Immer öfter ist zu lesen, dass der Sozialstaat nur von einigen wenigen finanziert wird, eine Steuerentlastung von GeringverdienerInnen daher nicht möglich sei. Doch das stimmt ganz einfach nicht. Eine genauere Analyse zeigt: Arm und Reich zahlen gleich hohe Steuern. Durch das Steuer- und Abgabensystem findet gar keine Umverteilung statt. Trotzdem spielt es bei der Entlastung kleiner Einkommen eine wichtige Rolle, die es zu erhalten und auszubauen gilt.
Es gehört schon zum Standardrepertoire mancher Politiker und vieler Medien: „Der Sozialstaat wird nur von einigen wenigen getragen. Eine Entlastung der GutverdienerInnen ist daher unumgänglich und eine Entlastung für GeringverdienerInnen ein Ding der Unmöglichkeit.“ Die statistische Beweisführung erfolgt dann (wenn überhaupt) mittels Einkommenssteuerstatistik und suggeriert, dass die Einkommenssteuer die einzige Finanzierungsquelle des Sozialstaats sei. Doch das stimmt so nicht. Die Einkommenssteuer ist eine wesentliche, aber eben nur eine von vielen Finanzierungsquellen des Sozialstaats. Neben der Einkommenssteuer sind insbesondere die Umsatzsteuer (und die anderen Verbrauchsteuern) sowie die Sozialversicherungsbeiträge bedeutsam.
Die Verteilungswirkung der Steuern und Abgaben
Eine ernsthafte Analyse muss auch diese Steuern und Abgaben berücksichtigen, da ihre Verteilungswirkung von der Einkommenssteuer völlig verschieden ist.
Bei der Einkommenssteuer steigt mit steigendem Einkommen auch die Steuerbelastung. Das deshalb, weil der Steuertarif einen progressiven Verlauf hat, der Steuersatz also mit dem steuerpflichtigen Einkommen ansteigt.
Ganz anders die Umsatzsteuer. Dort gelten einheitliche Steuersätze (in der Regel 20 Prozent), unabhängig vom Einkommen. Das heißt für einen Liter Milch zahlt die Alleinerzieherin genauso viel Umsatzsteuer wie der Topmanager. Aufs Einkommen gerechnet ist die Alleinerzieherin sogar stärker belastet, weil sie einen größeren Teil ihres Einkommens für den Konsum aufwenden muss. Die gleiche verteilungspolitische Logik gilt auch für die anderen Verbrauchsteuern, wie z. B. die Mineralölsteuer oder die Stempelgebühren für Führerschein, Pass oder Heiratsurkunde.
Die Sozialversicherungsbeiträge wiederum haben einen einheitlichen Abgabensatz, allerdings nicht ganz unabhängig vom Einkommen. Denn die SV-Beiträge sind nur bis zu einem Bruttoeinkommen von maximal 5.130 Euro monatlich zu bezahlen (Höchstbeitragsgrundlage). Dieser „Deckel“ hat zur Folge, dass bspw. ein Geschäftsführer mit einem Verdienst von 10.000 Euro brutto monatlich (relativ zum Einkommen) nur halb so hohe Sozialversicherungsbeiträge zahlt wie die Normalverdienerin, deren Einkommen unter der Höchstbeitragsgrundlage liegt (rund 90 Prozent der Erwerbstätigen haben ein monatliches Bruttoeinkommen von weniger als 5.130 Euro).
Steuern und Abgaben wirken in Summe kaum progressiv
Seit längerem erstellt das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) in regelmäßigen Abständen eine umfassende Studie zur Verteilungswirkung des Staates, die auch das Steuer- und Abgabensystem detailliert betrachtet. Seit Mai 2016 ist die Studie „Umverteilung durch den Staat“ mit den aktualisierten Daten verfügbar. Das Ergebnis: die Steuerbelastung der Erwerbstätigen in Österreich (relativ zum Einkommen) ist annähernd gleich verteilt. Der Abgabenanteil vom Einkommen des unteren Einkommensdrittels betrug 43 Prozent, vom mittleren und oberen Einkommensdrittel jeweils rund 46 Prozent. Die progressive Verteilungswirkung der Einkommenssteuer wird durch die regressive Verteilungswirkung von Umsatzsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen fast vollständig aufgehoben.
Oder anders ausgedrückt: GutverdienerInnen werden stärker durch die Lohnsteuer in Anspruch genommen; gleichzeitig werden sie deutlich weniger stark durch Sozialversicherungsbeiträge und Verbrauchsteuern belastet. Umgekehrt zahlen GeringverdienerInnen zwar weniger Lohnsteuer, aber im Verhältnis zu ihrem Einkommen wesentlich mehr an Sozialversicherungsbeiträgen und Verbrauchsteuern.
In Summe ist die Abgabenbelastung somit für alle Erwerbstätigen annähernd gleich hoch. Das verdeutlicht auch die folgende Grafik.