Steuern auf Arbeits­einkom­men in Öster­reich laut OECD zu hoch

13. September 2024

Die Steuern auf Arbeitseinkommen sind in Österreich im internationalen Vergleich sehr hoch (OECD). Das gilt für alleinstehende Arbeitnehmer:innen und Familien mit Kindern und ohne Kinder gleichermaßen. Um „wachstumsfreundlichere“ Bedingungen zu schaffen und das verfügbare Einkommen der Haushalte zu erhöhen, empfiehlt die OECD steuerpolitische Reformen. Es besteht dabei aber die Gefahr, dass sich Arbeitnehmer:innen diese durch andere Steuern oder geringere öffentliche Leistungen selber bezahlen müssen. 

OECD-Empfehlungen zur Verbesserung der Steuerstruktur 

Die OECD empfiehlt der österreichischen Regierung einen sehr umfassenden Maßnahmenkatalog, auch hinsichtlich sozialstaatlicher Leistungen, die hier nicht behandelt werden. Die wichtigsten steuerstrukturpolitischen Vorschläge sind: Steuern und Abgaben auf Arbeit sollen um beachtliche 2,0 Prozentpunkte oder 0,8 % des BIP reduziert werden. Als Gegenfinanzierung schlägt die OECD eine Erhöhung der Grundsteuer und eine Erhöhung der CO2-Besteuerung um jeweils 0,4 % des BIP vor. Zudem sollen das Dieselprivileg gestrichen und die Steuersätze auf Benzin und Diesel erhöht werden. Die Immobilienertragssteuer soll gesenkt, eine progressive Erbschaftssteuer eingeführt werden, wobei Letztere nicht primär dem Erzielen hoher Steuereinnahmen dienen soll. 

Auswirkungen der OECD-Steuer-Empfehlungen 

Mit ihren Empfehlungen nach einer Senkung der Steuern und Abgaben auf den Faktor Arbeit scheint die OECD auf den ersten Blick voll auf Linie mit den Interessenvertretungen der Arbeitnehmer:innen, also Arbeiterkammern und Gewerkschaften, zu sein. Bei genauerer Betrachtung gewinnt man aber den Eindruck, dass sich die Beschäftigten diese Entlastung des Faktors Arbeit aber durch höhere Abgaben in anderen Bereichen bzw. geringere öffentliche Leistungen zu einem guten Teil selbst zahlen sollen. 

Zum einen kommt es bei der Senkung der Abgaben auf Arbeitseinkommen darauf an, was denn nun genau gesenkt werden soll. Senkt man etwa die sogenannten „Lohnnebenkosten“, so entspricht das faktisch einer Lohnkürzung. Denn die Arbeitnehmer:innen würden diese Senkung in Form geringerer sozialstaatlicher „Gegenleistung“ bezahlen, während Unternehmensgewinne stiegen. 

Zum anderen kommt es auf die Art der Gegenfinanzierung an. Wenn man etwa die Lohnsteuersätze entlang der Progression senkt und im Gegenzug dafür Steuern und Abgaben erhöht, die einen großen Teil der Arbeitnehmer:innen treffen bzw. auf diese überwälzt werden, so bezahlen sich die Beschäftigten die Lohnsteuersenkung selbst. Die von der OECD empfohlenen Gegenfinanzierungsmaßnahmen scheinen in diese Richtung zu gehen: Erhöhung der CO2-Bepreisung, Abschaffung des Dieselprivilegs, Erhöhung der Mineralölsteuern oder auch die Erhöhung der Grundsteuer werden einen Großteil der Beschäftigten direkt oder indirekt nach Überwälzung der Steuer finanziell treffen. 

Eine unvollständige Budget-Analyse 

Was die Fiskalpolitik betrifft, kritisiert die OECD Österreichs hohe Budgetdefizite und die „historisch hohe“ Staatsschuldenquote, vergisst aber zu erwähnen, dass dies durch die im Vorjahr und heuer verfügten Senkungen des Körperschaftsteuersatzes von 25 auf 23 Prozent mitverursacht wird. Jedes Jahr gehen dadurch rund 1,2 Milliarden Euro Steuereinnahmen verloren, was die Steuerschieflage zulasten der Arbeitnehmer:innen weiter verschärft. Diesen Einnahmenausfall bezahlen die Beschäftigten entweder durch Kürzungen der staatlichen Leistungen oder in Form von Erhöhungen anderer Abgaben, Gebühren oder Selbstbehalte. Kein Wunder, dass Arbeiterkammern und Gewerkschaften vehement die Rücknahme der Steuersenkungen auf Unternehmensgewinne verlangen. 

Gegenfinanzierungen müssen zu Ende gedacht werden 

Für eine arbeitnehmerorientierte Politik reicht es nicht aus, eine Entlastung des Faktors Arbeit zu verlangen. Denn dabei bleibt unklar, wer von der Entlastung profitieren bzw. wer die erforderliche Gegenfinanzierung leisten soll. Vielmehr muss es Ziel sein, die Arbeitnehmer:innen so zu entlasten, dass sie durch eine Steuerstrukturreform tatsächlich über höhere Nettoeinkommen – bei gleichbleibenden oder verbesserten öffentlichen Leistungen – verfügen. Eine Reduktion von Steuern und Abgaben auf Arbeit hilft den Beschäftigten nur dann, wenn sie dadurch zum einen höhere verfügbare Einkommen erhalten und zum anderen die begleitende Gegenfinanzierung nicht direkt oder über Umwege wieder selbst bezahlen. 

Hohe Steuern auf Arbeit in Österreich 

Um die Steuerbeiträge auf Arbeitseinkommen verschiedener Länder miteinander zu vergleichen, werden im OECD-Taxing-Wages-Bericht 2024 verschiedene modellhafte Haushaltstypen analysiert und mit dem Durchschnitt der 38 OECD-Staaten bzw. jenen 22 OECD-Staaten, die gleichzeitig auch Mitglied der Europäischen Union sind (OECD-EU-22), verglichen. Der Steuer- und Abgabenbeitrag wird jeweils als Prozentsatz der Arbeitskosten dargestellt. Die summierten Beiträge setzen sich zusammen aus Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeiträgen von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite zuzüglich etwaiger Lohnsummenabgaben abzüglich Geldtransfers des Staates an Familien (in der Regel für unterhaltspflichtige Kinder). Die Arbeitskosten sind als die Summe aus Bruttolohn, Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung und Lohnsummensteuern definiert. 

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Im Jahr 2023 leistete ein Single-Haushalt ohne Kinder mit einem Durchschnittsverdienst in Österreich Steuern und Abgaben in Höhe von 47,2 % der Arbeitskosten. In der OECD lag der Durchschnitt für diesen Haushaltstyp bei 34,8 % und in den OECD-EU-22 bei 41,6 %. Die Abgaben lagen für alle acht Haushaltstypen in Österreich über jener der OECD-EU 22 (und zwar um durchschnittlich rund 10 %) und noch deutlicher (um rund 24 %) über jener der 38 OECD-Staaten.

Steuerliche Entlastung für Familien

International übliche steuerliche Erleichterungen für Familien sorgen dafür, dass jene etwas geringere Steuern und Abgaben leisten müssen. Das zeigt der Vergleich von durchschnittlich verdienenden Single-Haushalten ohne Kinder mit Ehepaar-Haushalten mit zwei Kindern und einem/einer Durchschnittsverdiener:in. In den acht analysierten Ländern leisten Single-Haushalte ohne Kinder – im Vergleich zum Ehepaar – deutlich höhere Steuern und Abgaben. Im internationalen Durchschnitt 1,7-mal so viel. Am niedrigsten ist der Unterschied in Ungarn (1,3-fach), am höchsten in der Slowakei (2,7-fach). 

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Vorsicht beim internationalen Vergleich von Abgabenquoten 

Bei jedem internationalen Vergleich von Abgabenquoten ist Vorsicht geboten, da in die offiziellen Quoten nur Sozialversicherungsbeiträge eingerechnet werden, wenn sie an staatliche Einheiten abgeführt werden müssen. So zeigt eine Studie aus dem Jahr 2022 unter anderem, dass zwar die offizielle Abgabenquote der Schweiz im betrachteten Zeitraum 2015 bis 2020 um ein Drittel niedriger als die österreichische war. Berücksichtigt man aber die gesetzlich verpflichtenden Sozialversicherungsbeiträge an private Unternehmen, so kostet die gesamte Finanzierung der sozialstaatlichen Leistungen in beiden Ländern nahezu gleich viel. Zudem sagt die Höhe einer Abgabenquote, aber auch der Gesamtfinanzierungsquote, nichts über Höhe und Qualität der staatlichen „Gegenleistung“ aus. 

Ziel: Fairness im Steuersystem

Die von der OECD als zu hoch kritisierten Budgetdefizite und Staatsschulden Österreichs werden durch die jüngsten Senkungen des Körperschaftsteuersatzes zusätzlich erhöht, weil die Bundesregierung dadurch – ohne Notwendigkeit – auf jährliche Steuereinnahmen von 1,2 Milliarden Euro verzichtet hat. Dieser Verzicht muss durch Kürzungen staatlicher Leistungen oder durch Erhöhungen anderer Abgaben bzw. einer zusätzlichen Schuldenaufnahme kompensiert werden. 

Der OECD-Ruf nach einer Senkung der Steuern und Abgaben auf Arbeitseinkommen sieht auf den ersten Blick vorteilhaft für die Beschäftigten aus. Wir gehen aber davon aus, dass die OECD dies vor allem über die Senkung der sogenannten „Lohnnebenkosten“ für Arbeitgeber erreichen möchte. Dies erhöht die Gewinne der Unternehmen auf Kosten der Arbeitnehmer:innen. Auch hinsichtlich der von der OECD vorgeschlagenen Gegenfinanzierung über höhere vermögensbezogene Steuern – wie die Grundsteuer oder die CO2-Bepreisung – geben wir zu bedenken, dass diese Arbeitnehmer:innen stärker belasten könnte. 

Arbeitnehmer:innen könnten somit indirekt "doppelt" belastet werden: Einerseits durch die potenziellen Kürzungen im Sozialleistungssystem, wenn die Arbeitgeber-Sozialstaatsbeiträge gesenkt werden, und andererseits durch die höheren vermögensbezogenen Steuern, sofern sie auch „die Mitte“ treffen. 

Eine pauschale Umschichtung von Arbeitsbesteuerung hin zu vermögensbezogenen Steuern führt also nicht automatisch zu einer Entlastung für Arbeitnehmer:innen, wenn diese selbst direkt oder indirekt für die vermögensbezogenen Steuern aufkommen müssen. 

Auch Gewerkschaften und Arbeiterkammern fordern eine Reduktion der Abgaben auf Arbeitseinkommen als eine Maßnahme auf dem Weg zu einer faireren Steuerstruktur. Dabei soll die Entlastung aber ausschließlich den Arbeitnehmer:innen zugutekommen, die ja schließlich auch die Arbeitsleistung erbringen. 

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