarte für alle Öffis – sträubt. Diese würde für Vielfahrer*innen und Pendler*innen das Reisen nicht nur billiger, sondern auch einfacher machen.

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