EU-Parlamentswahlen 2019 im Zeichen des autoritären Populismus

21. November 2018

In einem halben Jahr, zwischen 23. und 26. Mai 2019, finden in den 27 EU-Mitgliedstaaten die nächsten Wahlen zum EU-Parlament statt. Erste Prognosen sagen einen starken Stimmenanstieg für rechtspopulistische Gruppierungen voraus. Auswirken dürfte sich der Rechtsruck in weiterer Folge auch auf andere EU-Institutionen wie die Europäischen Kommission oder den Europäischen Gerichtshof.

Fest steht, dass auf das Europäische Parlament erhebliche Änderungen zukommen. Nach dem voraussichtlichen Ausscheiden der BritInnen aus der Europäischen Union im März 2019 werden nur noch 27 Mitgliedstaaten im EU-Parlament vertreten sein. Damit verbunden verringert sich auch die Anzahl der Sitze: Verfügt das Hohe Haus auf EU-Ebene derzeit noch über 751 Sitze, so sollen es ab der nächsten Periode nur noch 705 Sitze sein. Österreich profitiert jedoch wie einige andere EU-Länder sogar von den durch Brexit freiwerdenden Plätzen im EU-Parlament und wird künftig 19 statt 18 EU-Abgeordnete stellen.

Vorhersagen prophezeien schwere Verluste für SozialdemokratInnen und Volkspartei

Auch die politische Zusammensetzung des EU-Abgeordnetenhauses dürfte sich zum Teil ganz wesentlich verändern: Eine Prognose der Nachrichtenplattform Politico von Oktober 2018 geht von dramatischen Verlusten – vor allem für die SozialdemokratInnen, aber auch für die Europäische Volkspartei – aus. Für beide Gruppierungen zeichnet sich das schlechteste Ergebnis seit 40 Jahren ab. Vor allem die beiden rechtspopulistischen Fraktionen „Europa der Freiheit und der Nationen“ (ENF) und „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ (EFDD) könnten beachtliche Zuwächse verzeichnen.

Besonders im Fall von Frankreich und Italien gleichen die Vorhersagen über den Ausgang der EU-Wahlen für die traditionellen Parteien einem schweren Erdbeben:

Von den 79 Sitzen, die für die französischen EU-Abgeordneten zur Verfügung stehen, sollen die VertreterInnen der Volkspartei laut der Prognose gerade einmal 15 Mandate erhalten. In der aktuellen Legislaturperiode halten sie 20. Für die SozialdemokratInnen (derzeit zwölf Sitze) geht es sogar um die Existenz im EU-Parlament: Politico geht in seiner Vorhersage davon aus, dass die Parti socialiste keinen einzigen Sitz ergattern wird. Und das, obwohl Frankreich sogar fünf Mandate mehr als bisher zugestanden werden. Bei der Partei „En marche“ von Frankreichs Präsident Emanuel Macron ist mittlerweile die Katze aus dem Sack: Sie werden mit den Liberalen zusammenarbeiten und dürften laut Prognose 19 Mandate erhalten. Die Linken sollen 13 und die Grünen auf fünf Sitze kommen. Am besten dürften die beiden rechtspopulistischen Fraktionen ENF und EFDD mit zusammen 25 Mandaten abschneiden.

In Italien stellen die populistischen Parteien Lega Nord und MoVimento 5 Stelle laut Prognose sogar 53 der 76 Sitze, das entspricht knapp 70 Prozent der Stimmen. Die italienischen SozialdemokratInnen verlieren 15 Mandate und kommen demnach auf 16 Sitze, die Volkspartei erhält sieben Sitze – um acht weniger als bisher.

Im Falle Österreichs gibt es laut den Prognosen vor allem eine Veränderung: Die Grünen sind demnach im EU-Parlament nicht mehr vertreten. ÖVP (sieben statt sechs), SPÖ (sechs statt fünf) und FPÖ (fünf statt vier) gewinnen je ein Mandat hinzu; bei den Liberalen (ein Vertreter) gibt es keine Änderungen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Traditionelles Rechts-Links-Schema ist überholt

Freilich handelt es sich nur um erste Prognosen. In vielen Mitgliedstaaten steht noch nicht einmal fest, welche Parteien bzw. welche Personen antreten werden. Unklar ist zudem, wie sich die politische Stimmung in den nächsten Monaten verändern wird.

Eine Tendenz hin zu rechtspopulistischen Gruppierungen scheint sich jedoch fortzusetzen, wobei eine „Links-Rechts“-Kategorisierung bei den EU-Wahlen zu kurz greift. Denn eine immer bedeutendere Rolle spielt der sogenannte autoritäre Populismus. Diese Art der Politik wird nicht nur von einem bestimmten politischen Flügel verfolgt, sondern findet sich in unterschiedlichen Fraktionen des Europäischen Parlaments: Beispielsweise ist die polnische Regierungspartei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) im Europäischen Parlament in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer zu finden. Orbáns Partei Fidesz wiederum ist nach wie vor Teil der Europäischen Volkspartei. Beide Gruppierungen verfolgen ohne Zweifel eine Politik des autoritären Populismus.

Der Aufstieg des autoritären Populismus

Nach dem Sozialwissenschafter Alex Demirović stellt diese politische Entwicklung die dritte Phase des Neoliberalismus dar, die sich infolge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 etabliert hat.

Politische Kräfte nutzen die Unzufriedenheit und Enttäuschung über die Politik, die in früheren Phasen des Neoliberalismus verfolgt worden ist, aus. VertreterInnen behaupten dabei, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und schüren gleichzeitig Ressentiments, Rassismus und treiben die Entsolidarisierung voran. Gekennzeichnet ist der autoritäre Populismus laut Demirović in der Praxis vor allem durch eine Schwächung des Parlaments, den Umbau des Rechtsstaats, Angriffe unter anderem auf die Versammlungs-, Presse- und Meinungsfreiheit sowie den Ausbau des Polizeiapparats und einer Überwachung im Alltag. Bei der Bevölkerung werden Angst, Misstrauen und Irrationalität erzeugt. Politische GegnerInnen werden auf unterschiedliche Arten diskreditiert und möglichst marginalisiert. Gleichzeitig wird nicht vom neoliberale Politikkurs abgewichen: Das betrifft die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, Deregulierungsschritte wie im Bereich des Finanzmarkts und die Fortsetzung des Steuerwettbewerbs zugunsten von Konzernen. Es werden soziale Leistungen wie das Gesundheitssystem, die Arbeitslosen- und die Pensionsversicherung, infrage gestellt oder gar gekürzt.

Autoritärer Populismus maßgebliche Kraft im Rat

Die politischen Veränderungen konzentrieren sich jedoch nicht nur auf das Europäische Parlament. Die Wahlen auf nationaler Ebene in den Mitgliedstaaten in den letzten Monaten und Jahren haben auch zu erheblichen Änderungen im politischen Machtgefüge des Rats geführt.

Der Wissenschafter Andreas Johansson führt in einer Untersuchung zum autoritären Populismus jene EU-Länder an, in denen sich das System des autoritären Populismus bei den Regierungsparteien aus seiner Sicht etabliert hat: Ungarn, Polen, Bulgarien, Slowakei, Griechenland, Finnland, Lettland und Österreich sind demnach in seiner Aufzählung vertreten. Italien ist seit den dortigen Parlamentswahlen im März 2018 wohl auch zu dieser Gruppe zu zählen, der Artikel Johanssons erschien jedoch noch vor den Wahlen in Italien.

Entsprechend groß ist der Einfluss von Regierungen mit autoritär-populistischem Hintergrund mittlerweile in den EU-Fachministerräten und dem Rat der Europäischen Union: In mehr als einem Drittel der Mitgliedstaaten sind autoritär-populistische VertreterInnen in den Regierungen präsent.

Folgewirkungen für EU-Kommission, Europäischen Gerichtshof und Europäische Zentralbank

Die Wahlen zum Europäischen Parlament werden zusammen mit den zunehmend nach rechts verschobenen Kräfteverhältnissen im Rat auch direkte Auswirkungen auf die Neubesetzung der Europäischen Kommission haben: Zuerst entscheiden sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder für einen Kandidaten oder eine Kandidatin für das Amt des Kommissionspräsidenten bzw. der Kommissionspräsidentin mit qualifizierter Mehrheit. Danach folgt seine/ihre Wahl im Europäischen Parlament mit einfacher Mehrheit. In beiden Gremien dürften voraussichtlich autoritär-populistische Kräfte ein gewichtiges Wort mitzureden haben.

Ähnliches gilt für die Nominierung der KommissarInnen: Die Regierungen der Mitgliedsländer schlagen jeweils eine Person als KommissarIn vor. Die Liste mit allen KandidatInnen wird in Rücksprache mit dem designierten Kommissionspräsidenten vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit angenommen. Das Europäische Parlament kann daran anschließend der Kommission als Ganzes zustimmen oder die Zustimmung verweigern. Einzelne KandidatInnen mit bedenklichem politischen Hintergrund wurden in der Vergangenheit im Rahmen der Prozedur immer wieder abgelehnt und schließlich durch andere Personen ersetzt. Welche Ergebnisse das Verfahren im zweiten Halbjahr 2019 nach den politischen Umwälzungen jedoch diesmal bringen wird, ist völlig offen.

Die Machtverschiebungen werden in weiterer Folge auch Auswirkungen auf andere europäische Institutionen haben. Zu nennen ist beispielsweise der Europäische Gerichtshof. Entscheidende Änderungen bei der Rechtsprechung sind nicht auszuschließen. Zudem muss die Nachfolge des EZB-Präsidenten Mario Draghi bestimmt werden, da dessen Amtszeit Ende 2019 ausläuft.

Die politischen Umwälzungen, die bisher im Wesentlichen auf nationalstaatlicher Ebene der EU-Mitgliedstaaten stattgefunden haben, kommen damit nun auch auf der europäischen Ebene an. Welche Ziele die rechtspopulistischen Gruppierungen aus sozio-ökonomischer Sicht vertreten, ist übrigens auch in einer neuen AK-Studie von Univ. Prof. Dr. Joachim Becker mit dem Titel Neo-Nationalismus in der EU: sozio-ökonomische Programmatik und Praxis nachzulesen.

Weiterführende Informationen: Die Europäische Union – VÖGB Skriptum