Seit gut 15 Jahren wird über eine bundesweite Netzkarte für alle Öffis philosophiert, umgesetzt wurde sie bisher allerdings nicht. Nun hat Klimaministerin Leonore Gewessler vollendete Tatsachen geschaffen und die Einführung des Klimatickets für den 26. Oktober 2021 angekündigt. Für ganz Österreich? – Nein! Die drei Bundesländer sind Wien, Niederösterreich und das Burgenland und deren Verkehrsverbund VOR leistet noch Widerstand. Das schafft unnötige Verunsicherung, denn Ostösterreich wird – das wurde schon angekündigt – früher oder später ohnehin beitreten.
Was kann das Klimaticket?
Eine bundesweite ÖV-Netzkarte, mit der alle Öffis (Straßen- und U-Bahn, Bus, Eisenbahn) genutzt werden können, hat drei große Vorteile:
- Niedriger und eingängiger Preis: Das Klimaticket für ganz Österreich wird für viele Pendler*innen selbst bei relativ kurzen Distanzen zu einer Tarifsenkung führen. Beispiele wären Villach–Klagenfurt, Freistadt–Linz, Bruck/Mur–Graz oder – hoffentlich in Bälde – Bad Vöslau–Wien. Hinzu kommt, dass die Formel „3 Euro pro Tag“ sehr eingängig ist und ähnliche Erfolge wie bei der 365-Euro-Jahreskarte in Wien erwartet werden.
- Niederschwelliger Zugang: Mit einer Jahreskarte in jedes öffentliche Verkehrsmittel einsteigen zu können, ist ein Wert an sich. Man muss sich nicht über geschlossene Personenkassen, kaputte oder komplizierte Fahrkartenautomaten ärgern bzw. darüber rätseln, ob man nun mit Sparschiene, VorteilsCard oder Verbundtarif am billigsten fährt.
- Verführerische Kostenstruktur: Bei Autofahrten ist die Kostenstruktur recht undurchsichtig. Sie setzt sich aus Autokauf (oder Leasing), Versicherung, Vignette, Kfz-Steuer und Reparaturen zusammen. Hinzu kommen regelmäßig Beträge beim Tanken. Nur Letztere sind allgegenwärtig und werden zum Preisvergleich herangezogen. Kauft man sich hingegen eine normale Fahrkarte, fallen die gesamten Reisekosten sofort an. Beim Klimaticket zahlt man einen Fixbetrag und fährt danach – subjektiv gefühlt – gratis. Die Fahrgäste haben also einen besonders hohen Nutzen, wenn sie das Auto stehen lassen und die öffentlichen Verkehrsmittel möglichst intensiv verwenden.
Klimaministerin Gewessler versucht aus der Not – eine Netzkarte für nur sechs Bundesländer – eine Tugend zu machen und bietet das derzeitige Klimaticket verbilligt an:
Preis ab 1.10.2021 | Preis regulär | |
Klimaticket Classic | 949 Euro | 1.095 Euro |
Klimaticket unter 26 und ab 64 Jahren bzw. bei Reisenden mit Behinderung | 699 Euro | 821 Euro |
Erst bei bundesweiter Gültigkeit wird der Preis dann drei Euro pro Tag (= 1.095 Euro jährlich) betragen. Gegen einen einmaligen Aufpreis von 110 Euro wird es überdies möglich sein, bis zu vier Kinder im Alter zwischen 6 und 14 Jahren mitzunehmen. Negativ zu bewerten ist, dass die Senior*innenermäßigung ab 1. Jänner 2022 auf 65 Jahre erhöht wird.
Das Klimaticket und seine Gegner*innen
Kritiker*innen des Klimatickets verweisen darauf, dass die Öffis im Vergleich zum Auto ohnehin relativ preiswert sind. So hat der Autofahrklub ÖAMTC die durchschnittlichen Pkw-Kosten mit 455 Euro pro Monat errechnet. Außerdem gibt es die Befürchtung, dass die Einnahmenverluste zu einem Sparkurs beim ÖV-Angebot führen könnten. Weiters würden jene davon am meisten profitieren, die ohnehin durch eine gute Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln privilegiert sind. Außerdem benötigen auch Öffis Energie und andere Ressourcen, sodass eine „Flat Rate“ kontraproduktiv sei. Diese Argumente sind auch nicht von der Hand zu weisen.
Größter Stolperstein war und ist aber die Finanzierung: Der öffentliche Verkehr wird hierzulande zu einem Drittel von den Fahrgästen bezahlt, während der Rest von der öffentlichen Hand kommt. Diese Geldströme sind sehr kompliziert und verschlungen, sodass das fragile System durch ein völlig neues Produkt wie das Klimaticket gehörig durcheinandergewirbelt wird. Viele Fahrgäste werden von ihren bisherigen Verbund-Jahreskarten zum „3er“-Klimaticket wechseln, dessen zusätzliche Kosten (150 Mio. Euro im Jahr 2022) vom Klimaministerium übernommen werden. Das führt bei den Verkehrsverbünden zu einem Verlust an Einnahmen, Kundendaten und Macht. Das trifft den VOR am meisten, schließlich finden beinahe 60 Prozent des öffentlichen Verkehrs Österreichs auf seinem Gebiet statt. Ob in Ostösterreich das Klimaticket für die Schnell- und Regionalzüge der ÖBB gilt, ist gerade Gegenstand eines unwürdigen Streits am Rücken der Fahrgäste: Der Verkehrsverbund Ostregion (VOR) sagt Nein und verweist auf seine Tarifhoheit. Klimaministerium und ÖBB sind gegenteiliger Meinung.
Hinzu kommt, dass die Verbünde ihre ausgeklügelten und oft komplizierten Tarifsysteme umstellen müssen, wenn sie auch eine preisgünstige regionale, für das ganze Bundesland gültige Netzkarte anbieten wollen. Das verursacht zusätzliche Einnahmenverluste und knabbert überdies an der Daseinsberechtigung. Denn schon bisher fragten sich viele, ob ein kleines Land wie Österreich tatsächlich sieben Verkehrsverbünde benötigt. Diesem Föderalismus ist es geschuldet, dass von dem ursprünglichen 1-2-3-Ticket fast nur die bundesweite 3er-Stufe übrig geblieben ist. „Ein Euro pro Tag und Bundesland“ ist nur in Wien und Vorarlberg verwirklicht. Allerdings zahlen in Wien 60 Prozent der Fahrgäste ihre Jahreskarte in monatlichen Raten, womit das Ticket auf 396 Euro kommt. In den anderen Bundesländern kostet die Netzkarte deutlich mehr bzw. existiert gar nicht. Für die Mehrkosten müssen nämlich die Bundesländer aufkommen, erhalten dafür aber vom Bund einen Zuschuss von 100 Mio. Euro jährlich. Für Niederösterreich und das Burgenland plant der VOR – dem Vernehmen nach – immerhin eine gemeinsame Netzkarte. In der Steiermark soll sie in der Größenordnung von 550 bis 600 Euro kosten. Für Kärnten ist vorerst keine Netzkarte vorgesehen.