Körperschaftsteuer: Was kostet der Steuerwettbewerb?

07. November 2018

Der Steuerwettbewerb hat viele Nachteile. Oft wird aber argumentiert, dass er nichts kostet. Das stabile Körperschaftsteueraufkommen ist aber nur scheinbar ein Beleg dafür. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass der Steuerwettbewerb den Industriestaaten zig Milliarden kostet – auch Österreich.

Die Probleme mit dem Steuerwettbewerb

Unter Steuerwettbewerb versteht man (vereinfacht gesprochen) den Wettbewerb der Regierungen um die attraktivsten steuerlichen Rahmenbedingungen für multinationale Unternehmen. Multinationale Unternehmen verschieben ihr Kapital (Fabriken, Gewinne usw.) steueroptimal in Niedrigsteuerländer. Um dieses Kapital anzulocken und damit die eigenen Steuereinnahmen zu erhöhen, beteiligen sich viele Regierungen an einem Wettrennen um die niedrigsten Steuersätze bzw. die größten Schlupflöcher.

In der wissenschaftlichen Literatur gibt es viel Kritik am Steuerwettbewerb. So konnte der Internationale Währungsfonds zeigen, dass der Steuerwettbewerb die Umverteilungswirkung der Einkommensteuer schwächt, weil mit den Körperschaftsteuersätzen auch die Einkommensteuer(spitzen)sätze zurückgehen. Problematisch ist auch, dass der Steuerwettbewerb zu einer Verschiebung der Steuerlast auf immobile Arbeitseinkommen und Konsum führt. Gerade die relative Mehrbelastung von Arbeit (gegenüber Kapital) hat, abgesehen von Gerechtigkeitsüberlegungen, bekanntermaßen negative wirtschaftliche Konsequenzen. Kritisiert wird auch, dass der Steuerwettbewerb die steuerpolitische Souveränität demokratisch gewählter Parlamente einschränkt. Die daraus resultierenden Steuervorteile für multinationale Großunternehmen führen nicht nur zu Wettbewerbsverzerrungen zulasten der Klein- und Mittelbetriebe, sondern laut Europäischer Kommission auch zu einer Verschlechterung der Steuermoral. Nämlich dann, wenn der Eindruck entsteht, dass multinationale Unternehmen nicht den angemessenen Beitrag zum Steueraufkommen leisten.

Ist der Steuerwettbewerb „gratis“?

Die BefürworterInnen des Steuerwettbewerbs lassen sich von dieser Kritik freilich nicht irritieren. In jeder Diskussion bringen sie das immer gleiche Mantra: Der Steuerwettbewerb sei kein Problem, weil er nämlich nichts kosten würde. Man müsse nur kräftig die Gewinnsteuern senken, dann würden die Unternehmen mehr investieren und zusätzliche Steuereinnahmen produzieren. Letztlich finanziere sich die Steuersenkung von selbst. Als Beleg der These dient dann die Beobachtung, dass trotz sinkender Gewinnsteuersätze das Gewinnsteueraufkommen in den Industriestaaten (relativ zum BIP) konstant geblieben ist. Ein statistisches Faktum, ja, aber kein Beleg dafür, dass der Steuerwettbewerb gratis ist.

Die Lücken in der Argumentation der BefürworterInnen zeigen sich schon aus rechtlicher Sicht. Kapitalgesellschaften können ihre Investitionen als Betriebsausgabe vom steuerpflichtigen Gewinn in Abzug bringen. Ob eine Investition den steuerpflichtigen Gewinn erhöht oder senkt, bestimmt letztlich das Verhältnis von laufenden Kosten (Abschreibung, Zinsen etc) und Kapitalrendite. Gerade in den ersten Jahren einer Investition ist es nicht ungewöhnlich, dass die Kosten den zusätzlichen Gewinn aus der Investition (Kapitalrendite) übersteigen. Die Gegenfinanzierung ist damit nicht null, sondern negativ.

Keine Anzeichen für mehr Investitionen

Dazu kommt, dass die eindimensionale Erklärung der BefürworterInnen auch aus ökonomischer Sicht nicht überzeugt. Tatsächlich gibt es im langjährigen Vergleich trotz sinkender Gewinnsteuersätze keine Anzeichen für eine gesteigerte Investitionstätigkeit der Kapitalgesellschaften. Im Gegenteil, in vielen Industrieländern sind die Investitionsquoten in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen. Keine Spur davon, dass eine gesteigerte Investitionstätigkeit die gesunkenen Steuersätze kompensieren würde.

Die Antwort auf das vermeintliche Paradoxon (sinkende Steuersätze, stabiles Steueraufkommen) liefert die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer, der steuerpflichtige Gewinn. Die Grafik unten zeigt die Gewinnquote der Kapitalgesellschaften für die G7-Staaten (USA, Kanada, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien) als bestmögliche Näherung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung an den steuerrechtlichen Gewinn. Seit 1995 ist diese Gewinnquote von rund zwölf Prozent des BIP auf aktuell knapp 15 Prozent gestiegen (mit einem konjunkturellen Höhepunkt im Vorfeld der Finanzkrise). Wenn die Gewinne stärker steigen als das BIP, ist es auch nicht verwunderlich, dass trotz sinkender Gewinnsteuersätze das relative Aufkommen konstant bleibt. Folgt man der wissenschaftlichen Literatur, sind es vor allem drei Trends, die das Körperschaftsteueraufkommen in den letzten Jahren trotz sinkender Steuersätze stabilisiert haben: Verschiebungen von der Einkommensteuer in die Körperschaftsteuer, Gegenfinanzierungsmaßnahmen durch eine breitere Bemessungsgrundlage sowie transnationale Gewinnverschiebungen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Verschiebungen von der Einkommensteuer in die Körperschaftsteuer

Nicht alle Unternehmen zahlen Körperschaftsteuer. Die Mehrzahl der Unternehmen in Österreich zahlt Einkommensteuer (insbesondere EinzelunternehmerInnen, aber auch Personengesellschaften). Infolge der sinkenden Körperschaftsteuersätze wurde die Kapitalgesellschaft als Rechtsform attraktiver. Durch Um- und Neugründungen verschob sich ein nicht unwesentlicher Teil der Gewinnsteuereinnahmen von der Einkommensteuer in die Körperschaftsteuer. Diese Entwicklung kann man anhand der Steuerstatistiken beobachten. Noch Ende der 1990er-Jahre lag das Körperschaftsteueraufkommen Österreichs bei nur zwei Dritteln der Einnahmen aus der Einkommensteuer. Heute liegt das Verhältnis bei 1,8 zu 1 für die Körperschaftsteuer und hat sich damit beinahe umgedreht. Da der simple Vergleich der Steuereinnahmen durch unterschiedliche Gewinndynamiken verzerrt sein kann, arbeiten wissenschaftliche Studien mit Strukturdaten nach Rechtsform. Aktuellen Schätzungen zufolge sind bis zu 21 Prozent des gesamten Körperschaftsteueraufkommens in der EU auf Verschiebungen aus der Einkommensteuer zurückzuführen. Auch für die USA ist der Zusammenhang gut dokumentiert. Der ausschließliche Fokus auf die Körperschaftsteuer ist demnach verfehlt: Während die Einnahmen hier relativ stabil bleiben, finden die Steuerausfälle bei der Einkommensteuer statt.

Gegenfinanzierung durch Verbreiterung der Bemessungsgrundlage?

Gelegentlich werden Senkungen der Körperschaftsteuer durch eine Ausweitung der Bemessungs-grundlage (teilweise) gegenfinanziert. Diese Praxis wird in der wissenschaftlichen Literatur als „Tax Cut Cum Base Broadening“ bezeichnet. In der Praxis ist der Effekt eher überschaubar. Schätzungen für den OECD-Raum kommen zum Ergebnis, dass die Verbreiterungen der Bemessungsgrundlage in den letzten Jahrzehnten kaum Einfluss auf die effektive Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften hatten. Diese Einschätzung bestätigen auch die Erfahrungen aus Österreich. Obwohl in den letzten Jahren einige Verschärfungen im Körperschaftsteuerrecht gesetzt wurden (Einschränkung Gruppenbesteuerung, Abzugsverbot für Zins- und Lizenzzahlungen in Niedrigsteuerländer usw.) hat sich der effektive Steuersatz gemäß EU-Kommission nur geringfügig von 23,0 (2005) auf 23,1 Prozent (2017) erhöht.

Transnationale Gewinnverschiebungen

Für einige Industriestaaten sind auch Gewinnverschiebungen ein stabilisierender Faktor. Multinationale Unternehmen nutzen Verrechnungspreise, Lizenzkonstruktionen und Ähnliches, um ihre Gewinne steueroptimal in Niedrigsteuerländer zu verschieben. Eine aktuelle Untersuchung kommt zum Ergebnis, dass infolge einer Senkung des Körperschaftsteuersatzes um einen Prozentpunkt, die steuerpflichtigen Gewinne um 1,5 Prozent ansteigen. D. h. die budgetären Kosten der Steuersenkung werden durch die Mehreinnahmen aus den Gewinnverschiebungen abgefedert. Das Modell funktioniert aber nicht für alle Industriestaaten. Letztlich ist der Wettbewerb um die mobilen Gewinne ein Verlustgeschäft für die Regierungen. Zu den Verlierern zählt auch Österreich, wo die budgetären Kosten auf rund 900 Millionen Euro jährlich geschätzt werden. Anstatt aber selbst zur Steueroase zu werden, sollte Österreich aktiv an den internationalen Initiativen zur Bekämpfung von Gewinnverschiebung und Steuerplanung mitwirken. Das betrifft insbesondere die Bemühungen zur EU-weiten Harmonisierung der Körperschaftsteuersysteme samt der Notwendigkeit eines Mindeststeuersatzes.

Eine Senkung der Körperschaftsteuer ist mit erheblichen Kosten verbunden

Die obigen Erkenntnisse erlauben einige Ableitungen für die aktuelle Diskussion über eine Senkung der österreichischen Körperschaftsteuer.

Bei einem erwarteten Körperschaftsteueraufkommen von knapp zehn Milliarden Euro im Jahr 2020, kostet eine Senkung des Steuersatzes von 25 auf 20 Prozent rund zwei Milliarden Euro. Es ist zu vermuten, dass ein Teil der Kosten in die Einkommensteuer verschoben werden kann, was für die SteuerzahlerInnen freilich keinen Unterschied macht. Nachdem keine Bestrebungen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bekannt sind, ist über diesen Kanal keine Gegenfinanzierung zu erwarten. Im Gegenteil, die angekündigten Erleichterungen bei z. B. Abschreibungen lassen zusätzliche Steuerausfälle befürchten.

Geld für Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser oder für Industrie, Banken und Versicherungen?

Dass Österreich die internationalen Bestrebungen zur Bekämpfung von Gewinnverschiebungen unterstützt, sollte selbstverständlich sein. Doch selbst bei großen Fortschritten ist angesichts der verfügbaren Schätzungen keine umfassende Gegenfinanzierung zu erwarten. Somit bleiben der Regierung also nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie hofft auf ein Wunder oder sie überlegt sich, ob sie die zwei Milliarden Euro Steuergeld nicht besser in Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser investiert als in Industrie, Banken und Versicherungen.