Energiearmut senken trotz Energiekrise und kommender Energiewende? Was dafür notwendig ist.

14. Dezember 2022

Die Energiepreise sind regelrecht explodiert und steigen weiterhin stark an. Allein von August 2021 bis August 2022 ist der Energiepreisindex (EPI) in Österreich um über 40 Prozent gestiegen. Der Ruf nach einer gesicherten und gleichzeitig leistbaren Energieversorgung wird in der Bevölkerung immer lauter. Um das zu erreichen ist es notwendig, unser Energiesystem so rasch wie möglich zu dekarbonisieren und erneuerbare Energien auszubauen. Dabei ist es jedoch wichtig, die anfallenden Kosten gerecht zu verteilen und allen Partizipation zu ermöglichen. Wie kann also die Energiewende erreicht, Energie aber gleichzeitig leistbar werden bzw. bleiben?

Was genau ist Energiearmut?

Energiearmut bedeutet „arm“ bzw. knapp an Energie zu sein. Aber nicht, weil zu wenig Energie zur Verfügung steht, sondern weil diese für die eigenen Bedürfnisse nicht (mehr) leistbar und damit nutzbar ist. Dies bezieht sich auf das Heizen, das Warmwasser und den Strom im eigenen Haushalt – Energie ist damit ein zentrales Element der Daseinsvorsorge und wichtige Grundlage zur Teilhabe am gesellschaftlichen Alltag.

Energiearme Haushalte sind meist sogar doppelt belastet, denn häufig kann der ohnehin schon knappe, weil bereits eingeschränkte Bedarf an Energie nur zu überproportional hohen Kosten und gleichzeitig durch Aufwendung eines hohen Anteils des Einkommens gedeckt werden. Das bedeutet: Betroffene Personen nutzen Energie nicht in der Art, wie sie es eigentlich brauchen würden, oder wenn sie dies tun, sind sie mit hohen Ausgaben konfrontiert und müssen an anderer Stelle einsparen.

Die Gründe für Energiearmut sind dabei vielschichtig, lassen sich aber grob in vier Bereiche unterteilen:

  • Finanzielle Einflussfaktoren: Haushaltseinkommen (Einnahmenseite) und Energiekosten (Ausgabenseite)
  • Technische Einflussfaktoren: thermische Effizienz von Wohngebäuden und energetische Effizienz von Elektrogeräten
  • Kulturelle/soziale Praktiken: Umgang mit und Wissen über Energie
  • Lokale Besonderheiten: Lage des Wohngebäudes, vorhandene Kompensationsmöglichkeiten

Dort, wo alle vier Indikatoren zusammentreffen, ist die Situation besonders prekär: Also bei finanziellen Schwierigkeiten aufgrund von geringem Einkommen und gleichzeitig hohen bzw. steigenden Energiepreisen, prekären Wohnverhältnissen mit schlechtem thermischen Wohnstandard bzw. veralteten Geräteausstattungen und wenig Kompensationsmöglichkeiten, bspw. aufgrund von fehlendem Wissen oder schlechter Gebäudelage.

Dabei zeigt sich: Um Energiearmut nachhaltig und umfassend zu bekämpfen, braucht es tiefgreifende und vor allem strukturelle Maßnahmen. Umfassende Konzepte sowohl im sozialpolitischen als auch energiepolitischen Bereich sind notwendig. Und es braucht auch ein „Zusammendenken“ dieser beiden Politikbereiche. Denn die Betroffenheit von Energiearmut ist eben nicht allein auf Einkommensarmut reduzierbar, sondern umfasst die genannten Einflussfaktoren. Finanzielle Transfers können bei verschiedenen Haushalten (stark) unterschiedliche Auswirkungen haben, abhängig davon, wie beispielsweise die Energieeffizienz des Gebäudes beschaffen ist. (Leben armutsbetroffene Haushalte in thermisch effizienteren Gebäuden, müssen sie automatisch weniger Geld fürs Heizen ausgeben – leider ist gerade das häufig nicht der Fall.) Daher müssen immer auch energiepolitische Maßnahmen, wie z. B. thermische Sanierungen, in einen Maßnahmenkatalog mitaufgenommen werden, um, wie im genannten Beispiel, Haushalte mit geringem Einkommen explizit zu unterstützen.

Energiearmut bekämpfen und gleichzeitig die Energiewende vorantreiben – Status Quo

Aufgrund der Komplexität von Energiearmut ist auch die statistische Erhebung nach wie vor schwierig. Eine kürzlich von der Statistik Austria veröffentlichte Studie nähert sich dem Phänomen an und analysiert anhand von zwei Energiearmutsindikatoren und weiteren soziodemografischen Merkmalen die Betroffenheit in Österreich. Der Fokus liegt dabei auf hohen Energiekosten und der Nicht-Leistbarkeit von Heizungsenergie. Die Ergebnisse beziehen sich auf die Zeit vor der Energiekrise, konkret auf die Jahre 2020 und 2021. Dabei zeigt sich, dass 123.000 Haushalte durch sehr hohe Energiekosten belastet waren und rund 81.000 Haushalte ihre Wohnungen nicht warmhalten konnten. Neueste Daten auf Quartalsbasis zeigen eine besorgniserregende Tendenz: Im 4. Quartal 2021 gaben bereits 6,6 Prozent der österreichischen Haushalte an, nicht mehr angemessen heizen zu können; im 2. Quartal 2022 waren es bereits 9,2 Prozent! Demnach konnten knapp 750.000 Menschen ihre Wohnung in Österreich nicht entsprechend warmhalten – und dies noch vor dem heurigen Winter.

Aktuell wird in Österreich hauptsächlich Symptombehandlung durchgeführt, statt die Ursachen direkt zu bekämpfen. Es werden zwar Einmal-Zahlungen zur Unterstützung für Energieabrechnung geleistet, klassisches Beispiel hierfür sind die Heizkostenzuschüsse der Bundesländer, das zu Grunde liegende Problem wird dadurch allerdings nicht behoben. Auch neu eingeführte Maßnahmen, wie die seit Dezember 2022 gültige Stromkostenbremse, entlasten zwar die Haushaltsbudgets und machen angesichts der derzeitigen Teuerungen auch Sinn, leisten aber keinen Beitrag zu den notwendigen strukturellen Verbesserungen. Auch bereits vorhandene Sanierungsmaßnahmen, die sich explizit an einkommensschwache Haushalte richten, wie bspw. die „Sauber heizen für alle“-Initiative 2022, sind in keinen größeren strategischen Rahmen eingebettet. Dies muss sich dringend ändern, um tatsächlich nachhaltig, effektiv und effizient wirken zu können. Zur Reduktion der Energiearmut braucht es Konzepte für die Vereinbarkeit der Energiewende und leistbarer Energie. Diese fehlen derzeit jedoch gänzlich.

Der Weg zur nachhaltigen Bekämpfung von Energiearmut: Maßnahmen und Konzepte zur leistbaren Energie

Es stellt sich daher die Frage, wie ein umfassender und strategisch eingebetteter Maßnahmenkatalog aussehen kann. In Anlehnung an die vier Dimensionen von Energiearmut und auf Basis von Expert:inneninterviews wurde die in der Grafik dargestellte Klassifizierung entwickelt. Sie beinhaltet strukturelle, finanzielle, technische und soziale Faktoren:

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Strukturelle Faktoren:

In Österreich gibt es nach wie vor keine offizielle Definition von Energiearmut – weder zur statistischen Erhebung noch bezogen auf Förderansprüche. Ohne eine solche Definition kann aber weder gemessen werden wie viele Menschen betroffen sind noch wer von Förderungen profitiert bzw. profitieren soll. Daher können auch keine Analysen hinsichtlich zeitlicher Verläufe bzw. der Größenordnung des Problems angestellt werden. Und es kann auch nicht evaluiert werden, ob und wie bestehende Maßnahmen wirken. Aus diesem Grund wäre es wichtig, eine offizielle Definition für Energiearmut zu formulieren und die relevanten Daten regelmäßig und umfassend zu erheben. Eine wichtige Einzelmaßnahme ist in diesem Zusammenhang die Schaffung einer übergeordneten Koordinationsstelle für alle relevanten Stakeholder im Bereich Energiearmut. Damit wären ein koordiniertes Vorgehen, frühzeitige Abstimmungen und notwendige Anpassungen rasch und unkompliziert möglich.

Finanzielle Faktoren:

Förderungen sind für die Umsetzung der Energiewende und der Bekämpfung der Energiearmut bzw. der Hilfestellung bei hohen Energiepreisen zentrale Instrumente. Diese finanziellen Unterstützungen müssen jedoch gezielter ausgeschüttet werden, um betroffenen Haushalten expliziter und umfassender zu nützen. Derzeitige Maßnahmen für betroffene Haushalte sind häufig nur der sogenannte Tropfen auf dem heißen Stein. An deren Stelle sollten auf Basis einer Energiearmuts-Definition Förderungen mit expliziten Förderkriterien festgelegt werden. So könnte einerseits zielgerichteter gefördert und andererseits könnten besonders betroffene Haushalte stärker unterstützt werden.

Derzeitige Förderungen für energiearme Haushalte sind häufig unübersichtlich, unnötig bürokratisch und nicht immer nachvollziehbar gestaltet, was den Zugang für diese Gruppe besonders erschwert. Um das zu vereinfachen, sollte eine Anlaufstelle im Sinne eines One-Stop-Shops eingerichtet werden, die ein „Rund-Um-Sorglos-Paketund damit alle notwendigen Informationen aber auch konkrete Handlungsschritte anbietet. Zusätzlich sollten alle Haushalte die Möglichkeit bekommen, während des gesamten Prozesses begleitet zu werden. Angefangen von fachlicher und finanzieller Beratung bis hin zur tatsächlichen Antragsstellung und Hilfeleistung für das konkrete Projekt sollte alles abgedeckt sein. Eine solche Maßnahme würde nicht nur energiearmen Haushalten helfen, sondern den Förder-Dschungel für alle Personen vereinfachen, unabhängig von Einkommen oder Bildungsstand und damit die Energiewende voranbringen.

Technische Faktoren:

Eng mit finanziellen Faktoren sind die technischen Faktoren verknüpft. Dabei sind vor allem die Investitionen zum Ausbau erneuerbarer Energien hervorzuheben, denn je mehr Energie aus nachhaltigen Quellen stammt, desto niedriger werden längerfristig die Energiepreise sein. Auch hierbei ist besonders zentral, den Zugang von energiearmen Haushalten zu gewährleisten und diesen explizit zu fördern, um jene Haushalte an technischen Neuerungen ebenfalls teilhaben zu lassen.

Soziale Faktoren:

Zu guter Letzt muss ein umfassendes Konzept zur Bekämpfung von Energiearmut und gleichzeitigem Voranbringen der Energiewende auch soziale Faktoren mitbehandeln. Es ist notwendig, zu den Themen Energieverbrauch, Energiewende und Energiearmut in der gesamten Bevölkerung Wissen und Sensibilität aufzubauen. Durch die derzeitige Energiekrise ist dies bereits – ungeplant – teilweise passiert, allerdings kann gerade die derzeit vor allem negative Konnotation auch zu Ressentiments und Widerständen führen. Daher ist es wichtig, aktive und individuelle Partizipations- bzw. Handlungsmöglichkeiten, neben den bereits genannten strukturellen Maßnahmen, aufzuzeigen, um den größtmöglichen Erfolg zu gewährleisten. Bildungsarbeit sollte dabei nicht zu kurz kommen, vor allem auch was die unterschiedliche Betroffenheit von verschiedenen Bevölkerungsgruppen durch die derzeitige Energiekrise betrifft, um damit die Wichtigkeit des Gelingens der Energiewende für alle hervorzuheben.

Es muss sich etwas ändern!

Neben der Klimakrise spielen auch die steigenden Energiepreise eine treibende Rolle bei der Umsetzung der Energiewende und haben in den letzten Monaten den öffentlichen Diskurs geprägt. Der Ausbau von erneuerbaren Energien muss vorangetrieben werden und endlich Fahrt aufnehmen. Und gerade was die Kosten angeht, muss die Energiewende verteilungs-, verursachungs- und gerechtigkeitspolitischen Überlegungen folgen. Jenen Gruppen, die bereits im jetzigen System Schwierigkeiten haben, ihren Energiebedarf adäquat decken zu können, muss ebenso ermöglicht werden, an technischen Neuerungen, Innovationen und erneuerbaren Energien teilhaben zu können, wie dies jenen Gruppen möglich ist, die bereits technikaffin sind und über die notwendigen ökonomischen Ressourcen verfügen. Dafür müssen endlich die Ursachen angegangen werden und nicht nur die Auswirkungen abgeschwächt werden. Die Politik ist gefordert, endlich ein umfassendes Konzept zur Erreichung der Klimaziele bei gleichzeitiger Adressierung der sozialen Auswirkungen der Energiewende vorzulegen. Nur so kann die Ursache für Energiearmut bekämpft werden und die Energiewende endlich voranschreiten. Die vorgestellte Klassifizierung zeigt die dabei zu beachtenden Dimensionen auf. Finanzielle Förderungen und Energiesparkampagnen allein sind jedenfalls zu wenig, um nachhaltig erfolgreich zu sein.