Die Einführung der globalen Mindestbesteuerung für Konzerne führt zu einem echten Umbruch im internationalen Steuerrecht. Große Konzerne werden ab 2024 für ihre Gewinne zumindest 15 Prozent Steuern zahlen. Die Initiative dazu ist zwar von der OECD im Auftrag der G7 im Rahmen des BEPS-Projektes ausgegangen. An der tatsächlichen Umsetzung der globalen Mindeststeuer hat letztlich aber auch die Europäische Union einen maßgeblichen Einfluss gehabt. Das zeigt deutlich, wie wichtig eine gemeinsame europäische Steuerpolitik ist, um auch künftigen Herausforderungen gewachsen zu sein.
Steuerwettbewerb und aggressive Steuervermeidungsstrategien als Gefahr für Sozialstaat und Demokratie
Die mittlerweile mehr als 100 Jahre alten Grundprinzipien der Konzernbesteuerung sind den Herausforderungen durch die Globalisierung und Digitalisierung nicht mehr gewachsen. Der schädliche Steuerwettbewerb zwischen den Nationalstaaten und die Steuervermeidungsstrategien multinationaler Konzerne führen zu weltweiten Steuerausfällen von bis zu 240 Milliarden US-Dollar, das entspricht bis zu 10 Prozent des weltweiten Körperschaftsteueraufkommens. Dies führt neben dem Ausfall der dringend notwendigen Steuereinnahmen zu weiteren schwerwiegenden Problemen: Die Staaten versuchen die Einnahmenausfälle bei der Körperschaftsteuer durch eine höhere Besteuerung von weniger mobilen Besteuerungsquellen, wie etwa kleineren Unternehmen oder Arbeitnehmer:innen, zu kompensieren. Dies wiederum hat unerwünschte Wettbewerbsverzerrungen einerseits und problematische Verteilungseffekte andererseits zur Folge. Gewinnsteuern sind ein Kostenfaktor und kleinere, nur national agierende Unternehmen werden dadurch gegenüber multinationalen Konzernen benachteiligt. Darüber hinaus – und das ist ebenso besorgniserregend – kann diese Entwicklung auch zu einer Gefahr für die Akzeptanz von Demokratie und Rechtsstaat führen, denn die Menschen verlieren zunehmend das Vertrauen in staatliche Institutionen, wenn es offensichtlich ist, dass nicht für alle die gleichen Spielregeln gelten.
Beginn einer neuen Ära in der Konzernbesteuerung durch die globale Mindeststeuer
Auch in Österreich ist am 1.1.2024 – fast unbemerkt von der Öffentlichkeit – ein neues Zeitalter in der Konzernbesteuerung angebrochen. Mit dem sogenannten Mindestbesteuerungsgesetz wurde die Mindestbesteuerungsrichtlinie in Österreich umgesetzt. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gewinne multinationaler Konzerne mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro zumindest mit 15 Prozent besteuert werden. Neben Österreich wird die Mindestbesteuerung momentan auch in 36 anderen Staaten – darunter alle EU-Staaten – zur Anwendung kommen. Die Vorschriften zur Mindestbesteuerung sind das Ergebnis des BEPS-Projekts, das die OECD im Auftrag der G7 umgesetzt hat. Der BEPS-Aktionsplan aus dem Jahr 2015 besteht eigentlich aus 15 Aktionspunkten, die Maßnahmen gegen den schädlichen Steuerwettbewerb und aggressive Steuervermeidungspraktiken multinationaler Konzerne setzen sollten. Aus dem ersten Aktionspunkt, der Besteuerung der digitalen Wirtschaft, hat sich das sogenannte 2-Säulen-Modell herausgebildet. Mit der ersten Säule (Pillar 1) soll eine Neuverteilung der Besteuerungsrechte zwischen den Staaten entwickelt werden. Dazu gibt es bereits sehr konkrete Vorschläge der OECD, die Umsetzung bleibt allerdings noch abzuwarten. Die politische Einigung von knapp 140 Staaten im Oktober 2021, die globalen Gewinne multinationaler Konzerne mit zumindest 15 Prozent zu besteuern (Pillar 2), war jedenfalls ein wichtiger Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit. Diese zweite Säule (Pillar 2) – die globale Mindestbesteuerung multinationaler Konzerne – basierend auf den GloBE Rules der OECD ist (wie schon angeführt) in mittlerweile 37 Staaten umgesetzt, und es ist davon auszugehen, dass der Großteil der unterzeichnenden Staaten in absehbarer Zeit folgen wird. Daran ist auch die EU maßgeblich beteiligt. Denn nur kurz nach der Veröffentlichung der GloBE Rules präsentierte die Europäische Kommission am 20.12.2021 den Entwurf der sogenannten Mindestbesteuerungsrichtlinie, die letztendlich – nach einigen Verzögerungen – am 15.12.2022 beschlossen wurde. Damit wurde eine einheitliche Implementierung der OECD-Vorschläge in der Europäischen Union sichergestellt sowie zudem gewährleistet, dass alle EU-Mitgliedstaaten die Mindestbesteuerung überhaupt in ihr nationales Recht umsetzen.
Bei aller Begeisterung für die neue Mindeststeuer darf man nicht darüber hinwegsehen, dass die Maßnahmen alles andere als perfekt sind. Der Steuersatz ist mit 15 Prozent deutlich zu niedrig angesetzt und durch zahlreiche Ausnahmen, wie etwa die sogenannte Substanzbegünstigung (Carve-out-Regelung, die Abschläge für Anlagevermögen und Personalaufwand ermöglicht), wird es den großen Konzernen dennoch ermöglicht, auf eine effektive Steuerbelastung von deutlich unter den ohnehin schon niedrigen 15 Prozent zu gelangen. Wünschenswert wäre jedenfalls ein Mindeststeuersatz von 25%, ohne Ausnahmeregelungen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass von den ursprünglich prognostizierten jährlichen Mehreinnahmen für Österreich von rund 600 Millionen Euro – zumindest vorerst – wenig übrig bleiben wird. Das Finanzministerium geht nämlich (ab 2026) nur mehr von jährlichen Mehreinahmen in Höhe von 100 Millionen Euro aus. Inwieweit die geschätzten weltweiten Mehreinnahmen von bis zu 220 Milliarden US-Dollar tatsächlich erreicht werden können, wenn alle Maßnahmen umgesetzt sind, bleibt somit ebenfalls noch abzuwarten.
Trotz der vorhandenen Schwächen muss die Einführung der globalen Mindeststeuer als großer Erfolg bewertet werden. Vor einigen Jahren noch schien eine Einigung auf eine weltweite globale Mindeststeuer als völlig illusorisch. Immerhin wollen fast 140 Staaten, die mehr als 95 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung darstellen, die globale Mindeststeuer einführen. Und die positive Rolle der Europäischen Union als Vorreiter bei der Implementierung darf hier ebenfalls nicht übersehen werden.
Wie viel Steuerpolitik braucht die Europäische Union?
Am Beispiel der Besteuerung multinationaler Konzerne wird deutlich, dass die großen steuerlichen Herausforderungen von den Nationalstaaten allein – ohne eine koordinierte Vorgehensweise – nicht mehr bewältigt werden können. Trotzdem sind Steuern in der Europäischen Union nach wie vor in erster Linie eine Angelegenheit der einzelnen Mitgliedstaaten. Daher ist es nicht überraschend, dass die Steuerpolitik einen der wenigen Politikbereiche auf europäischer Ebene darstellt, in denen noch das Einstimmigkeitserfordernis gilt. Das erschwert eine koordinierte Vorgehensweise ungemein. Insofern muss das Einstimmigkeitserfordernis jedenfalls überdacht werden. Ein Abgehen vom Einstimmigkeitsprinzip – ähnlich wie es die Kommission 2018 vorgesehen hat – für Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sowie für mehr Steuerehrlichkeit von Unternehmen wäre jedenfalls zu begrüßen.
Außerdem ist es notwendig – auch als Ergänzung zur globalen Mindeststeuer –, endlich einheitliche Gewinnermittlungsvorschriften für multinationale Konzerne innerhalb der Europäischen Union zu implementieren.
Die bestehenden Rahmenbedingungen lassen den einzelnen Mitgliedstaaten nur wenig Möglichkeiten, sehr mobile Faktoren wie Kapital effektiv zu besteuern. Das führt zu einer Verschiebung der Steuerbelastung auf die weniger mobilen Faktoren Arbeit und Konsum. Die dringend notwendigen Steuerstrukturreformen, welche Arbeit und Konsum entlasten und zu einer gerechteren Kapitalbesteuerung führen, sind daher nur möglich, wenn es zu einer gemeinsamen Steuerpolitik der Europäischen Union kommt. So können die Einnahmen in den Mitgliedstaaten stabilisiert und mehr Verteilungsgerechtigkeit geschaffen werden, was sich in letzter Konsequenz auch wieder positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken würde.