Die Volkswirtschaftslehre (VWL) befindet sich in der Krise. Proteste von Studierenden gegen Einseitigkeit im VWL-Lehrplan erregten 2014 großes Aufsehen. Ökonomiestudierende aus 19 Ländern veröffentlichten ein Manifest, das harsche Kritik an der herrschenden Lehre beinhaltet. Diese Kritik bezieht sich auf den fehlenden Pluralismus im Lehr- und Forschungsbetrieb. Mit einer Podiumsdiskussion am 29. Oktober soll zur Lösung dieser Krise beigetragen werden. ÖkonomInnen von Universitäten, Wirtschaftsforschungsinstituten und der Nationalbank werden an der WU diskutieren, wie es um die derzeitige Debatte um Pluralismus in der Ökonomie steht.
Worum geht es überhaupt in der der aktuellen Diskussion?
Nicht erst seit der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise steht die Ökonomie unter Kritik, zu einseitig an entscheidende Fragen heranzugehen. Historisch gesehen nimmt die Vielfalt der an VWL-Instituten gelehrten Theorien und Methoden ab. Die Neoklassik hat im letzten Jahrhundert erfolgreich die Rolle als dominanter theoretischer Ansatz an den Universitäten eingenommen. Während der Keynesianismus teilweise vereinnahmt wurde, gibt es eine Fülle von Forschung, die mit anderen Methoden und Theorien Fragen der Ökonomie behandelt. Diese Forschung findet man nur mehr sehr selten an VWL-Instituten, sondern hauptsächlich in nicht-universitären Institutionen. Dadurch ist die Debatte zwischen den verschiedenen Schulen deutlich abgekühlt, direkter Kontakt ist eher selten und wenig ergiebig.
Doch wozu überhaupt Pluralismus?
Gegenwärtig wird an den Universitäten die angesprochene Monokultur gelehrt. Auch wenn es hier und da Versuche gibt, die Studierenden zum kritischen Hinterfragen der Annahmen zu motivieren, bleibt Kritik meist aus. Für das Ausbleiben von Kritik spielt jedenfalls das Fehlen von Alternativen eine Rolle. Womit sollen herrschende Paradigmen denn überhaupt verglichen werden? Bietet der bestehende Rahmen überhaupt genug Freiraum für wissenschaftliche Kreativität? Das Einbinden von verschiedenen theoretischen Ansätzen würde hier Abhilfe leisten können. Wenn ökonomische Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden, scheint eine vernünftige Lösung wahrscheinlicher als durch eine einzige Brille. Von einer kritischen Masse an Studierenden ist auch ein kritischer Umgang mit Forschung zu erwarten, was sich auch in der Vielfältigkeit der Fragestellungen äußern kann.
Die wenigen ÖkonomInnen, die nach der Krise behauptet haben, diese vorausgesehen zu haben, bewegen sich meist abseits des Mainstreams. Auch wenn es zu bezweifeln ist, dass eine vielfältige Volkswirtschaftslehre die Krise verhindert hätte, wäre die Diskussion vor und nach Ausbruch der Finanzkrise womöglich anders verlaufen. Während sich vor der Krise der Konsens der “Great Moderation” – eine Bezwingung der Wirtschafszyklen seit den 1980ern – breit machte, konnten die meisten ÖkonomInnen keine Antworten auf politisch drängende Fragen bieten. Da eine vielfältigere ökonomische Forschung einen kritischeren Umgang mit wirtschaftspolitischen Fragen verspricht, wird sie in weiterer Folge für die Gesellschaft durchaus von Vorteil sein.
Aber nicht nur die Finanzkrise wirft Fragen über den Zustand der VWL auf, weitere drängende Fragen des 21. Jahrhunderts werden nicht adäquat von der aktuellen Forschung reflektiert. Die extrem konzentrierte Einkommens- und Vermögensverteilung sowie ökologische Krisen wie Klimawandel und Ressourcenverbrauch gehören zu kaum betrachteten Problemen in der VWL. Zwar gibt es zum Beispiel Teilbereiche wie “The Economics of Climate Change”, oft werden dabei aber nur althergebrachten Dogmen wiederholt und so grundlegende Problematiken zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit gar nicht erst betrachtet. Bezüglich der Vermögensverteilung lässt sich anfügen, dass zwar mit der Veröffentlichung von Pikettys Das Kapital im 21. Jahrhundert etwas Bewegung in die ökonomische Debatte gekommen ist. Aber es ist kein Zufall, dass gerade Piketty scharfe Kritik an der derzeitigen Ökonomik übt und selbst auch Unterstützer der Pluralismus-Bewegung ist. Eine plural und kritisch ausgebildete Generation von Studierenden ist gerade hier unablässig, könnte sie doch das notwendige Hinterfragen alter Dogmen schaffen.
Wie hat die VWL auf die Krise reagiert?
Modelle, die bereits vor 2007 Finanzinstabilität thematisiert haben, standen jedenfalls nicht im Mittelpunkt. Viele Ansätze aus Vorkrisenzeiten sind heute wieder en vogue, z.B. Finanzinstabilität nach Minsky oder Schuldendeflation nach Fisher, wären aber ohne eine Finanzkrise weiterhin nur in Archiven zu finden. Es hat den Anschein, als wäre nur eine Wirtschaftskrise im Stande, ökonomische Paradigmen zu erschüttern.
Selbst wenn sich an der Forschungsfront derzeit viel bewegt, bekommen Studierende meist sehr wenig davon mit. Auch der Fächerkanon der Wiener Universitäten konzentriert sich darauf, die Methoden und Standardmodelle zu lehren, welche auch in den letzten Jahrzehnten gelehrt wurden. Eine Mischung aus Alternativlosigkeit und Wettbewerbsdruck wird meist als Begründung angegeben. Denn auch an den international führenden Universitäten wird ökonomischer Mainstream unterrichtet, während ForscherInnen im selbigen unterwegs sind. Das schreckt viele kritische Studierende ab, die dem formalen Anspruch und einseitigem Denken den Rücken kehren.
Die Proteste der Studierenden spielen hier eine wichtige Rolle. Der politische Druck auf die VWL wird durch Kritik von Studierenden sozusagen von innen heraus verstärkt. Viele Gruppen haben sich international vernetzt und tauschen Informationen untereinander aus, was an ihren Instituten verändert wurde oder noch zu verändern ist. Sie verlangen von ihren Lehrenden keine Antworten, sondern einen freieren Umgang mit Fragen.
Oder wie bereits Joan Robinson meinte:
“The purpose of studying economics is not to acquire a set of ready-made answers to economic questions, but to learn how to avoid being deceived by economists.”