Wasserstoff hat sich innerhalb der letzten zwei Jahre von einem kaum beachteten Thema zum vermeintlichen Schlüssel der Energiewende entwickelt. Welchen Einfluss hatten Interessengruppen dabei, welche Positionen vertreten diese und wie nachhaltig ist Wasserstoff? Verschiedenste Interessengruppen mischen in der EU-Wasserstoffdebatte mit, um den Entscheidungsprozess zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die bedingungslosen Befürworter:innen von Wasserstoff, allen voran Hydrogen Europe, Erzeuger fossiler Energie und Gasnetzbetreiber, konnten dabei viele ihrer Wünsche durchsetzen.
Wasserstoff = nachhaltig?
75 Prozent der derzeitigen EU-Treibhausgasemissionen entstehen durch die Erzeugung und Nutzung von Energie. Ein Übergang zu einem sauberen Energiesystem ist demnach unabdingbar. Wasserstoff gilt hier als Hoffnungsträger, denn er verbrennt emissionsfrei, er kann im Gegensatz zu Strom langfristig gespeichert werden und hat das Potenzial, Sektoren wie die Schwerindustrie, den Schwerlastverkehr, die Schiff- und Luftfahrt zu dekarbonisieren.Also jene Bereiche, in denen eine Elektrifizierung, soweit machbar und daher vorzuziehen, technisch unmöglich ist. Allerdings kommt Wasserstoff in der Natur nicht isoliert, sondern nur in gebundener Form vor. Um ihn also zu nutzen, müssen die Verbindungen zunächst getrennt werden. Und obwohl Wasserstoff mit erneuerbaren Energien mit erheblichen Energieverlusten erzeugt werden kann (grüner Wasserstoff), wird er derzeit zu 96 Prozent mit fossilen Energien erzeugt (grauer Wasserstoff). Fängt man dabei die entstehenden Kohlenstoffemissionen durch „Carbon Capture Storage and Utilisation“-(CCSU-)Technologien ab, spricht man von blauem Wasserstoff. Diese Technologie ist jedoch umstritten, da sie noch nicht im kommerziellen Maßstab erprobt ist und produziert wird. Zudem zeigen Studien, dass blauer Wasserstoff über die gesamte Lieferkette hinweg mehr Emissionen verursacht als die direkte Verbrennung von Erdgas.
Wasserstoff polarisiert
Das Thema Wasserstoff bewegt und spaltet die verschiedenen Interessengruppen. Während die einen in Wasserstoff den Energieträger der Zukunft sehen, warnen andere davor, dass die fossile Energiewirtschaft Wasserstoff als Chance nutzen könnte, ihr traditionelles Geschäftsmodell fortzuführen. Sie verweisen dabei auf mögliche Lock-in-Effekte von grauem oder blauem Wasserstoff.
Umwelt-NGOs und Erzeuger:innen erneuerbarer Energie sehen nur grünen Wasserstoff als Option und stellen sich eindeutig gegen blauen Wasserstoff und den Einsatz von CCSU-Technologien. Sie befürworten einzig die Verwendung von Wasserstoff in schwer dekarbonisierbaren Sektoren.
Die anderen Interessengruppen, allen voran Hydrogen Europe, Erzeuger fossiler Energie und Gasnetzbetreiber, fordern, dass sowohl grüner als auch blauer Wasserstoff zumindest in der Anfangsphase durch eine EU-Wasserstoffstrategie unterstützt wird. Weiters sehen sie einen breiteren Markt für Wasserstoff und befürworten ausdrücklich dessen Nutzung in Wohn- und Gewerbegebäuden, im Straßenverkehr und im Stromsektor.
Ungleicher Zugang zur Kommission
Da der Erfolg von Unternehmen maßgeblich davon abhängt, wie sich die Kommission zu Wasserstoff positioniert, bemühen sich Interessengruppen, den Entscheidungsprozess zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Dabei unterscheiden sich diese erheblich im Zugang zur Kommission. So sind die Interessengruppen der Erzeuger:innen fossiler Energie und Hydrogen Europe gleich in mehreren beratenden EU-Gremien zu Wasserstoff vertreten und hatten während des Beobachtungszeitraums (Dezember 2019 bis Mai 2022) jeweils 32 und 21 Treffen mit Mitgliedern der Kommission zum Thema Wasserstoff. Im Gegensatz dazu sind Umwelt-NGOs und Produzent:innen erneuerbarer Energie nur in einem einzigen Beratungsgremium vertreten und hatten jeweils nur 13 und 12 Treffen.