Vielfalt statt Einfalt: Warum es Pluralismus in der Ökonomik braucht

12. April 2019

Die Wirtschaftswissenschaft steckt nach wie vor in einer tiefen Krise. Innerhalb der Mainstream-Ökonomik werden kaum relevante Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit formuliert und auch im Zuge der Wirtschaftskrise zeigte sich deutlich, dass ihr Verständnis der Ökonomie, ihre Annahmen und Modelle von der Realität nicht weiter entfernt sein könnten. Ein Aufleben des Pluralismus und der Ideenvielfalt innerhalb der Ökonomik ist daher gesamtgesellschaftlich dringend notwendig. Doch warum lässt dieser so lange auf sich warten?

Die Monopolstellung des ökonomischen Mainstreams

Der Siegeszug des ökonomischen Mainstreams spiegelt sich seit Jahrzehnten in seiner Monopolstellung sowohl innerhalb der universitären Lehre und Forschung als auch in seiner Deutungshoheit über grundlegende wirtschaftspolitische Fragestellungen wider. Für Studierende der Volkswirtschaftslehre bedeutet das: einseitige Modelle statt einer Vielfalt von unterschiedlichen Ansätzen, Methoden und Instrumentarien zur Erklärung wirtschaftlicher Zusammenhänge und Prozesse. Die Folge: Als zukünftige EntscheidungsträgerInnen verfügen AbsolventInnen der Volkswirtschaftslehre nur über ein sehr eingeschränktes Repertoire an wirtschaftlichen Erklärungsmodellen; viele Studierende wissen gar nicht, dass es verschiedene ökonomische Ansätze gibt, welche durchaus zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Das wiederum hat direkt Einfluss auf die Wirtschaftspolitik und damit die gesamte Gesellschaft. Eindrucksvoll lässt sich dies am Versagen des ökonomischen Mainstreams zeigen, die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise vorauszusehen, und noch viel mehr daran, diese sinnvoll zu bekämpfen. Die Krisenbekämpfungsstrategien der Troika in Griechenland sind exemplarisch für die Rezepte der Mainstream-Ökonomik. Im Krisenverlauf wurden dort unter anderem die Löhne öffentlich Bediensteter eingefroren oder drastisch gesenkt, der Einfluss griechischer Gewerkschaften stark zurückgefahren, öffentliches Eigentum privatisiert und der ArbeitnehmerInnenschutz aufgeweicht. Die Folgen waren ein extremer Anstieg von Arbeitslosigkeit, Armut und massive soziale Verwerfungen. Auch der mediale Diskurs in wirtschaftspolitischen Fragen ist entscheidend von der Dominanz der Mainstream-Ökonomik geprägt.

Kritik am Mainstream vorhanden

Dabei ist es keineswegs so, dass es keine KritikerInnen dieser „Krisenverschärfungspolitik“ gegeben hätte. Viele Denkschulen außerhalb des aktuellen Mainstreams haben vor der Instabilität des Finanzsystems oder den negativen Folgen der EU-Krisenpolitik eindringlich gewarnt. Ausreichend Expertise war bereits vor dem Ausbruch der Krise vorhanden. Die Instrumentarien, um sie zu bekämpfen, etwa durch öffentliche Investitionen, wurden vom ökonomischen Mainstream lange Zeit weitgehend ignoriert oder abgelehnt. Wie kommt es also, dass sich Meinungen anderer Denkrichtungen nicht durchsetzen?

Wissenschaftliche Zeitschriften: Kein Platz für alternative Theorien

Zum einen hat dies mit dem in der Volkswirtschaftslehre vorherrschenden Publikationssystem zu tun, das einen Hang zu „Selbstreferenz“ hat. In der Regel werden Universitätsinstitute nach dem Wert ihrer wissenschaftlichen Publikationen finanziert. Persönliche Karrieren in der Wissenschaft sind nur über diese akademische „Währung“ möglich. Publizieren ForscherInnen in gut „gerankten“ (also sehr bedeutsamen) wissenschaftlichen Zeitschriften, gilt die dort publizierte Arbeit als wissenschaftlich wertvoller als eine Publikation in einer weniger gut gerankten Zeitschrift. Die meisten Theorien außerhalb des ökonomischen Mainstreams können jedoch nur in schlecht gerankten Zeitschriften publiziert werden, da die Artikel, unabhängig von ihrer wissenschaftlichen Qualität, von den Top-Zeitschriften nicht angenommen werden. Denn die am höchsten dotierten Zeitschriften beschäftigen sich ausschließlich mit Mainstream-Theorien und lassen anderen, davon abweichenden Ansätzen damit keinen Platz. Alternative Theorien, welche eben auch zu anderen wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen kommen, werden kaum gehört und in der wissenschaftlichen Community nicht diskutiert.

Verlorenes Know-how

Ein weiterer Grund dafür, dass sich Denkschulen abseits des ökonomischen Mainstreams nicht oder nur schwer durchsetzen, ist die Tatsache, dass mittlerweile Generationen an Studierenden ausschließlich in Mainstream-Theorien unterrichtet wurden. Das hat zur Folge, dass es an vielen Universitäten gar nicht mehr möglich ist, Lehrpersonal zu finden, das auch andere Denkschulen gelernt hat, beherrscht und unterrichten kann.

Fehlendes Geld

Zuletzt tragen auch die Unterfinanzierung der Universitäten und eine nur sehr begrenzte Zahl externer Fördermöglichkeiten für Forschung abseits des Mainstreams zu dessen Dominanz innerhalb der Volkswirtschaftslehre bei. Ein großer Teil außeruniversitärer „Denkfabriken“, welche den öffentlichen Diskurs zu wirtschaftspolitischen Themen beeinflussen, sind in ihrer Arbeit dem Mainstream zuzurechnen. Nicht selten sind diese Denkfabriken von Unternehmen, Banken oder Versicherungen finanziert, die als GeldgeberInnen ihre eigenen politischen Interessen verfolgen und durchsetzen möchten. Finanzierungsquellen für Forschung, die aus einer Nicht-Mainstream-Perspektive arbeitet, finden sich ungleich schwieriger.

In Summe: Ein Publikationssystem, in dem Top-Zeitschriften fast ausschließlich Artikel zur Mainstream-Ökonomik publizieren, ein immer kleiner werdender Anteil an Lehrenden, die auch in alternativen Denkschulen ausgebildet wurden, sowie die unzureichende Finanzierung von Ansätzen abseits des ökonomischen Mainstreams verhindern Pluralismus und Ideenvielfalt in der Volkswirtschaftslehre. Damit wird jedoch auch Wissen verdrängt, das für wirtschaftspolitische EntscheidungsträgerInnen nützlich sein kann, wie vor allem die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise gezeigt hat.

Pluralismus in der Volkswirtschaftslehre stärken

Auch wenn die Umstände nicht einfach sind, so konnte in den letzten Jahren mit Kritik und Protest eine Gegenbewegung initiiert werden. Im Jahr 2014 veröffentlichten Studierende aus 19 Ländern ein gemeinsames Manifest, in dem sie sich öffentlich gegen die Einseitigkeit der Lehre innerhalb der volkswirtschaftlichen Disziplin auflehnten. Seither ist diese Bewegung stark gewachsen. Allein im deutschsprachigen Raum haben sich über 30 aktive Gruppen zum Netzwerk für Plurale Ökonomik zusammengeschlossen. Auch im internationalen Netzwerk Rethinking Economics stehen mittlerweile Dutzende Gruppen in gegenseitigem Austausch. Ein wichtiger Bestandteil der Vernetzung und Förderung von ForscherInnen sind wissenschaftliche Konferenzen. Daher organisiert die Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien im April 2019 bereits zum zweiten Mal eine Konferenz für Pluralismus in der Ökonomik, in deren Rahmen auch alternativen und interdisziplinären Ansätzen Raum gegeben wird.

Die Konferenz soll es WissenschafterInnen und interessierten Studierenden auch abseits der Mainstream-Ökonomik ermöglichen, sich untereinander auszutauschen und in einen Diskurs zu treten. Es ist entscheidend, dass sich ÖkonomInnen über die drohende Klimakatastrophe Gedanken machen, den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Wirtschaftsweise und Ressourcenausbeutung diskutieren oder über ökonomische Verteilungsfragen sprechen, die heute relevanter denn je erscheinen. Und es ist höchste Zeit, dass ÖkonomInnen über ihr eigenes Verständnis der Disziplin reflektieren, die Annahmen ihrer Modelle hinterfragen und Konzepte entwickeln, wie eine realitätsnahe und relevante Volkswirtschaftslehre an den Universitäten gelehrt werden kann. Damit wir auf die nächste Krise die richtigen Antworten haben.

 

Die Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien lädt zur 2nd Vienna Conference on Pluralism in Economics vom 15.–16. April an der Universität für Bodenkultur. Registrierung unter: http://conference.plurale-oekonomik.at/registration-1/