Wie sich die Wirt­schaft trans­for­miert und die Rolle(n) einer ak­tiven Wirt­schafts­politik

20. September 2024

Die aktuellen globalen Trends von Klimakrise, Digitalisierung und Demografie stellen uns vor Aufgaben bisher ungeahnten Ausmaßes. Sie sind Ursache und Triebfeder der Veränderung unserer Wirtschaft. Dabei liegt die Veränderung nicht als unbekanntes Terrain weit in der Zukunft, sondern sie findet bereits statt in Form einer aktiven Suche nach Lösungen. Der Wirtschaftspolitik kommen zwei zentrale Aufgaben zu. Einerseits muss sie Perspektive und Entwicklungsrichtungen vorzeichnen und andererseits den Veränderungsprozess in Summe ihrer Teile klug orchestrieren. Keine triviale, aber eine lösbare Aufgabe.  

Die Ökologisierung von Wirtschaft und Industrie als Chance für regionale Beschäftigung und Wertschöpfung 

Erst vor kurzem hat eine Studie des Wiener Instituts für internationale Entwicklung (WIIW) gemeinsam mit Kontext – dem Institut für Klimafragen, gezeigt, dass sich eine Stärkung der europäischen Produktion grüner Technologien äußerst positiv auf Wertschöpfung und Arbeitsplätze auswirkt. Das oftmals bemühte „Arbeitsplätze oder Umwelt“-Argument steht damit auf sehr tönernen Füßen.  

Vielmehr als um die Frage des „Ob“ oder des „Entweder-Oder“, sollte es um die aktive Gestaltung des „Wie“ in den zahlreichen Transformationsdebatten gehen. Wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie wir den Übergangsprozess vom Status-Quo in die digitale Zukunft und die Klimaneutralität gestalten und was es dazu braucht, damit dieser Prozess halbwegs glatt verläuft. Der Wirtschaftspolitik kommt in der Gestaltung des Rahmens und der gezielten Anreizung gewünschter Entwicklungen eine äußerst wichtige Rolle zu. Das Prinzip eines „gerechten Übergangs“, einer Just Transition, kann dazu die Leitlinie für die wirtschaftspolitische Gestaltung des Transformationsprozesses sein.  

Wie sich Unternehmen transformieren 

Wenn wir von der notwendigen Veränderung unserer Wirtschaft sprechen, müssen wir versuchen zu verstehen, was eine Transformation zu den digitalen und klimaneutralen Unternehmen der Zukunft ausmacht. Der Übergangsprozess selbst ist vielschichtig und von vielen externen Faktoren, wie Preisentwicklungen, Kapitalkosten, der Verfügbarkeit von Fachkräften und vielem mehr abhängig. Investitions- und Entwicklungsentscheidungen finden nicht im luftleeren Raum statt, sondern gehen immer vom bereits Bestehenden aus. Die umfassende Literatur aus der Unternehmensberatung und Unternehmensentwicklung unterscheidet nach Umfang, Dauer und Tiefe der Veränderung zwischen Change-Management, z. B. über einzelne Projekte oder Abteilungen, und Transformationsmanagement, welches die Struktur des Unternehmens als Ganzes erfasst. Eine aktive Wirtschaftspolitik kann mit ihrem Instrumentarium an Regulierungen, Förderungen und Anreizen hier eingreifen und den Übergangsprozess ein- und anleiten, indem sie das wirtschaftliche Umfeld und den Rahmen für die wirtschaftliche Entwicklung absteckt.  

Wirtschaftliche Übergangsprozesse unter der Lupe 

Unternehmen agieren in einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld. Der Rahmen, in dem sie dies tun, kann durch die Wirtschaftspolitik gestaltet werden. Dies reicht von der Angebotsseite und der Förderung von Forschung & Entwicklung über Produktionsprozesse selbst bis hin zur Nachfrageseite durch die aktive Schaffung von Leitmärkten. Stichwort sind dazu „gesellschaftliche Missionen“, das heißt die Orientierung der Wirtschaftspolitik an den großen gesellschaftlichen Herausforderungen mit dem Ziel einen Beitrag zu deren Lösung zu leisten.   

In den Unternehmen selbst, welche durch wirtschaftspolitische Maßnahmen oder Weichenstellungen beeinflusst werden, setzen sich Übergangsprozesse grob stilisiert aus zwei Strategien zusammen: der Transformation und der Diversifikation (Abbildung 1). 

© A&W Blog


Transformation meint hier im engeren Sinne die strukturelle Umwandlung bestehender Geschäftsmodelle und Dienstleistungen durch Innovation oder Exnovation. Oder anders ausgedrückt:  Produkte und Dienstleistungen neu erfinden oder bleiben lassen. Das Ziel der Transformation im Betrieb ist der Erhalt von Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit. Ein Beispiel ist dazu die Umstellung der Stahlproduktion auf grünen Stahl. Statt auf fossile Energien setzt man auf Technologien, die es erlauben, erneuerbare Energien für die Stahlerzeugung zu verwenden und den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Vorzeigebetriebe gibt es dazu auch in Österreich, zum Beispiel die Voest Alpine. Ziel der Unternehmen ist es, mit den neuen Produkten und Dienstleistungen die mit einer klimaneutralen Wirtschaft verbundenen Marktchancen zu effektiv zu nutzen. Die mit der Transformation verbundenen Herausforderungen fußen auf sogenannten „Pfadabhängigkeiten“ sowie Markt- und Innovationsrisiken. Pfadabhängigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine Transformation der Geschäftsmodelle sich nur entlang der technischen Möglichkeiten der zugrunde liegenden Produkte und Dienstleistungen sowie des im Betrieb vorhandenen Know-hows bewegt. Überspitzt formuliert wird aus einem Autohersteller kaum eine Pflegeeinrichtung oder umgekehrt. Anpassung, Veränderung und Innovation benötigen facheinschlägiges Know-how und Kompetenzen. Ist der „Weg“ zu weit, ist eine Neugründung oft zielführender als der Umbau des Bestehenden. Darüber hinaus sind mit den Veränderungen auch Markt- und Innovationsrisiken verbunden. Gibt es in Zukunft einen Markt für die neuen Produkte? Wenn die Antwort ja ist, zu welchen Preisen? Und werden sich dadurch die Investitionskosten rechnen? Alles wesentliche Fragen, die es bei großen Investitionsentscheidungen zu treffen gilt. 

Die zweite Strategie in Übergangsprozessen ist jene der Diversifikation. Sie bezeichnet den Auf- und Ausbau neuer Geschäftsfelder und -modelle. Gänzlich neue Produkte und Dienstleistungen werden in das eigene Portfolio mitaufgenommen. Beispielsweise treten immer mehr Automobilhersteller auch als Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen auf oder Energieversorgungsunternehmen bieten nicht nur Strom und Gas an, sondern ebenso Handytarife. Der Hintergrund für dieses Verhalten ist klar: Man sucht Anschluss in neuen Marktfeldern und übt sich im Kompetenz- und Produktionsaufbau, um in Folge neu entstehende Marktchancen zu nutzen. Auch hier existieren wieder Investitions- und Marktrisiken als große Herausforderungen. Darüber hinaus können disruptive technologische Entwicklungen in Produkten oder Dienstleistungen, in denen man nicht seine Kernkompetenz hat, Unternehmen am falschen Fuß erwischen. Ein nicht zu unterschätzendes Risiko, an welchem sich schon so manches Unternehmen in der Vergangenheit übernommen hat.  

Die Rolle(n) einer aktiven Wirtschaftspolitik 

Eine aktive und vorausschauende Wirtschaftspolitik kann neben einem Erwartungsmanagement durch glaubwürdige Ziele und Entwicklungsrichtungen Investitionsrisiken reduzieren. Gleichzeitig kann sie gezielt durch die öffentliche Beschaffung Nachfrage anreizen und den Aufbau von Leitmärkten unterstützen. Das Festsetzen von Regulierungen, wie Produktvorschriften, Normen und Standards, Quoten und vieles mehr, kann dazu beitragen Entwicklungsrichtungen vorzuzeigen. Übernimmt die öffentliche Hand unternehmerische Investitionsrisiken, können die Vorteile, die daraus resultieren, über Förderbedingungen breiter in der Gesellschaft verteilt werden. Der Instrumentenkoffer der Wirtschaftspolitik ist prall gefüllt. Die große Herausforderung liegt daher nicht an einem Fehlen des Instrumentariums, sondern am gezielten Einsatz und an der Ausgestaltung der Maßnahmen.  

Erschöpft sich damit die wirtschaftspolitische Gestaltung der Transformation? Mitnichten! Geht es doch um viel mehr als die technische und ökonomische Ausgestaltung von Veränderungsprozessen. Es braucht ein Mehr an Mitbestimmung, Demokratie und Teilhabe, einen beherzten Kampf gegen Ungleichheit und um eine faire Verteilung der Transformationslasten. Ganz im Sinne einer Just Transition. Doch es ist zumindest ein Anfang und ein erster Schritt am Weg in die digitale und klimaneutrale Wirtschaft der Zukunft.

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung