„Die Macht der Sprache und die Sprache der Macht“ (Ruth Wodak) zeigt sich vor allem auch dann, wenn in wirtschaftspolitischen Debatten öffentliche und private Interessen zusammenstoßen. Umso mehr lohnt sich ein Streifzug durch die Wort- und Bildpolitik der Rede vom schlanken Staat.
Die Metapher vom schlanken Staat lässt sich zunächst als bildhafte Übersetzung der rhetorischen Losung „Mehr Markt, weniger Staat“ und führender Motive einer neoliberalen Wirtschaftspolitik verstehen: Dazu zählen z.B. das Privilegieren marktlicher Steuerungsmechanismen, Fixierung auf Standortpolitik und „außenwirtschaftliche“ Wettbewerbsfähigkeit sowie die Ablehnung einer aktiven Rolle des Staates im Wirtschaftsprozess.
Die allgemeine Problemdiagnose, die in das Bildnis vom schlanken Staat eingeht, ist zunächst schlicht: Es gebe grundsätzlich ein „Zuviel“ an Staat. Daran schließen Dekorationen wie etwa: Dieser sei „übergewichtig“ geworden, der Wandel des Staates vom „Lenker“ zum „Vollversorger“ lähme Wettbewerb und private Initiative, der „`dicke´ Staat“ liege wie „Mehltau auf der Wirtschaft und den Taschen der Bürger“ – dieser sei träge und es gebe einen „Reformdurchhänger“ wie es beispielsweise in der Begriffswelt des prominenten marktliberalen Think Tanks „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ heißt.
In dieser Begriffswelt hat alles, was nicht durch das Nadelöhr von Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit und unternehmerischem (Selbst)Management passt, auf den Diätplan zu kommen. Darüber hinaus gilt diese Form von Gewichtsabbau als Königsweg zu umfassender Attraktivität des Staates: für Unternehmen, die zwischen unterschiedlich schlanken Staaten abwägen; für BürgerInnen, die aus der „Gesetzesflut“ und vor überbordender Bürokratie gerettet werden; oder etwa für AnlegerInnen, die keine gewichtigen Steuern auf ihre Gewinne zu erwarten haben. Der „Markt-Fitness-Kult“ des schlanken Staates korrespondiert hier gerade auch mit dem Ausrufen „harter“ Zeiten, in denen der „Gürtel enger geschnallt“ und Schluss mit einem „Leben über den Verhältnissen“ gemacht werden müsse.
Gegenüber diesen Wort- und Bildpolitiken sind vor allem diese drei Wege der Kritik anzutreffen:
Wem nützt der „natürliche“ Schein?
Erstens werden durch die Metapher vom schlanken Staat offensichtlich interessensgeleitete Politiken zur Neuausrichtung des Staates mit dem Anschein der „Naturhaftigkeit“ versehen. Naturanalogien laufen hier prinzipiell Gefahr, notwendig politisch-demokratische Auseinandersetzungen zur Entwicklung von Staat, Ökonomie und Gesellschaft auszublenden. So ist beispielsweise in der Metapher vom schlanken Staat angelegt, die einschneidenden Folgen des angestrebten Rückbaus sozialstaatlicher Leistungen für den Großteil der Bevölkerung zu verdecken.
So macht etwa die österreichische Politikwissenschafterin Eva Kreisky in ihren Analysen den machtpolitischen Gehalt des gegenwärtig vorherrschenden „neoliberalen Regime über die Bäuche“ deutlich. Denn die radikalisierten Schlankheitsideale wenden sich nicht nur gegen den Körper des Staates, sondern münden letztlich auch in die Anforderung an die StaatsbürgerInnen, den „Gürtel enger zu schnallen“ und ihr Leben „über den Verhältnissen“ einer Rosskur zu unterziehen. Stichwörter sind hier z.B. die Parallelen zwischen der forcierten Privatisierung sozialer Risiken und der starken Betonung von individuellem Fehlverhalten als Ursache für soziale Bedürftigkeit oder zwischen den Anforderungen permanenter „Abrufbarkeit“ für den Arbeitsmarkt und der permanenten Rastlosigkeit der „Trimm-dich-fit“-Kultur.
Als ein zentrales, ehernes Motiv der Herrschaft über die Körper lässt sich mit diesem Kritikstrang zudem die ordnungspolitische Überhöhung der Askese herausstellen. Denn die – so der deutsche Soziologe Reimer Gronemeyer – „von oben verordnete Askese ist ein altes Instrument von Cliquen, um Wünsche klein zu halten, Disziplin durchzusetzen und Macht zu erhalten“.
Abwälzen sozialer Belastungen
Ein zweiter Kritikstrang betont die Konsequenzen des Sozialstaat-Abbaus der staatlichen SchlankheitsfanatikerInnen. Diese sprechen zwar viel von den Aufgaben, die der Staat zu verabschieden habe, und suggerieren mit der Körperanalogie höhere Leistungsfähigkeit, größere Schnelligkeit und Wendigkeit durch geringeres Gewicht.
Doch im Bild vom „Übergewichts-Abbau“ wird verdeckt, welche sozialen Mehrbelastungen und Umverteilungswirkungen damit entstehen. So ist der vermeintliche „Speck“ nach staatlichem Leistungsabbau auch nicht weg oder verschwindet einfach. Probleme, die z.B. durch fehlende oder gekürzte Leistungen in der Gesundheitsversorgung bestehen, werden schlicht aus der öffentlichen Verantwortung bugsiert und privatisiert. Die tatsächlichen Kosten für die BürgerInnen steigen deshalb parallel zur Verschlankung des Staates. Nur für SpitzeneinkommensverdienerInnen ergeben sich womöglich gegenüber abgabenfinanzierten staatlichen Leistungen tatsächliche Einsparungen – der Rest „zahlt“ im wahrsten Sinne des Wortes „drauf“.
Hier gilt es mit Blick auf den österreichischen Fall zu berücksichtigen: In Summe weisen die Staatsausgaben eine deutliche Umverteilungswirkung zugunsten unterer Einkommensschichten auf – somit werden auch diese bei staatlichen „Schlankheitsprogrammen“ für öffentliche Leistungen besonders getroffen. Doch in Zusammenhang mit der schiefen Metapher vom schlanken Staat wird nicht nur vielfach verschwiegen, wer die Hauptbelastungen der „Weg-mit-dem-Speck“-Politik zu tragen hat. Dazu kommt, dass in gleichnamigen Diskursen zur „Sanierung“ öffentlicher Finanzen zugleich einnahmenseitige, an ökonomischer Leistungsfähigkeit orientierte Maßnahmen tabuisiert werden. Damit erfahren gerade auch die fehlenden Umverteilungswirkungen des österreichischen Steuer- und Abgabesystems eine Fortsetzung.
Was an sozialen Mehrbelastungen in der Mogelpackung schlanker Staat steckt, wird zudem insbesondere auch aus einer geschlechterkritischen Perspektive deutlich. Denn es sind im bestehenden gesellschaftlichen Machtgefüge vor allem Frauen, auf die beispielsweise die „Kosten“ eingesparter Betreuungszeiten in den Spitälern und verlängerter Betreuungszeiten im Privathaushalt abgewälzt werden. So wird auch in diesem Zusammenhang vielfach unsichtbar gemacht, wer durch die Verschiebung von bezahlter „öffentlicher Zeit“ hin zu unbezahlter „privater Zeit“ eine zusätzliche Belastung erfährt. Vor diesem Hintergrund lässt sich zuspitzen: Von einem schlanken Staat profitieren – wie gerade nicht geschlechtsblinde Budgetanalysen zeigen – zuvorderst reiche Männer.
Bemerkenswert ist auch, dass sich gerade vermeintlich „dicke“ Sozialstaaten vergleichsweise „souveräner“ in der jüngsten Krise bewegt haben als sozial minimalisierte „Schlankstaaten“. Indem der Staat in der Krise Einnahmenausfälle verzeichnet (im Abschwung sinken z.B. die Steuereinnahmen angesichts von weniger Beschäftigten), und seine Leistungen zugleich mehr in Anspruch genommen werden (bei steigender Arbeitslosigkeit steigen z.B. die Ausgaben für Arbeitslosengeld), stabilisiert er automatisch die Wirtschaft, weil dadurch Einkommen von den öffentlichen Kassen in Richtung Haushalte geschoben werden. Damit konnte das drohende Abgleiten in eine Depression wie in den 1930er-Jahren verhindert werden.
Schlank kann autoritär sein
Drittens gilt eine Kritik dem Trugschluss, Leerformeln wie „Mehr Markt, weniger Staat“ tatsächlich mit einem Weniger an Regulierungsformen oder an staatlicher Zwangsgewalt gleichzusetzen. Liberalisierungen und Privatisierungen bedeuten keineswegs Bürokratieabbau. Vielmehr ist im Zuge dieser Maßnahmen vielfach ein Wildwuchs an neuen Regulierungsbehörden, privatisierter Rechtssprechung in der Form von Sonder-Schiedsgerichten für private Investoren, sog. „Privat-Öffentlichen-Partnerschaften“ (PPP) u.ä. zu verzeichnen.
Dazu kommen die entdemokratisierenden Effekte, die von diesen neuen Regulierungsarchitekturen beispielsweise im Zuge des Abbaus parlamentarischer Kontrollrechte oder privilegierten Einflusskanäle für transnationale Konzerninteressen ausgehen.
Darüber hinaus werden auf internationaler Ebene marktzentrierte Regelwerke dazu genutzt, z.B. Verpflichtungen zur Liberalisierung von gesellschaftlich sensiblen Sektoren wie Gesundheit, Verkehr oder Wasserversorgung auf Dauer zu stellen (wie etwa im Rahmen von Freihandelsverträgen wie dem EU-USA-Abkommen „TTIP“ oder avisierten internationalen Dienstleistungsabkommen „TiSA“).
So braucht es auch einen geschärften Blick darauf, dass die staatliche Durchsetzung und Absicherung neoliberal-globalisierter Verhältnisse keineswegs auf einem pauschalen Abbau, sondern auf einem selektiv gewichteten Umbau des Staates fußt. „Stark“ bis autoritär kann der (vermeintlich) „schlanke Wettbewerbsstaat“ etwa dann auftreten, wenn es um die Abwehr alternativer Vorstellungen zur Wettbewerbsfixierung geht.
Vom Sozial- zum Wettbewerbs-Staat?
Aushungern des Sozialstaats, Auffetten von wettbewerbsstaatlichen Machtapparaten, demokratiepolitischer Kahlschlag – statt diese Effekte zu benennen, trägt der „schlanke Staat-Sprech“ zur Vertuschung gesellschaftlicher Machtverschiebungen und zur Verschärfung gesellschaftlicher Ungleichheiten bei.
Dieser Artikel basiert auf einem ausführlicheren Beitrag im BEIGEWUM-Buch imagine economy – neoliberale Metaphern im wirtschaftspolitischen Diskurs, der für die Falter-Ökonomiebeilage “Öffentlich/Privat – ein paradoxes Verhältnis” überarbeitetet und aktualisiert wurde. Die Beilage ist Teil der Reihe “Ökonomie – Eine kritische Handreichung”.