Neustart der Wirtschaft: gute Arbeit und gerecht verteilter Wohlstand im Fokus

27. Juli 2020

Die Corona-Pandemie ist ein epochales Ereignis. Politische Maßnahmen, die noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen wären, gehören nun weltweit zum Spektrum des Möglichen. In Österreich konnte die Gesundheitskrise fürs Erste weitgehend abgewendet werden, doch die Auswirkungen auf die Beschäftigung sind dramatisch. Ein Neustart der Wirtschaft muss gute Arbeit für alle schaffen und gleichzeitig auf eine gerechte Verteilung des Wohlstands und einen Ausbau der Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge achten.

Eckpfeiler des Wiederaufbaus

Gegenwärtig dreht sich alles um die Frage der wirtschaftlichen Erholung. Überall in der EU wurden in den letzten Monaten Soforthilfeprogramme gestartet. Die schwierige Aufgabe besteht nun darin, die daran anschließenden Wiederaufbauprogramme so zu gestalten, dass sie auch auf sozial gerechte Weise bei der Bewältigung der Klimakrise helfen, statt diese noch zu verstärken. Nur wenn das gelingt, können wir zu Recht von einer nachhaltigen Erholung sprechen. Genau mit diesen Herausforderungen setzt sich die aktuelle Ausgabe der „Wirtschaft & Umwelt“ auseinander.

Zunächst muss rasch ein umfangreiches Beschäftigungs- und Investitionspaket geschnürt werden. Gleichzeitig braucht es gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und Armutsgefährdung. Besonderes Augenmerk ist auch auf die Stabilität des Euroraums zu legen. Das geht nur mit europäischer Solidarität. Umso mehr erfordert aber die Bekämpfung der sozialen Verwerfungen der Krise eine solidarische Finanzierung.

Es wäre grundfalsch, bei diesen Bemühungen bloß das Wirtschaftswachstum als Erfolgsindikator heranzuziehen, denn die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, dass es in erster Linie um Beschäftigung, die Sicherung ausreichender Einkommen und deren gerechte Verteilung geht. Der Lockdown hat in den verschiedensten Bereichen zu einem Rückgang des Konsums und des Ressourcenverbrauchs geführt. Für sich genommen wurde das von vielen nicht als Bedrohung gesehen, und manche Aspekte der Beschränkungen wurden womöglich sogar als Gewinn an Lebensqualität wahrgenommen. Doch der Rückgang des Konsums führt auch zu einem Rückgang bei der Produktion. Die Folge ist der Anstieg der Arbeitslosigkeit, die in Österreich und weltweit für unzählige Menschen existenzgefährdend wurde.

Wer eine Rückkehr zur wirtschaftlichen Stabilität will, muss zuallererst die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Vollbeschäftigung durch eine faire Verteilung von Arbeit und das Schaffen guter Arbeitsbedingungen müssen die wichtigsten Zielsetzungen der Wirtschaftspolitik sein. Das führt die Corona-Krise wieder deutlich vor Augen. Weitere Dimensionen, die im Rahmen des AK-Wohlstandsberichts zur Beurteilung des Fortschritts der wirtschaftlichen Entwicklung Österreichs herangezogen werden, sind die gerechte Verteilung des materiellen Wohlstands, die Sicherung hoher Lebensqualität, ökonomische Stabilität und eine intakte Umwelt.

Weiterentwicklung des österreichischen Modells

Diese Ziele hatte die AK auch vor Augen, als sie im Mai 2020 unter dem Namen „Österreich neu starten“ ein umfassendes Forderungspapier für den Wiederaufbau vorlegte. Damit soll sichergestellt werden, dass die Arbeitslosigkeit rasch sinkt, der Sozialstaat gut ausgestattet ist, um auf aktuelle Problemlagen reagieren zu können, Armut und Armutsgefährdung bekämpft werden und in die Zukunft investiert wird. Die Finanzierung muss durch gerechte Steuerbeiträge und gemeinsame Anstrengungen der EU gewährleistet sein. So lassen sich in der wirtschaftlichen Erholungsphase Gesundheit, sozialer Zusammenhalt und Klimaschutz gleichzeitig fördern.

In der akuten Gesundheitskrise hat sich der österreichische Sozialstaat einmal mehr bewährt. Er garantiert sozialen Zusammenhalt, einen allgemeinen Zugang zu guter Gesundheitsversorgung und selbst im Lockdown die Aufrechterhaltung der Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und anderen öffentlichen Dienstleistungen. Bewährt hat sich auch die Handlungsfähigkeit der österreichischen Sozialpartner, die sich auf ein Modell der Kurzarbeit einigten, mit dem Hunderttausende Arbeitsplätze erhalten werden konnten.

Die Corona-Krise zeigt deutlich auf, wie wichtig eine gut funktionierende Grundversorgung im Allgemeinen und insbesondere eine gute Gesundheitsversorgung ist. In vielen Ländern Europas haben jahrelange Spar- und Privatisierungsmaßnahmen zu einer Verschlechterung und Ausdünnung öffentlicher Dienstleistungen geführt. Gerade in Österreich ist zu sehen, welch unschätzbaren Wert gute Spitäler, eine verlässliche Wasser- und Stromversorgung, aber auch Parks und Grünanlagen in unmittelbarer Nähe des Wohnortes haben. Um auf diese Leistungen und Angebote der öffentlichen Daseinsvorsorge auch in Zukunft bauen zu können, müssen sie gestärkt werden.

Ungleiche Betroffenheit erfordert Solidarität

Die Corona-Krise offenbarte auch Probleme sozialer Ungleichheit wie unter einem Brennglas. Deutlich wahrzunehmen ist das in Staaten mit hoher Ungleichheit und ohne funktionierendes öffentliches Gesundheitssystem, etwa in Brasilien, Peru oder den USA, wo die Eindämmung sowohl der Pandemie als auch ihrer sozialen Folgen wesentlich schlechter funktioniert. Aber auch in Österreich ist zu beobachten, wie ungleich der Lockdown Reiche und Arme trifft: Einerseits ist vor allem in schlecht bezahlten Branchen die Arbeitslosigkeit besonders rasch angestiegen, andererseits hatten Menschen in Haushalten mit niedrigen Einkommen weniger Möglichkeiten, die mehrfachen Belastungen des Lockdowns abzufedern.

Die Bewältigung der Herausforderungen ungleicher Betroffenheit ist aber nicht nur innerhalb von Staaten ein Thema, sondern auch zwischen diesen. In der EU ist die Last der Krise ungleich verteilt. Damit birgt die Krise womöglich sogar Chancen für die europäische Solidarität. Die Kommission reagierte zügig mit der vorübergehenden Außerkraftsetzung der europäischen Schulden- und Defizitregeln. Um den Wiederaufbau in Europa gemeinsam besser zu bewältigen, einigten sich die EU-Staats- und -Regierungschefs nun bei ihrem letzten Gipfel auf eine schuldenfinanzierte Aufstockung des EU-Budgetrahmens für die Jahre 2021 bis 2027 um 750 Mrd. Euro. Die Schlagkraft der europäischen Ebene ist damit deutlich gestärkt.

Die Corona-Krise hat vielen erneut die große Bedeutung eines starken Sozialstaats und einer leistungsfähigen öffentlichen Daseinsvorsorge vor Augen geführt. Das sollte auch bei den Lohnverhandlungen im Herbst nicht vergessen werden. Denn es braucht auch gute Lohnabschlüsse und gute Arbeitsbedingungen, um den sozialen Zusammenhalt und die Wirtschaft wieder zu stärken.

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