Lange Zeit galten Gewerkschaften als Blockierer von ökologischen Maßnahmen. Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren viel getan. Sie bringen sich heute aktiver in die Diskussion ein und haben sozial gerechte Klimastrategien erarbeitet. Wichtig ist ihnen, die Arbeitnehmer:innen in der Debatte mitzunehmen, denn ohne breite Unterstützung der arbeitenden Menschen ist ein sozial-ökologischer Umbau nicht möglich.
Die komplizierte Rolle von Gewerkschaften in der Klimakrise
Die Mehrheit der Gewerkschaften in Europa hat in den letzten 50 Jahren einen erheblichen Anteil ihrer Mitglieder verloren und erholt sich nur langsam von diesem Abwärtstrend. Während 1970 noch 57 Prozent der Erwerbstätigen in Österreich Gewerkschaftsmitglieder waren, blickt der ÖGB heute auf einen Netto-Organisationsgrad von nur mehr 26 Prozent. Gleichzeitig führte die neoliberale Wende in der EU zu einer Schwächung der gewerkschaftlichen Verhandlungsposition. Der damit einhergehende Anstieg von atypischen Beschäftigungsverhältnissen stellt Gewerkschaften vor erhebliche Schwierigkeiten. Strategien zur gewerkschaftlichen Revitalisierung machen sich in jüngerer Vergangenheit in steigenden Mitgliederzahlen bemerkbar. Auch wenn sich hier eine Trendwende andeutet, bleiben die Spuren des Machtverlusts in der gewerkschaftlichen Praxis bis heute spürbar. Für die Integration ökologischer Themen in gewerkschaftliche Strategien bedeutet dies mitunter ein Dilemma. Die vorhandenen Ressourcen müssen oftmals schwerpunktmäßig auf kurzfristige Themen, wie etwa Inflationsbekämpfung, gelenkt werden, ohne dabei andere Ziele, wie die Bekämpfung der Klimakrise, aus den Augen zu verlieren.
Hinzu kommt die Krise der Sozialpartnerschaft, die mit den Regierungen unter FPÖ-Beteiligung ihren Anfang nahm. Zwar zeigte die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern bei der Kurzarbeit im Zuge der Corona-Pandemie, wie wichtig eine gut funktionierende Sozialpartnerschaft ist. Hier ließen sich die Interessen von Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen gut miteinander vereinbaren. Bei klimapolitischen Themen gibt es bislang jedoch wenig Überschneidungspunkte zwischen den Sozialpartnern, auch wenn es erste gemeinsame Initiativen, wie zum Beispiel die Umweltstiftung, gibt.
Im Übrigen gibt es systemische Grenzen für gewerkschaftliche Klimapolitik, die sich aufgrund ihrer Rolle im kapitalistischen Produktionsregime ergeben. Traditionell beruht das gewerkschaftliche Geschäftsmodell auf der Teilhabe ihrer Mitglieder am Wirtschaftswachstum. Die Erfolgsgeschichte von Gewerkschaften hängt demnach unmittelbar mit der Entstehung einer wirtschaftlichen Produktions- und Konsumptionsweise zusammen, deren Folgen für das planetare Klima mit Hilfe jetziger Strategien es zu bekämpfen gilt. Es überrascht daher nicht, dass gewerkschaftliche Klimapolitik über weite Strecken im Einklang mit Wirtschaftsinteressen von Unternehmen zu stehen scheint. Eine konsequente Analyse darf diese Faktoren nicht ausblenden. In den Gewerkschaften gibt es dennoch vermehrt die Forderung, das menschliche Wohlbefinden ins Zentrum zu stellen. Im neuen Programm des ÖGB, das am Bundeskongress im Juni 2023 beschlossen wurde, wird die Entwicklung präventiver Strategien für den Umgang mit begrenzten Ressourcen und Energie sowie sinkenden Wachstumspotenzialen gefordert.
Sozial-ökologische Umbaukonflikte
Für den Umbau ökologisch nicht nachhaltiger Sektoren braucht es ganzheitliche Konzepte, die den Beschäftigten eine Perspektive bieten. Nur wenn dies garantiert ist, können Gewerkschaften bei ökologisch notwendigen Forderungen mitgehen. Klar ist aber auch, dass bisherige Strategien für eine ökologische Gewerkschaftspolitik Konfliktkonstellationen erzeugen werden. Wenn Gewerkschaften dem ökologischen Anspruch gerecht werden wollen, müssen die entstehenden Konflikte frühzeitig erkannt und bearbeitet werden. Die Verkürzung der Normalarbeitszeit, die Umschulung von Beschäftigten sowie die Frage nach globaler Gerechtigkeit stellen dabei zentrale Umbaukonflikte dar.
Weniger Arbeit bei vollem Lohnausgleich
Die Verkürzung der Normalarbeitszeit ist eine der häufigsten Forderungen, die im Zusammenhang mit der Gestaltung einer nachhaltigen Arbeitswelt erhoben werden. Für Gewerkschaften ist das Anliegen aber schwer umzusetzen. Auf der einen Seite entstehen Forderungen für KV-Verhandlungen in aller Regel durch die organisierten Arbeitnehmer:innen selbst. Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung stellt dabei oftmals kein prioritäres Anliegen dar. So gibt es einen nicht unerheblichen Anteil von Beschäftigungsgruppen, etwa im Gesundheitsbereich, deren Arbeitsrealität von Überstunden geprägt ist. Gewerkschaftliche Strategien zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit fanden dort bisher wenig Anklang, da die Beschäftigten eher auf die Einhaltung der kollektivvertraglich festgelegten Arbeitszeit Wert legen. Auf der anderen Seite ist die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ein schwer durchsetzbares Anliegen. Auch wenn hierbei in der Vergangenheit in einzelnen Branchen Erfolge erzielt werden konnten, trifft der Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung in aller Regel auf starken Widerstand vonseiten der Arbeitgeber:innen. Gleichzeitig erscheint es evident, dass eine Verkürzung der Vollarbeitszeit eine sinnvolle Maßnahme über die ökologische Thematik hinaus darstellt. So gibt es gute Argumente dafür, dass dies eine wirksame Strategie gegen den Arbeitskräftemangel sein kann.
Umschulungsmöglichkeiten ausbauen
Ähnlich wie die flächendeckende Verkürzung der Normalarbeitszeit gilt die Umschulung von Arbeitskräften als eine wichtige Säule für den sozial-ökologischen Umbau. Der Grundgedanke erscheint dabei zunächst vielversprechend: Beschäftigte aus Sektoren, die aus klimapolitischen Gründen zurückgebaut werden müssen, können durch staatliche Umschulungsprogramme für jene Arbeitsbereiche qualifiziert werden, die einen erhöhten Bedarf an Arbeitskräften haben. Was sich in der Theorie als schlüssiges Konzept liest, trifft in der Realität des bestehenden Arbeitsmarktes auf ungeahnte Widerstände. Auf der einen Seite liegt der Vorstellung einer groß angelegten Umschulung ein starres Arbeitsmarktmodell zugrunde, das betriebliche Realitäten außer Acht lässt. Auf der anderen Seite müssen aus gewerkschaftlicher Perspektive bestimmte Anforderungen im Transformationsprozess garantiert sein. So darf der neue Job für Beschäftigte nicht mit Einkommensverlusten einhergehen, und die Entfernung zum neuen Arbeitsplatz muss zumutbar sein. Hierfür wurde mit den Arbeitsstiftungen in der Vergangenheit bereits ein erfolgreiches Instrument etabliert. Für eine großangelegte Umschulung von Arbeitskräften braucht es jedoch einen Ausbau von gut durchdachten Konzepten, wie beispielsweise der von den Sozialpartnern gemeinsam entwickelten Umweltstiftung, die Arbeitssuchende und Firmen, die klimarelevante Jobs anbieten, zusammenbringt.
Konfliktlinien von Just Transition
Die gewerkschaftliche Bezugnahme auf Just Transition als Konzept für klimapolitische Strategien wirft die Frage nach globaler Gerechtigkeit auf. Béla Galgóczi vom Europäischen Gewerkschaftsbund verwies unlängst darauf, dass der Übergang in eine klimaneutrale Gesellschaft nur dann als gerecht bezeichnet werden kann, wenn er für die Vielen gestaltet wird. Konsequenterweise müsste dies eine solidarische Haltung gegenüber den Menschen und der Umwelt des globalen Südens beinhalten. Dass sich die industriepolitische Strategie der Europäischen Union nur schwer mit einer solidarischen Lebens- und Produktionsweise vereinbaren lässt, stellt Gewerkschaften vor allem beim Umbau der Industrien vor ein Dilemma. Die Unternehmensstrategien zum Umstieg auf eine grüne Produktion sind über weite Strecken von politischen Plänen zur Energieversorgung abhängig, die auf einer globalen Ebene als sozial ungerecht bezeichnet werden können. Bislang gibt es von gewerkschaftlicher Seite dabei wenig Möglichkeiten, den Wandel mitzugestalten. Sowohl beim Umstieg auf Elektromobilität als auch bei der Elektrifizierung der Stahlproduktion erzeugt diese Strategie Widersprüche. Ohne eine grundlegende Mobilitätswende mit deutlicher Reduktion des Individualverkehrs wird die Produktion der neuen Antriebstechnologie weiterhin auf Kosten von Mensch und Natur im globalen Süden stattfinden. Dasselbe gilt für den immensen Bedarf an grünem Wasserstoff für eine klimaneutrale Wachstumsökonomie. Es kann infrage gestellt werden, ob die Herausforderung der grünen Energieversorgung für industrielle Prozesse ohne das Entstehen neuer Ausbeutungsmechanismen gelöst werden kann.
Bedingungen für eine klimagerechte Gewerkschaftsarbeit
Tatsächlich kommt Gewerkschaften eine Schlüsselrolle im sozial-ökologischen Umbau zu, da nur sie die soziale Abfederung von ökologischen Transformationsprozessen garantieren können. Schließlich ist klar, dass eine Gegenmacht zur neoliberalen Hegemonie nur mit starken Gewerkschaften aufgebaut werden kann. Eine Verwirklichung dieser Rolle bedarf einer produktiven Bearbeitung der oben ausgeführten Umbaukonflikte. Klimagerechte Gewerkschaftsarbeit kann dafür die folgenden Schritte zum Ausgangspunkt nehmen:
1. Klimapolitik als Verteilungsfrage
Gewerkschaften könnten die Klimakrise noch viel mehr als Verteilungsfrage stilisieren. Die Fakten über die ungleiche Verteilung von Verantwortung und Betroffenheit der Klimakrise liegen auf dem Tisch. Etliche Studien belegen den exorbitanten Beitrag von Milliardär:innen zur Erderhitzung. Es ist für Gewerkschaften sinnvoller, den Luxuskonsum einer kleinen Elite von Menschen zu skandalisieren, als zum pauschalen Konsumverzicht bei den eigenen Mitgliedern aufzurufen. Die generelle Bereitschaft für ein ökologisches Verhalten würde signifikant zunehmen, wenn das Privileg des zerstörerischen Reichtums politisch beschränkt würde.
2. Breite politische Bündnisse
Gewerkschaften arbeiten schon lange mit progressiven zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen. Für die Bekämpfung der Klimakrise gilt es hieran anzuknüpfen und ein breites Bündnis für den sozial-ökologischen Umbau zu formieren. Dies kann dazu beitragen, das Bewusstsein für die Relevanz von gewerkschaftlicher Organisierung bei einem überwiegend jungen Milieu zu schaffen, das sonst über wenig Berührungspunkte mit organisierten Arbeitskämpfen verfügt. Für NGOs aus der Klimagerechtigkeitsbewegung bedeutet die Zusammenarbeit mit der Arbeiter:innenbewegung dasselbe. Da Gewerkschaften überproportional in Milieus verankert sind, die von klimapolitischen NGOs oftmals nur schwer zu erreichen sind, können sie ihre thematischen Anliegen durch gemeinsame Bündnisse in größere Personengruppen tragen. Jüngste Beispiele, wie die Kooperationen zwischen Dienstleistungsgewerkschaften und Klimabewegung in Österreich und Deutschland, stellen einen wichtigen Startpunkt für künftige Allianzen dar. Bereits seit 2019 arbeiten ÖGB und Klimabewegung zusammen und stimmen sich bei verschiedenen Aktionen ab. Mit der Akademie für sozialen und ökologischen Umbau wurde darüber hinaus ein vielversprechendes Projekt zur Vernetzung von Arbeiter:innen- und Klimabewegung ins Leben gerufen.
3. Verknüpfung von Produktions- und Lebensweise
Akzeptiert man den Befund, dass sich das ökonomische Wachstum nicht absolut vom Ressourcenverbrauch entkoppeln lassen wird, so steht die Notwendigkeit einer gesamtgesellschaftlichen Reduktion des Konsums außer Frage. Auch wenn das reichste Prozent um ein Vielfaches mehr für die ökologische Zerstörung verantwortlich ist, liegt das Konsumverhalten des gesellschaftlichen Medians ebenfalls auf einem nicht nachhaltigen Niveau. Aus diesem Grund kommt eine ökologische Gewerkschaftspolitik langfristig nicht um eine Verknüpfung unserer Produktions- und Lebensweise herum. Dies beinhaltet neben einer Reduzierung des individuellen Ressourcenverbrauchs eine globale Solidarität entlang von Lieferketten. Die größte Herausforderung für den sozial-ökologischen Umbau wird darin liegen, aufzuzeigen, dass ein gutes Leben für alle auch innerhalb planetarer Grenzen möglich sein kann. Dies macht jedoch eine Revision des vorherrschenden Wohlstandsmodells notwendig. Den Gewerkschaften kann hierbei eine zentrale Rolle in der Entwicklung von sozial gerechten Rahmenbedingungen zukommen.
Fazit
Wenn wir das Szenario einer „Hothouse earth“ verhindern wollen, müssen die notwendigen klimapolitischen Maßnahmen schnell umgesetzt werden. Da von politischer Seite bislang deutlich zu wenig unternommen wurde, braucht es den verstärkten Druck aus der Zivilgesellschaft. Die aktuellen Beschlussfassungen des ÖGB machen hierfür Hoffnung. Für die Bekämpfung der Klimakrise gilt: Nur wenn die ökologischen und sozialen Konflikte miteinander verbunden werden, kann eine breite Allianz für den Umbau entstehen.
Dieser Blogbeitrag basiert auf Forschungsergebnissen der Masterarbeit von Max Knapp, die am Institut für Soziologie der Universität Wien verfasst wurde.