Klimapolitik ist keine Frage der Technik

11. Oktober 2019

Kaum eine Ansicht ist so falsch wie die, dass Klimaschutz eine Aufgabe für TechnikerInnen sei. Die technischen Lösungen sind bekannt. Dennoch geht beim Klimaschutz nichts weiter. Warum ist das so? Warum gibt es in Österreich keine nennenswerten Fortschritte beim Abschied von Kohle, Erdöl und Erdgas?

Soziale Fragen ins Zentrum stellen

Die kurze Antwort lautet: Die wesentlichen Herausforderungen für eine erfolgreiche Klimapolitik sind gesellschaftlicher, sozialer Art. Denn Klimaschutz bedeutet eine grundlegende Veränderung des Wirtschaftens. Bisher wurden die sozialen Fragen, die dadurch aufgeworfen werden, viel zu wenig beachtet. Sie müssen aber ins Zentrum gestellt werden, wenn Klimaschutz gelingen soll.

Das Ziel der Klimapolitik steht fest: Im Abkommen von Paris (2015) einigten sich alle Staaten darauf, dass die Klimaerwärmung auf zwei Grad beschränkt werden müsse. Wissenschaftlich gibt es hier keine offenen Fragen: Der Weltklimarat (IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change) hat vorgerechnet, wie viel Treibhausgase noch in die Atmosphäre gelangen dürfen, wenn das Zwei-Grad-Ziel eingehalten werden soll. Für die Industriestaaten heißt das: Die Emissionen müssen rasch verringert werden und im Jahr 2050 null erreichen. Das ist unbestritten. Doch stattdessen steigen die Emissionen weiter an. Es ist offensichtlich, dass Sonntagsreden hier nichts ausrichten.

Änderung des Energiesystems

Wenn 2050 kein CO2 mehr ausgestoßen werden soll, bedeutet das den völligen Abschied von der Verwendung fossiler Energieträger, also von Kohle, Erdöl und Erdgas. Das kommt einer grundlegenden Veränderung des Energiesystems gleich. Es geht also darum, wie Energie für Verkehr, für Raumwärme, für Produktion etc. verwendet wird und woher sie stammt.

Denn derzeit dominieren fossile Energieträger im Energiesystem: Ihr Anteil am Energieverbrauch liegt weltweit bei etwa 80 Prozent, in Österreich immerhin auch bei etwa 70 Prozent.

Dabei ist der Anteil fossiler Energieträger im Verkehrsbereich mit 94 Prozent am höchsten. In der Produktion sind es etwa zwei Drittel und bei den Haushalten und Dienstleistern etwa die Hälfte (Energiebilanzen der Statistik Austria). Diese Energiemengen müssen eingespart oder durch erneuerbare Energie ersetzt werden, wenn der Abschied von fossilen Energieträgern (oft als „Dekarbonisierung“ bezeichnet) gelingen soll.

Das große Abwarten

Doch bisher ist in der österreichischen Klimapolitik nur wenig umgesetzt worden, was nicht ohnehin geschehen wäre. Die Verbesserung der Wärmedämmung bei Gebäuden, die seit den 1980er-Jahren zu beobachten ist, geht auf den Gedanken des Energiesparens zurück; damals dachte noch niemand an Klimaschutz. Bei umweltfreundlichen Verkehrsträgern gibt es einige Verbesserungen, etwa große Ausbauprogramme bei der Bahn oder Ausdehnung der Radwege; aber alle Einsparungen dort wurden durch eine Zunahme im Autoverkehr und im Straßengüterverkehr mehr als aufgehoben. So ist der Verkehr der Bereich, dessen Emissionen seit 1990 am stärksten zugelegt haben: um 72 Prozent.

Je länger nur geredet wird, desto drastischer werden die Einschnitte später sein müssen. Oder Österreich riskiert Strafzahlungen in Milliardenhöhe bzw. den ebenso teuren Nachkauf von Emissionsrechten. Das zuständige Ministerium schätzt die Kosten dafür auf 6,6 Milliarden Euro. Doch dieses Geld wäre doppelt verloren: Erstens schafft es keine Wertschöpfung in Österreich, zweitens muss trotzdem viel Geld in die Hand genommen werden, um die längerfristigen Emissionsminderungen zu erreichen.

Ein Klimainvestitionspaket

Deshalb ist ein Klimainvestitionspaket das Gebot der Stunde: Statt Strafzahlungen zu riskieren, soll frühzeitig investiert werden, damit Österreich rasch auf einen Pfad einschwenkt, auf dem nicht nur die Klimaziele 2030 erreicht werden können, sondern der zur notwendigen Klimaneutralität bis 2050 führt.

Daneben braucht es aber auch andere Instrumente. So kann eine sozial gerechte Energiewende nur gelingen, wenn Energiearmut entschlossen bekämpft wird. Hier kann und muss das neue Energieeffizienzgesetz dringend Verbesserungen schaffen. Und es muss Schluss sein mit der Schieflage, dass die Haushalte nur ein Fünftel des Stroms verbrauchen, aber mehr als die Hälfte der Netzkosten und der Ökostromkosten zahlen.

Die Klimawende wird aber nur Erfolg haben, wenn es auch Ge- und Verbote gibt. Gerade im Verkehr ergänzen diese den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel: So sind Tempolimits einzuführen und zu kontrollieren; in der Citylogistik braucht es in absehbarer Zeit Fahrverbote für Lieferfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren; Betriebe sollen zu Mobilitätsmanagement verpflichtet werden. Kurz: Wo der öffentliche Verkehr gut ausgebaut ist, muss der Individualverkehr zurückgedrängt werden. Auch das ist eine zutiefst gesellschaftspolitische Frage, keine technische.

Erfolge bei der Verringerung der Emissionen des Verkehrs brauchen auch mutige Schritte in der Raumplanung – und eine verbesserte Koordination über Gemeinde- und Ländergrenzen hinweg. Die Widmung eines Einkaufszentrums auf der grünen Wiese muss der Vergangenheit angehören. Weiters sollen bestimmte thermische Sanierungsmaßnahmen, z. B. die Dämmung der obersten Geschoßdecke, verpflichtend werden – wie in Deutschland, wo es derartige Verpflichtungen schon gibt.

CO2-Steuer – eine Lösung für alles?

Manche wollen alle Klimaprobleme mit CO2-Steuern lösen. Doch dabei tun sich schwierige Verteilungsprobleme auf. Vorschläge für Steuern, die das Verhalten beeinflussen sollen, sind immer nur so gut wie die sozialen Ausgleichsmaßnahmen. In vielen Fällen sind sie nur sinnvoll, wenn sie auf EU-Ebene umgesetzt werden.

Verteilungspolitisch unproblematisch ist die längst überfällige Besteuerung von Flugtreibstoff (Kerosin). Eine Europäische Bürgerinitiative (ECI) hat sich dieser Forderung verschrieben. Die immer noch bestehende Steuerausnahme für Kerosin bedeute jährlich in der EU einen Steuerausfall von etwa 27 Milliarden Euro. Damit wird eine der klimaschädlichsten Arten des Transports subventioniert.

Doch in anderen Bereichen ist zu befürchten, dass CO2-Steuern vor allem von Menschen gezahlt werden, die wenig verdienen. Besonders beim Heizen haben sie gar nicht die Möglichkeit, auf klimaschonende Alternativen umzusteigen. Eine CO2-Steuer kann zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft führen und die soziale Kluft noch weiter aufreißen. Die weiterhin schwelenden Proteste der Gelbwesten in Frankreich sind dafür ein Ausdruck.

Nur wenn verstanden wird, dass mit einer ehrgeizigen Klimapolitik auch schwierige soziale Fragen verbunden sind, nur wenn die damit verbundenen Probleme und Ängste aktiv angegangen werden, wird die Umsetzung der Klimaziele von einer Mehrheit der Menschen mitgetragen werden. Und das ist die Voraussetzung für das Gelingen des Klimaschutzes.

Dieser Beitrag beruht teilweise auf einem Artikel in der aktuellen Ausgabe von „Wirtschaft und Umwelt“ 3/2019“, die sich dem Schwerpunkt Klimapolitik widmet.