Lange Arbeitszeiten, lange Arbeitswege – freiwilliger Verzicht auf Freizeit und Familie?

30. Juli 2018

Im Durchschnitt sind PendlerInnen in Österreich 17 Kilometer und 27 Minuten je Richtung unterwegs. Von der kostbaren Freizeit bleibt an einem normalen Arbeitstag also etwa eine Stunde auf der Strecke. Befragungsergebnisse zeigen, dass Arbeitswege nur etwa die Hälfte der Wege von Beschäftigten ausmachen. Für viele sind schon jetzt lange Arbeitstage mit langen Arbeitswegen verbunden. Zeit kann dann offenbar nur auf dem Rücken der Familie eingespart werden, indem hauptsächlich Einkaufs- sowie Bring- und Holwege mit Kindern vermieden werden.

In der Kommunikation zum 12-Stunden-Tag wurde von der Regierung immer wieder betont, dass die neuen Arbeitszeitregelungen zu mehr Flexibilität im Sinne der ArbeitnehmerInnen führen würden. Zusätzlich zu der Tatsache, dass einige Auslegungen unklar sind, steht immer wieder auch eine Ausweitung der Zumutbarkeiten für die Dauer der Arbeitswege im Raum. Unter anderem wird damit argumentiert, dass die Digitalisierung ohnehin Aktivitäten wie Besuche von FreundInnen hinfällig mache. In einer Spezialauswertung der österreichweiten Mobilitätsbefragung „Österreich unterwegs“, bei der auch das wöchentliche Arbeitszeitausmaß erhoben wurde, zeigt sich ein genaueres Bild der Aspekte Arbeitszeit, Pendeln und Freizeitwege.

Arbeitswege: lange Fahrtzeiten für Hunderttausende

Auf der einen Seite gibt es viele PendlerInnen, deren Arbeitswege eher kurz dauern. Rund 54 Prozent der Arbeitswege von PendlerInnen in Österreich dauern hin und retour maximal 40 Minuten pro Tag. Auf der anderen Seite zeigt sich aber auch, dass mehr als ein Viertel der Arbeitswege von PendlerInnen mindestens eine Stunde am Tag dauern, 15 Prozent sogar mindestens eineinhalb Stunden.

Betrachtet man den Zeitaufwand für den Arbeitsweg nach geleisteten Arbeitsstunden, so zeigt sich, dass ein Viertel der Arbeitswege der Personen mit einer wöchentlichen Arbeitszeit zwischen 30 bis 40 Stunden mehr als 30 Minuten je Richtung dauern. Dies bedeutet, der Weg von zu Hause zur Arbeit und wieder retour nimmt für diese Personengruppe pro Tag mindestens eine Stunde in Anspruch. Ähnlich verhält es sich mit den Arbeitswegen von Erwerbstätigen, die mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten: 28 Prozent dieser Arbeitswege dauern länger als 30 Minuten pro Richtung, d. h. zusätzlich zu acht Stunden Arbeit kommt noch eine Stunde Wegzeit täglich dazu. Für 14 Prozent der Berufstätigen mit über 40 Stunden Wochenarbeitszeit dauert der Arbeitsweg mindestens eineinhalb Stunden pro Tag.

Mehr als 40 Stunden Arbeit pro Woche und dann noch täglich 40 Kilometer im Auto oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, das ist Realität für über 220.000 PendlerInnen in Österreich. Fast 60.000 von ihnen legen täglich sogar 100 Kilometer oder mehr zurück. Derart lange Arbeitswege bei einem hohen wöchentlichen Arbeitsstundenausmaß werfen Fragen zur Sicherheit, Gesundheit und einer ausgewogenen Work-Life-Balance auf. Völlig unbeantwortet ist auch die Frage, wie ArbeitnehmerInnen, die derzeit die Öffis nutzen, zur Arbeit und wieder nach Hause kommen sollen, wenn spät in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden kein Bus oder kein Zug fährt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Fast die Hälfte der Arbeitswege von Personen, die bis zu 30 Stunden in der Woche arbeiten, sind nicht länger als fünf Kilometer pro Richtung. Diese Wege können durchaus aktiv mobil, d. h. mit dem Fahrrad, Scootern oder Ähnlichem, zurückgelegt werden. Diese Fortbewegungsformen bieten einige Vorteile: Die Kosten für einen Pkw bzw. Zweit-Pkw entfallen, in der Arbeitswoche kann man sich körperlich betätigen (dies ist somit förderlich für die Gesundheit) und nicht zuletzt sind dies umweltfreundliche Alternativen zum motorisierten Individualverkehr.

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Länger arbeiten heißt: weniger Zeit für private und familiäre Wege

Betont werden muss, dass Arbeitswege nur einen Teil der täglichen Wege ausmachen. In Summe dauern Wege von berufstätigen Männern in Österreich rund 84 und von Frauen rund 75 Minuten pro Tag. Das bedeutet, zusätzlich zur Arbeitszeit müssen noch knapp 1,5 Stunden an Wegzeiten berücksichtigt werden, um auch andere Lebensbereiche abdecken und familiäre Aktivitäten abwickeln zu können.

GesamtFrauenMänner
mittlere Tagesweglänge in Kilometern474053
mittlere Tageswegdauer Minuten807584
Werte für erwerbstätige Personen an einem Werktag, N=23.357 Wege

Für das PendlerInnen-Bundesland Niederösterreich zeigt sich, dass Arbeitswege und dienstliche Wege nur etwa die Hälfte aller Wege an einem Werktag ausmachen. Weitere wichtige Wege sind das Bringen und Holen von anderen Personen und sonstige Freizeitwege sowie private Erledigungen und die Fahrt zum Einkauf.

Bei der Betrachtung nach Arbeitsstunden zeigt sich, dass die Anteilswerte für die dominanten Wegzwecke „zur Arbeit“ und „dienstlich/geschäftlich“ teilweise beachtlich variieren. Bei Personen (überwiegend Frauen), die unter 30 Stunden arbeiten, machen diese Wege 36 Prozent aller Wege aus, bei Personen, die über 40 Stunden wöchentlich arbeiten, sind es 57 Prozent.

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Bei Teilzeitbeschäftigten machen Einkaufswege sowie Bring- und Holwege ein Drittel aller Wege an einem Werktag aus, bei ArbeitnehmerInnen mit über 40 Stunden pro Woche nur 17 Prozent. Das bedeutet, dass Einkaufswege sowie Bring- und Holwege doppelt so oft von Teilzeitbeschäftigten, zumeist Frauen, übernommen werden müssen als von Vollzeiterwerbstätigen.

Beschäftigte mit Betreuungsaufgaben, Menschen ohne Pkw und Familien bleiben auf der Strecke

Schon frühere Studien haben gezeigt, dass es Gruppen von Menschen gibt, die nur eher kürzere Strecken pendeln können. Dazu zählen insbesondere Menschen mit Betreuungsaufgaben oder aber auch Personen, die über keinen eigenen Pkw verfügen. Betroffen sind zumeist Frauen und Arbeitslose, sowie Personen mit geringem Einkommen. Das bedeutet, dass diese Gruppen schon jetzt stärker auf den regionalen Arbeitsmarkt angewiesen sind und damit Schwierigkeiten haben, ihre Qualifikationen umzusetzen. Auch die Ergebnisse der österreichweiten Mobilitätserhebung zeigen, dass bei einer unregelmäßigen und schwer planbaren Ausweitung der Arbeitszeit auf 12 Stunden pro Tag Probleme auftreten werden und Tätigkeiten wie Einkaufen, Bringen und Holen von Kindern nur schwer mit der Lebenssituation in Einklang zu bringen sind. Weitere Herausforderungen ergeben sich durch die externen Kinderbetreuungssituationen im ländlichen Raum. Aufgrund des teilweise mangelnden Angebots oder der kurzen Öffnungszeiten kann die Kinderbetreuung für berufstätige Eltern schon jetzt nicht immer gewährleistet werden – bei einer Ausweitung der Arbeitszeit noch viel weniger. Doch die Kinderbetreuung bestimmt über einen erfolgreichen Wiedereinstieg ins Erwerbsleben nach einer Elternkarenz. Auf der Strecke bleiben also Aktivitäten des täglichen Lebens, Zeit für die Familie und überdies all jene, die bei diesem Zwang zu Mehrarbeit und langen Arbeitswegen nicht mitmachen können.