Kurz vor Arbeitsende muss noch schnell eine Arbeit erledigt werden. Das ist besonders für Eltern eine Stresssituation. Denn Sie wissen, dass um 17 Uhr der Kindergarten schließt. Und wieder ist das eigene Kind das letzte, das abgeholt wird. Lediglich zehn Prozent der Kindergärten haben bis 18 Uhr oder länger offen. Der 12-Stunden-Tag wird zur Zerreißprobe für berufstätige Eltern.
Der Initiativantrag, mit dem eine Arbeitszeit von täglich bis zu 12 Stunden und wöchentlich bis zu 60 Wochenstunden möglich werden soll, wirkt angesichts der alltäglichen akrobatischen Leistungen, die nötig sind, um Arbeitswelt und Privatleben in Einklang zu bringen, wie Öl ins Feuer zu gießen. Vollmundig wird das Regierungsvorhaben zwar auch mit einem „Bekenntnis zu einer flexiblen Arbeitsgestaltung, die es ermöglichen soll, das Arbeitszeitvolumen besser an die Auftragslage anpassen zu können und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit zu gewährleisten“ begründet. Nur ist im Gesetzesentwurf lediglich die Möglichkeit für ArbeitgeberInnen deutlich höherer Tagesarbeitszeiten anzuordnen enthalten, während der Gestaltungsspielraum für ArbeitnehmerInnen komplett fehlt. Bei vielen Eltern löst der Vorschlag wohl eher Stress aus.
Während die Kinder heranwachsen wird die Vereinbarkeit auch nach dem Kindergarten nicht leichter. Der Wechsel vom Kindergarten in die Schule ist eine Herausforderung. Denn lediglich für 36% der Kinder im Volksschulalter gibt es eine schulische Tagesbetreuung bzw. eine außerschulische Betreuungseinrichtung.
700.000 Kinder brauchen ihre Eltern beim Lernen
Wie der kürzlich präsentierte Nachhilfebarometer verdeutlicht, ist der Arbeitstag von Eltern mit dem Verlassen des Arbeitsplatzes noch lange nicht zu Ende. 700.000 Kinder brauchen ihre Eltern beim Lernen. Dabei geht es um Kontrolle der Hausübungen, Lernen vor Prüfungen und Schularbeiten. Vor allem bei Volksschulkindern ist das tägliche Lernen notwendig.
Im Rahmen einer AK-Befragung zum 12-Stunden-Tag hat die überwiegende Mehrheit der Eltern, nämlich 74 %, die Kinder unter 15 Jahren im gleichen Haushalt haben, gemeint, dass es dadurch schwieriger wird, Hausaufgaben mit den Kindern zu machen oder mit ihnen zu lernen. Nach Geschlecht finden es Frauen zu 80 % eher oder sehr schwierig, Männern zu 69 %.
Damit Beruf und Familie gut bewältigt werden kann, also ohne permanenten Stress, braucht es institutionelle Angebote nämlich ganztägige Kinderkrippen, Kindergärten, Schulen bzw Angebote der Nachmittagsbetreuung. Allerdings ist bis dato noch völlig offen, wie viel Geld der Bund für den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung bereitstellt. Beim Ausbau der Ganztagsschulen hat sich die Regierung dagegen bereits festgelegt: Jedoch nicht Richtung Beschleunigung, sondern im Gegenteil, der bereits vorgesehene Ausbauplan wird verlangsamt! Denn die 750 Mio. Euro für den Ausbau ganztägiger Schulen, die ursprünglich bis 2025 vorgesehenen waren, werden nun bis 2032 gestreckt.
12-Stunden-Tag: Auch der Haushalt erledigt sich nicht von allein
Abgesehen von einer gut ausgebauten Kinderbetreuung, brauchen Familien Zeit abseits der Erwerbsarbeit: Es geht auch um Hausarbeit, die erledigt werden muss. Wann soll die Wäsche gewaschen werden, wann eingekauft, gekocht und aufgeräumt werden? Wer besucht die Elternabende in Schulen und Kindergärten und Horten, die Schulveranstaltungen, ganz zu schweigen von freiwilliger Unterstützung bei Ausflügen der Kinder und diversen Sport- und Freizeitaktivitäten, die sowieso für viele erwerbstätige Eltern bereits jetzt nicht mehr machbar sind? Und: Wo bleibt die Zeit für die Kinder, zum Reden und Austauschen im eng gesetzten Zeitkorsett, nachdem die wichtigsten Versorgungsleistungen erledigt sind, alle Elternbriefe und Überweisungen erledigt, die wichtigsten Arzttermine ausgemacht und die Kalender der Familienmitglieder wieder abgeglichen wurden?
Statt bei Familien den zeitlichen und organisatorischen Druck rauszunehmen und bei Kinderbetreuung und Ganztagsschulen aufs Tempo zu steigen, müssten lt. diesem Initiativantrag erwerbstätige Eltern noch zusätzlich mit der völlig familienfeindlichen 12-Stunden-Tages-Höchst-Norm zu Rande kommen. Denn ausufernde Tagesarbeitszeiten und ihre fehlende Planbarkeit erhöhen – im besten Fall – „lediglich“ den Koordinierungsstress für erwerbstätige Eltern deutlich und führen im schlimmsten Fall zu negativen gesundheitlichen Folgen und/oder (weiterer) Arbeitszeitreduktion eines Elternteils – in der Regel der Frau. Zusätzlich soll auch noch die Familienzeit durch die Aufweichung der Sonn- und Feiertagsruhe weiter eingeschränkt werden. Zukünftig soll allgemein bei vorübergehendem besonderem Arbeitsbedarf zugelassen werden, an bis zu vier Wochenenden oder Feiertagen im Jahr zu arbeiten. Bisher ist Sonn- und Feiertagsarbeit nur für bestimmte definierte Fälle bzw. nur für bestimmte Branchen, wie bspw. dem Tourismus, vorgesehen.
Insofern ist es durchaus nicht übertrieben, wenn der Tiroler AK-Präsident Zangerl vom “Beginn der mutwilligen Zerstörung unserer Gesellschaft, vor allem unseres Familien-, Vereins- und Soziallebens” spricht.
Argumentiert wird, dass Eltern vom 12-Stunden-Tag durch die Möglichkeit längerer Freizeitblöcke (Stichwort 4-Tage-Woche) profitieren. Eine kurze Arbeitswoche oder auch nur ein längerer Zeitraum von Zeitausgleichskonsum sind aber im Entwurf nicht enthalten. Ebenso fehlt ein Wahlrecht für ArbeitnehmerInnen, dass Mehr- und Überstundenarbeit statt in Geld auch als Zeitguthaben abgegolten werden kann.
Jede zusätzliche Überstunde bringt mehr Ungleichverteilung
Die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden und auf bis zu 60 Stunden pro Woche schafft Anreize zu einer noch stärkeren traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Denn wenn es schwierig wird, Beruf und Familie partnerschaftlich zu teilen, so wird die Überstundenleistung bei voller Erwerbstätigkeit bei Vätern steigen, während Mütter sich verstärkt auf die Familienaufgaben und aufs Zuverdienen konzentrieren. Das zeigt auch eine aktuelle Studie von FORBA zu den Arbeitszeiten von Paaren. Sie kommt zum Schluss, dass höhere Arbeitszeiten von Männern die Möglichkeiten von Frauen einschränken, in höherem Ausmaß erwerbstätig zu sein. So erhöht jede zusätzliche Wochenarbeitsstunde des Mannes die Chance auf Ungleichverteilung in der Partnerschaft um 13 %.
Teilzeitbeschäftigte werden vom 12-Stunden-Tag nicht verschont
Als Antwort auf die schwierigen Rahmenbedingungen der Vereinbarkeit mit Kinderbetreuung arbeiten viele Frauen in Teilzeit. Auch für sie gilt das geplante Arbeitszeitregime mit täglich bis zu 12 Stunden und wöchentlich bis zu 60 Stunden. Die vorgesehenen Änderungen bewirken weniger Planbarkeit als bisher bei Mehr- und Überstundenarbeit und Zuschläge könnten möglicherweise noch weniger als bisher erreicht werden.
Mehr Lebenszeit statt Hochschrauben der Arbeitszeit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass diese beabsichtigten Gesetzesänderungen mit der völlig einseitigen Ausweitungsmöglichkeit der Arbeitszeit seitens der ArbeitgeberInnen sehr nachteilige Auswirkungen auf Familien haben würde. Es reicht hier aber auch nicht – wie jetzt von einigen Regierungsvertretern eingeräumt wird – nur die Freiwilligkeit der Überstundenleistung im Gesetz zu verankern. Das Hochschrauben der Arbeitszeitnorm an sich bleibt problematisch. Denn die betriebliche Praxis zeigt, dass aus Rücksicht auf die KollegInnen, aus Angst, beruflich nicht Schritt halten zu können oder sogar den Arbeitsplatz zu verlieren die Menschen schon jetzt „freiwillig“ viel in Kauf. Vielmehr braucht es eine Arbeitszeitverkürzung, damit sowohl Frauen und Männer sich gleichberechtigt um ihre Kinder kümmern können und gleiche Chancen im Job haben und damit ein Einkommen von dem sie leben können. Arbeitszeitverkürzung wäre somit auch ein wichtiger Beitrag zur Verringerung der Einkommensschere und der Bekämpfung von Altersarmut von Frauen.