Enteignung, Überwachung, Ausbeutung – demokratische Spielregeln sind überfällig

14. Januar 2020

Daten sind der Rohstoff, der im 21. Jahrhundert die Profite digitaler Unternehmen sichert. Google, Facebook & Co. überwachen und enteignen uns dabei. Gleichzeitig werden deren Algorithmen mithilfe digitaler Arbeit trainiert. All dies geschieht fernab demokratischer Regeln – höchste Zeit, den digitalen Kapitalismus „einzubetten“!

Daten als Basis für Profit

Die größtenUnternehmen der Welt (nach Marktwert) sind fast ausschließlich digitaleUnternehmen wie Google, Facebook oder Microsoft. Der Reichtum dieserUnternehmen beruht auf der Aneignung, Verarbeitung und dem Verkauf von Daten.Dies unterscheidet digitale Unternehmen von Industrieunternehmen. Letzterekaufen Waren ein (hierzu zählt die menschliche Arbeitskraft), die sie zu neuenWaren (wie z. B. Autos) verarbeiten und dann profitträchtig verkaufen. Imdigitalen Kapitalismus stößt diese industrielle Produktionsweise jedoch aufWidersprüche in der Logik der Kapitalakkumulation. Denn digitale Produkte (wiez. B. Software, Musikdateien, Videos) kann man im Prinzip kostenlosvervielfältigen und weiterreichen. Ohne Preis daher kein Profit, also auchkeine Kapitalakkumulation. Was die digitale Kapitalakkumulation jedochermöglicht, sind Daten. Diese entstehen nämlich jedes Mal, wenn digitaleProdukte genutzt werden. Die größten Unternehmen im 21. Jahrhundert haben diedigitale Akkumulationslogik verinnerlicht, indem sie sämtliche Daten sammeln,verarbeiten und profitabel verkaufen.

Überwachung im Dienste der Produktoptimierung

Die US-amerikanische Wirtschaftswissenschafterin und AutorinShoshana Zuboff beschreibt sehr genau, wie das Sammeln von Daten zum Zweck derProfitgenerierung mit einer zunehmenden Überwachung einhergeht. DieAkkumulationslogik dieses digitalen „Überwachungskapitalismus“ lässt sich sehrgut am Beispiel von Google skizzieren. Zu Beginn (also um die Jahrtausendwende)sammelte Google nur jene Daten, die unmittelbar mit der Nutzung der Suchmaschinezusammenhingen. In diesem Stadium versorgte Google seine Algorithmen nurdeswegen mit Daten, um die Funktionsfähigkeit der Suchmaschine (also die vonGoogle angebotene Leistung) im Dienste der NutzerInnen zu verbessern. DiesesVorgehen beruhte in gewisser Weise auf Gegenseitigkeit: Je mehr Leute GooglesSuchmaschine nutzten, desto mehr Daten ergaben sich zur Verbesserung derSuchfunktion, was wiederum bestehende NutzerInnen zufriedenstellte und neueNutzerInnen anlockte.

Nach dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 wurde Googlevon seinen InvestorInnen dazu gedrängt, endlich ernsthafte Erlösquellenvorzuweisen. Daher begann Google auch jene Daten zu sammeln, die gar nicht mehrmit der Verbesserung der Suchmaschine zusammenhingen. All diese Daten fütterteGoogle an seine hauseigenen Algorithmen. Diese Algorithmen sind die Maschinendes digitalen Kapitalismus, die digitalen Produktionsmittel des 21.Jahrhunderts. Sie produzieren sogenannte „Vorhersageprodukte“, die eigentlichenWaren des digitalen Kapitalismus. Diese Vorhersageprodukte werden von digitalenUnternehmen wie Google, Facebook oder Microsoft an deren KundInnen, also anWerbeunternehmen, verkauft. Und je besser diese Vorhersageprodukte sind, alsoje genauer sie das gegenwärtige und zukünftige Verhalten von uns NutzerInnenprognostizieren können, desto teurer und somit profitabler sind sie auch. Esgeht nun nicht mehr darum, durch das Sammeln von Daten Googles Suchmaschine,Facebooks Seite oder Microsofts Software zu verbessern. Es geht darum,NutzerInnen so genau, so lang und so oft wie möglich zu überwachen und somitgenauere Vorhersagen tätigen zu können. Genau genommen sind wir also keineNutzerInnen – wir sind die Objekte, aus denen der Rohstoff extrahiert wird, derim 21. Jahrhundert die digitale Kapitalakkumulation sichert. Wir sind keineSubjekte. Wir sind Datenquellen.

Enteignung im 21. Jahrhundert – wir sind mittendrin

Vorzugsweise nehmen sich digitale Unternehmen unsere Dateneinfach, d. h. sie enteignen uns. Enteignungsprozesse sind in derGeschichte des Kapitalismus keine Seltenheit. Schließlich ermöglichten diekoloniale Enteignung der amerikanischen Bevölkerungen und die spätfeudaleEnteignung der englischen Landbevölkerung die „ursprüngliche Akkumulation“ undbildeten somit die Vorbedingungen des Industriekapitalismus. Auch der digitaleKapitalismus hat eine Vorbedingung. Diese besteht in der „ursprünglichenDatenakkumulation“, die Google durch weitreichende Datenenteignung als Pioniereinleitete. Einmalige „digitale Diebstahlsakte“ reichen aber nicht aus, um denProfithunger der digitalen KapitalistInnen und ihrer digitalenAlgorithmuswerwölfe zu stillen. Ständig neue und weitreichendereDatenenteignungsprozesse sind erforderlich, um den Marktwert digitalerUnternehmen zu steigern. Wie Zuboff betont, erfordert dies nicht nur einepermanente und zunehmende Überwachung – auch die Verletzung unsererPrivatsphäre sowie die Bildung von Monopolen sind notwendigeBegleiterscheinungen der digitalen Akkumulationslogik.

Als Beispiel für die Datenenteignungsprozesse im gegenwärtigen Kapitalismus dient abermals Google. Im Jahr 2007 begann „Google Street View“ auf der ganzen Welt Straßen und Gebäude zu fotografieren und bewarb das Ergebnis dann als neuen „Online-Dienst“. Wie bei der Suchmaschine stellte sich jedoch erst im Nachhinein heraus, dass die Bilder nicht Googles „Produkt“ und die NutzerInnen nicht Googles „KundInnen“ waren. Google Street View diente einzig und allein Google selbst: Zumindest 600 Gigabyte an persönlichen Daten (E-Mails, Passwörter, Telefonnummern, Kreditkarteninformationen, Fotos, Videos usw.) hat Google aus privaten WLAN-Netzen gestohlen. Dieses Beispiel soll illustrieren, dass digitale Unternehmen unser Verhalten mittlerweile auch in der realen „Offline-Welt“ verfolgen. Während uns also Cookies, Apps und „Like“-Buttons im Internet überwachen, verfolgen uns Sensoren, Kameras und Mikrochips auf der Straße, im Park und sogar innerhalb der eigenen Wohnung. In den Worten von Google-Gründer Larry Page: „Your whole life will be searchable.“

Digitale Arbeit schafft digitales Proletariat

Wenn digitale Unternehmen nicht durch Enteignung zu menschlichen Verhaltensdaten gelangen, dann greifen sie auf die Leistungen digitaler ArbeiterInnen zu. Es gibt heutzutage zwar viele unterschiedliche Tätigkeiten, die „digital“ verrichtet werden. „Idealtypisch“ gesprochen gilt aber: Im digitalen Kapitalismus wird digitale Arbeit verrichtet, um die digitalen Produktionsmittel von digitalen Unternehmen zu optimieren und somit den digitalen Produktionsprozess profitabler zu gestalten. Während also im Industriekapitalismus die ArbeiterInnen neue und bessere Maschinen produzierten, wird im 21. Jahrhundert menschliche Arbeitskraft eingesetzt, um Algorithmen zu trainieren. Sehr häufig wird digitale Arbeit daher als „KI-Training“ beworben, d. h. als Methode, um die künstliche Intelligenz digitaler Technologien zu verbessern, indem sie mit Daten aus menschlicher Hand gespeist werden. Wo künstliche Intelligenz noch nicht ausreicht, muss daher „künstlich“ nachgeholfen werden, indem Menschen die digitalen Technologien beim Lernen unterstützen. Amazon bewirbt dies als „künstliche künstliche Intelligenz“.

Amazon selbst vermittelt nämlich digitale Arbeit. Das Unternehmen besitzt einen eigenen „digitalen Arbeitsmarkt“ bzw. eine eigene „Online-Arbeitsplattform“. Auf Amazon Mechanical Turk können digitale ArbeiterInnen Aufträge entgegennehmen und diese dann für Amazons KundInnen erledigen. Diese Aufträge sind zumeist stumpfsinnig (z. B. alle Katzen auf Bildern auswählen) und schlecht bezahlt (90 Prozent aller Aufträge sind mit weniger als 10 Cent dotiert). Im Schnitt verdienen die ArbeiterInnen auf Amazon Mechanical Turk daher nur drei bis vier US-Dollar pro Stunde. Abgesehen davon gelten digitale ArbeiterInnen offiziell als „selbstständig“, sie sind also nicht sozial abgesichert, haben keine Mitspracherechte und keinen Kündigungsschutz. Sie sind den „Nutzungsvereinbarungen“ digitaler KapitalistInnen schutzlos ausgeliefert und haben keine Möglichkeit, deren „private Gesetze“ anzufechten. Sie arbeiten oft allein über den Computer von zu Hause aus und machen sich dabei selbst überflüssig, indem sie fremde Computer trainieren, die ihre Arbeit bald „effizienter“ erledigen. Digitale ArbeiterInnen bilden das digitale Proletariat des 21. Jahrhunderts.

Was es braucht: Wirtschaft in Gesellschaft einbetten

Der Wirtschafts- und Sozialwissenschafter Karl Polanyi bezeichneteden Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts als „entbettet“, d. h. alsvollkommen aus der Gesellschaft „herausgelöstes“ Wirtschaftssystem. Ohnegesetzliche Einschränkung und ohne demokratische Mitbestimmung wurden hierMensch und Natur schonungslos ausgebeutet. Auch der digitale Kapitalismus istweitgehend „entbettet“. Er ist das Ergebnis einer politischen und einertechnologischen Entbettung. Der Neoliberalismus hat dabei zahlreiche Regelungenzum Schutz von Mensch und Natur abgebaut, und mithilfe digitaler Technologienwerden die noch bestehenden Regelungen umgangen. So experimentieren Google undMicrosoft mit „schwimmenden Serverfarmen“ und „Arbeitsstädten“ ininternationalen Gewässern, wo kein nationales Arbeitsrecht gilt. Gleichzeitigversuchen Airbnb und Uber mittels Apps ihre KundInnen direkt zu erreichen, umgeltende Branchentarife, berufliche Zugangsberechtigungen undMehrwertsteuerpflichten zu umgehen.

Es ist höchste Zeit, den digitalen Kapitalismus „einzubetten“. Die Menschen müssen vor den datenhungrigen Fangarmen digitaler Unternehmen geschützt werden. Wir sind dabei nicht allein. Es gibt Gegenbewegungen: Shoshana Zuboff, Max Schrems, EPIC, Epicenter.Works, Turkopticon, Dynamo uvm. Schlussendlich geht es aber darum, die Wirtschaft im Sinne aller Menschen zu gestalten. Die beste Art, um die Wirtschaft „einzubetten“, ist daher ihre Demokratisierung. Schaffen wir eine Wirtschaftsdemokratie!

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