Gezerre ums Klimaticket - Das Klimaministerium gibt Gas, während der VOR bremst

01. September 2021

 Seit gut 15 Jahren wird über eine bundesweite Netzkarte für alle Öffis philosophiert, umgesetzt wurde sie bisher allerdings nicht. Nun hat Klimaministerin Leonore Gewessler vollendete Tatsachen geschaffen und die Einführung des Klimatickets für den 26. Oktober 2021 angekündigt. Für ganz Österreich? – Nein! Die drei Bundesländer sind Wien, Niederösterreich und das Burgenland und deren Verkehrsverbund VOR leistet noch Widerstand. Das schafft unnötige Verunsicherung, denn Ostösterreich wird – das wurde schon angekündigt – früher oder später ohnehin beitreten.

Was kann das Klimaticket?

Eine bundesweite ÖV-Netzkarte, mit der alle Öffis (Straßen- und U-Bahn, Bus, Eisenbahn) genutzt werden können, hat drei große Vorteile:

  1. Niedriger und eingängiger Preis: Das Klimaticket für ganz Österreich wird für viele Pendler*innen selbst bei relativ kurzen Distanzen zu einer Tarifsenkung führen. Beispiele wären Villach–Klagenfurt, Freistadt–Linz, Bruck/Mur–Graz oder – hoffentlich in Bälde – Bad Vöslau–Wien. Hinzu kommt, dass die Formel „3 Euro pro Tag“ sehr eingängig ist und ähnliche Erfolge wie bei der 365-Euro-Jahreskarte in Wien erwartet werden.
  2. Niederschwelliger Zugang: Mit einer Jahreskarte in jedes öffentliche Verkehrsmittel einsteigen zu können, ist ein Wert an sich. Man muss sich nicht über geschlossene Personenkassen, kaputte oder komplizierte Fahrkartenautomaten ärgern bzw. darüber rätseln, ob man nun mit Sparschiene, VorteilsCard oder Verbundtarif am billigsten fährt.
  3. Verführerische Kostenstruktur: Bei Autofahrten ist die Kostenstruktur recht undurchsichtig. Sie setzt sich aus Autokauf (oder Leasing), Versicherung, Vignette, Kfz-Steuer und Reparaturen zusammen. Hinzu kommen regelmäßig Beträge beim Tanken. Nur Letztere sind allgegenwärtig und werden zum Preisvergleich herangezogen. Kauft man sich hingegen eine normale Fahrkarte, fallen die gesamten Reisekosten sofort an. Beim Klimaticket zahlt man einen Fixbetrag und fährt danach – subjektiv gefühlt – gratis. Die Fahrgäste haben also einen besonders hohen Nutzen, wenn sie das Auto stehen lassen und die öffentlichen Verkehrsmittel möglichst intensiv verwenden.

Klimaministerin Gewessler versucht aus der Not – eine Netzkarte für nur sechs Bundesländer – eine Tugend zu machen und bietet das derzeitige Klimaticket verbilligt an:

 Preis ab 1.10.2021Preis regulär
Klimaticket Classic949 Euro1.095 Euro
Klimaticket unter 26 und ab 64 Jahren bzw. bei Reisenden mit Behinderung699 Euro821 Euro

Erst bei bundesweiter Gültigkeit wird der Preis dann drei Euro pro Tag (= 1.095 Euro jährlich) betragen. Gegen einen einmaligen Aufpreis von 110 Euro wird es überdies möglich sein, bis zu vier Kinder im Alter zwischen 6 und 14 Jahren mitzunehmen. Negativ zu bewerten ist, dass die Senior*innenermäßigung ab 1. Jänner 2022 auf 65 Jahre erhöht wird.

Das Klimaticket und seine Gegner*innen

Kritiker*innen des Klimatickets verweisen darauf, dass die Öffis im Vergleich zum Auto ohnehin relativ preiswert sind. So hat der Autofahrklub ÖAMTC die durchschnittlichen Pkw-Kosten mit 455 Euro pro Monat errechnet. Außerdem gibt es die Befürchtung, dass die Einnahmenverluste zu einem Sparkurs beim ÖV-Angebot führen könnten. Weiters würden jene davon am meisten profitieren, die ohnehin durch eine gute Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln privilegiert sind. Außerdem benötigen auch Öffis Energie und andere Ressourcen, sodass eine „Flat Rate“ kontraproduktiv sei. Diese Argumente sind auch nicht von der Hand zu weisen.

Größter Stolperstein war und ist aber die Finanzierung: Der öffentliche Verkehr wird hierzulande zu einem Drittel von den Fahrgästen bezahlt, während der Rest von der öffentlichen Hand kommt. Diese Geldströme sind sehr kompliziert und verschlungen, sodass das fragile System durch ein völlig neues Produkt wie das Klimaticket gehörig durcheinandergewirbelt wird. Viele Fahrgäste werden von ihren bisherigen Verbund-Jahreskarten zum „3er“-Klimaticket wechseln, dessen zusätzliche Kosten (150 Mio. Euro im Jahr 2022) vom Klimaministerium übernommen werden. Das führt bei den Verkehrsverbünden zu einem Verlust an Einnahmen, Kundendaten und Macht. Das trifft den VOR am meisten, schließlich finden beinahe 60 Prozent des öffentlichen Verkehrs Österreichs auf seinem Gebiet statt. Ob in Ostösterreich das Klimaticket für die Schnell- und Regionalzüge der ÖBB gilt, ist gerade Gegenstand eines unwürdigen Streits am Rücken der Fahrgäste: Der Verkehrsverbund Ostregion (VOR) sagt Nein und verweist auf seine Tarifhoheit. Klimaministerium und ÖBB sind gegenteiliger Meinung.

Hinzu kommt, dass die Verbünde ihre ausgeklügelten und oft komplizierten Tarifsysteme umstellen müssen, wenn sie auch eine preisgünstige regionale, für das ganze Bundesland gültige Netzkarte anbieten wollen. Das verursacht zusätzliche Einnahmenverluste und knabbert überdies an der Daseinsberechtigung. Denn schon bisher fragten sich viele, ob ein kleines Land wie Österreich tatsächlich sieben Verkehrsverbünde benötigt. Diesem Föderalismus ist es geschuldet, dass von dem ursprünglichen 1-2-3-Ticket fast nur die bundesweite 3er-Stufe übrig geblieben ist. „Ein Euro pro Tag und Bundesland“ ist nur in Wien und Vorarlberg verwirklicht. Allerdings zahlen in Wien 60 Prozent der Fahrgäste ihre Jahreskarte in monatlichen Raten, womit das Ticket auf 396 Euro kommt. In den anderen Bundesländern kostet die Netzkarte deutlich mehr bzw. existiert gar nicht. Für die Mehrkosten müssen nämlich die Bundesländer aufkommen, erhalten dafür aber vom Bund einen Zuschuss von 100 Mio. Euro jährlich. Für Niederösterreich und das Burgenland plant der VOR – dem Vernehmen nach – immerhin eine gemeinsame Netzkarte. In der Steiermark soll sie in der Größenordnung von 550 bis 600 Euro kosten. Für Kärnten ist vorerst keine Netzkarte vorgesehen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Erfolgsfaktoren – was es zusätzlich braucht

Das Klimaticket allein macht noch keine Mobilitätswende. Damit es wirklich zum Gamechanger wird, müssen vier Voraussetzungen erfüllt werden.

  1. Die Ostregion muss möglichst bald beitreten: Ein Klimaticket, das nur in sechs Bundesländern gilt, wird leicht zum Rohrkrepierer. Weiters muss ein einfaches und kostengünstiges Umsteigen von bisherigen Jahreskarten ermöglicht werden.
  2. Mehr Kapazitäten auf stark frequentierten Strecken: Auf manchen Relationen sind die Öffis schon jetzt an ihrer Belastungsgrenze. Wer zur morgendlichen Stoßzeit auf der Südbahn zwischen Baden und Wien, mit der U6 oder etwa im Rheintal unterwegs ist, kann davon ein Lied singen. Hier müssen also die Kapazitäten erweitert werden. Außerdem sollte mehr dafür getan werden, die Verkehrsspitzen abzuflachen. Dazu gehören beispielsweise gestaffelte Beginnzeiten bei Unternehmen und Schulen oder auch die Etablierung von Homeoffice-Tagen.
  3. Bessere Verbindungen im ländlichen Raum: Möglichst viele Menschen sollen das Klimaticket auch tatsächlich nutzen können. Die Einwohner*innen von Wien oder Vorarlberg haben einen flächendeckenden öffentlichen Verkehr in einer Qualität zur Verfügung, von der andere nur träumen können. Rund ein Fünftel der Bevölkerung in Österreich ist von jeglicher Öffi-Grundversorgung abgeschnitten. Ziel muss eine bundesweite Mobilitätsgarantie für alle sein. Alltagswege sollten ohne eigenen Pkw bewältigbar sein. Dafür muss natürlich nicht jede Streusiedlung und jeder Bergbauernhof von einem Autobus angefahren werden. Zur Überbrückung der sogenannten „letzten Meile“ bedarf es eines Mix aus unterschiedlichen Maßnahmen: Tariflich integrierte Mikro-ÖV- und Sharing-Lösungen, aber auch attraktive und sichere Rad- und Gehwege. Zudem sollten Unternehmen in die Pflicht genommen werden, dafür zu sorgen, dass sie von den Beschäftigten und Kund*innen ohne Pkw erreichbar sind.
  4. Neben Pull- benötigen wir auch Push-Maßnahmen: Will man in den Städten den Umweltverbund (Öffis, Radfahren und Gehen) fördern und ausbauen, so muss man den begrenzten Straßenraum umverteilen. Das kann nur auf Kosten des Autoverkehrs gehen. Das ist zwar demokratisch (in Wien gibt es mehr Jahreskarten- als Pkw-Besitzer*innen), trotzdem unpopulär. Über diesen Schatten muss man springen, denn Attraktivität von Auto- und Öffi-Verkehr sind wie der Balken einer Waage und verhalten sich gegensätzlich zu einander. Nach wie vor führen öffentliche Verkehrsmittel abseits der großen Städte ein Nischendasein. So haben 58 Prozent aller österreichischen Haushalte keinerlei Öffi-Ausgaben. Hier fallen also viele Autofahrten an, die durchaus verlagerbar wären. Vorschläge der Arbeiterkammer wären beispielsweise, den Autoverkehr dort einzubremsen, wo der öffentliche Verkehr gut ausgebaut ist, sowie eine schrittweise Senkung und Überwachung der Höchstgeschwindigkeit.

Denn es wäre ein Flop, wenn sich nach der Einführung des Klimatickets am Mobilitätsverhalten der Menschen in Österreich nichts ändern würde. Dann freuen sich nur die Stammkund*innen über eine unverhoffte Tarifsenkung.

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