Am 3. April 2018 veröffentlichte die Bundesregierung unter dem Titel „mission2030“ den Entwurf einer Klima- und Energiestrategie. Das ist der dritte Anlauf, nachdem schon zwei Regierungen an ähnlichen Vorhaben gescheitert sind, nämlich 2010 und 2017. Ob der Spruch, aller guten Dinge sind drei, für diesen dritten Versuch gilt, ist fraglich. Inhaltlich finden sich darin Licht und Schatten. Die Art und Weise, wie die Strategie erstellt wird, birgt jedenfalls Überraschungen.
Wie es aussieht, ist die Regierung diesmal entschlossen, den Prozess zu einem Abschluss zu bringen: Sie will im Juni eine fertige Klima- und Energiestrategie vorlegen. Dies hat jedoch einen Preis: Es gibt bei dieser Strategie keine Beteiligung der Öffentlichkeit, die diesen Namen verdient. Zwar gab es für fünf Wochen die Möglichkeit, dass jede und jeder online Kommentare zum Entwurf abgibt. Doch wurde schon zuvor kommuniziert, dass nur mehr minimale Änderungen am Papier vorgenommen würden. Dem Vernehmen nach gibt es nur mehr für Änderungswünsche des Finanzministers ein offenes Ohr.
Der „neue Stil“ drückt sich also darin aus, dass der Entwurf keinem Begutachtungsverfahren unterzogen wird. Das ist nicht nur demokratiepolitisch problematisch, es bedeutet vor allem auch, dass die Interessen der ArbeitnehmerInnen nicht auf strukturierte Weise in den Entwurf eingebracht werden. Die Bundesarbeitskammer hat ihr Positionspapier dennoch an Ministerin Köstinger und Minister Hofer übermittelt. Eine klare Stellungnahme für die ArbeitnehmerInnen ist dringend notwendig, denn der Entwurf berücksichtigt deren Anliegen viel zu wenig.
Klima- und Energiepolitik muss als soziales Thema verstanden werden
Vor allem ist er für die Probleme derer blind, die mit wenig Geld auskommen müssen. Der Entwurf kennt etwa nicht den Begriff der „Energiearmut“. Damit fehlen auch Aussagen, wie Energiearmut verringert werden kann. Fragen der gerechten Verteilung werden nicht angesprochen. Das birgt die Gefahr, dass durch die Klima- und Energiestrategie die Verteilungsschere noch weiter aufgeht. Im Fokus stehen vor allem Unternehmen sowie Besserverdienende, die sich „smarte“ Haushaltsgeräte, Photovoltaik-Anlagen und das Nullenergiehaus im Grünen leisten können. Damit besteht das Risiko, dass die Strategie zu einer Zwei-Klassen-Energiegesellschaft führt.
Die Verteilungsfrage bleibt beim Entwurf auch aus einem anderen Grund ausgespart: Darin finden sich nämlich praktisch keine Aussagen über die Kosten und Nutzen der Maßnahmen und über deren Finanzierung. Das gilt sowohl für Mittel, die von den Haushalten und Unternehmen aufzubringen sind, als auch für die Mittel der Öffentlichen Hand. Gleichzeitig fehlen Schätzungen, wieviel die einzelnen Maßnahmen zur Erreichung der klima- und energiepolitischen Ziele beitragen.
Effizienz des Mitteleinsatzes kann nicht abgeschätzt werden
Damit fehlen Größen, die für die Beurteilung der unmittelbaren Effizienz und Effektivität des Mittel-einsatzes erforderlich wären. Die hohen Kosten der Transformation des Energiesystems zwingen aber dazu, die Gelder möglichst effizient und effektiv einzusetzen. Ausgehend von den Kosten und Wirkungen muss bei der Umsetzung von Klima- und Energiepolitik darauf geachtet werden, dass sie möglichst umfassend zu wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, etwa Vollbeschäftigung und guter Arbeit, stabiler Staatstätigkeit, Preisstabilität etc beiträgt. Diese Ziele einer wohlstandsorientierten Wirtschaftspolitik werden im sogenannten „magischen Vieleck“ zusammengefasst.
Dabei kann sich der Entwurf durchaus sehen lassen, wenn es um die unmittelbaren klima- und energiepolitischen Ziele geht. So bekennt sich die Regierung – im Einklang mit dem auf EU-Ebene akkordierten politischen Ziel der Dekarbonisierung bis 2050 – zum Abschied von Kohle, Öl und Gas bis dahin. Auch die Zwischenziele bis 2030 sind teilweise durchaus ehrgeizig. So soll der Anteil erneuerbarer Energieträger von derzeit etwa 33 % auf 45-50 % gesteigert werden. Die Stromerzeugung soll 2030 gänzlich aus erneuerbaren Quellen erfolgen, zumindest bei bilanzieller Betrachtung. Die Energieeffizienz, einer der wichtigsten Größen einer erfolgreichen Energie- und Klimapolitik soll gegenüber 2015 um 25-30 % gesteigert werden. Angestrebt wird ein Primärenergieeinsatz von 1200 Petajoule (PJ); derzeit liegt dieser bei etwa 1435 PJ, also um 20 % höher. Es werden nicht nur Ziele genannt, sondern es wird auch ein Mechanismus der Kontrolle der Zielerreichung und eventuellen Korrektur skizziert, auch dies ein Element, das der Entwurf früheren Strategien voraus hat. Allerdings wird das zentrale Ziel der Energieeffizienz relativiert, denn Fehlmengen sollen nicht durch stärke Regulative ausgeglichen werden, sondern durch den Ausbau erneuerbarer Energien.
Zwei beispielhafte Problemzonen: KonsumentInnenrechte, Mietrecht
Weniger positiv sind manche der vorgesehenen Maßnahmen in den einzelnen Handlungsfeldern zu sehen. Dass die Strategie blind ist für Verteilungsfragen, zeigt sich besonders an zwei Beispielen. So wird zwar mehrfach – durchaus zu Recht – Fernwärme und der Ausbau erneuerbarer Wärme als wichtige klima- und energiepolitische Maßnahme genannt, aber das Problem der fehlenden konsumentenrechtlichen Absicherung in diesem Bereich wird nicht angesprochen. Dass Energielieferverträgen häufig über einen Dritten abgewickelt werden – etwa beim sogenannten „Wärme-Contracting“ –, führt zu einer Reihe von Problemen. Es fehlt an Preis- und Vertragstransparenz, häufig gibt es keine unabhängige Beratung der WärmekundInnen, und die Rechtsdurchsetzung ist äußerst schwierig. Wenn aber offene konsumentInnenrechtlichen Probleme nicht angegangen werden, führt dies zu Widerstand der Betroffenen. Damit wird die Umsetzung dieser klima- und energiepolitisch bedeutsamen Maßnahme unsicher.
Ein weiteres Beispiel ist das Mietrecht. Es wird behauptet, dass thermische Sanierungen den Mietern nutzen, aber der Vermieter sie bezahlt. Dies sei unfair; daher sollen die Mieter mehr dazu beitragen; deshalb müsse die Mietzinsobergrenze aufgehoben werden. Unter dem Vorwand der Klimapolitik soll also das Mietrecht ausgehöhlt werden. Aber Wohnen gehört besonders für die ärmeren Menschen in Österreich zum Lebensbereich, der den größten Teil des Einkommens verschlingt. Deshalb braucht es ein einheitliches Mietrecht sowie klare Regeln für die Höhe der Miete. Mietzinsreserven sind nicht für die Tasche der Vermieter gedacht, sondern müssen wieder in die Häuser investiert werden. Da gibt es viel privates Kapital, das für die thermische Sanierung mobilisiert werden kann. Wenn die Kosten der thermischen Sanierung die Mietzinsreserven übersteigen, kann der Mietzins für eine bestimmte Zeit erhöht werden. Diese Bestimmungen dienen dem Schutz der Menschen und sollen nicht angetastet werden.
Wir stehen erst am Anfang …
Insgesamt versteht sich der Entwurf als Beginn eines langfristigen Prozesses der Weiterentwicklung der Klima-, Energie- und Mobilitätspolitik. Die Strategie will für alle Handlungsfelder und für bevorstehende Investitionen einen Rahmen darstellen und durch klare Rahmenbedingungen helfen, Fehlinvestitionen und Strukturbrüche zu vermeiden. Dies sind hehre Ziele, doch auch recht abstrakt.
Dabei wird derzeit auf EU-Ebene die sogenannte Governance-Verordung ausgearbeitet. Sie könnte in wenigen Wochen in Kraft treten. Von den Mitgliedstaaten fordert sie bis Ende 2018 die Vorlage von „Integrierten Energie- und Klimaplänen“ mit sehr detaillierten Anforderungen, u.a. an Schätzungen von Kosten und Mengen und Maßnahmen gegen Energiearmut. Warum der nun von der Regierung vorgelegte Entwurf in keiner Weise diesen bereits absehbaren Anforderungen der EU-Governance-Verordnung entspricht, ist uns ein Rätsel. Denn dies bedeutet, dass sehr bald eine Klima- und Energiestrategie entworfen werden muss, die einen solchen Namen wirklich verdient.