Die Abgabenquote ist ein Dauergast in der wirtschaftspolitischen Debatte. Egal, wo über Steuern geredet wird, überall hört man, man brauche gar nicht über neue Steuern nachzudenken, denn kaum ein Land verlange von seinen Bürger:innen derart hohe Abgaben wie Österreich. Das zeige der internationale Vergleich der Abgabenquoten. Man müsse daher bei den Ausgaben ansetzen. Aber stimmt es, dass die Abgabenquote in Österreich überbordend hoch ist? Welche Daten liegen der Aussage zugrunde und werden sie richtig interpretiert?
Die Tücken der Abgabenquote
Berechnet wird die Abgabenquote durch eine Division des gesamten Steuer- und Abgabenaufkommens durch das Bruttoinlandsprodukt eines Staates. Der entscheidende Punkt: Steuern und Abgaben werden nur erfasst, wenn sie an staatliche Einheiten gezahlt werden. Während das bei den Steuern auf der Hand liegt, ist das bei den Sozialversicherungsbeiträgen weniger klar. Zum Beispiel führen die Erwerbstätigen in Österreich jährlich 1,53 % des Entgelts an die Betrieblichen Vorsorgekassen ab. Eine verpflichtende Abgabe, die mit den anderen Sozialversicherungsbeiträgen verrechnet, aber nicht in die Abgabenquote eingerechnet wird, weil die Kassen nicht staatlich, sondern privat sind.
Wenn nun einige Staaten die soziale Sicherheit stärker über private Träger organisieren – z. B. private Krankenversicherungen oder Pensionskassen – dann schaut es in der Abgabenquotenstatistik so aus, als ob die „Abgabenbelastung“ in diesen Ländern geringer wäre, obwohl die Beiträge natürlich trotzdem zu zahlen sind. Oder anders formuliert: Die Daten sind verzerrt und internationale Vergleiche können in die Irre führen.
Ein klassisches Beispiel dafür ist die Schweiz, wo anstelle der Pflichtversicherung in einer (quasi-)staatlichen Krankenversicherung wie in Österreich eine Versicherungspflicht bei privaten Krankenversicherungen gilt. Auch im Pensionsbereich setzt die Schweiz – abgesehen von einer staatlichen Mindestpension – auf eine Versicherungspflicht bei privaten Akteuren, den Pensionskassen. Kein Cent dieser Beiträge wird in der offiziellen Abgabenquote erfasst. Wenn nun die Schweizer Pensionist:innen in der Pension ein ähnlich gutes Auskommen haben wie in Österreich, dann muss bei Beobachter:innen, welche die Abgabenquote der beiden Länder vergleichen, der Eindruck entstehen, dass die Schweiz etwas richtig macht bzw. wir etwas falsch machen, weil dort soziale Sicherheit offenbar günstiger „organisiert“ wird. In Wahrheit liegt aber eine Falschinterpretation der Statistiken vor, weil die offizielle Abgabenquote wesentliche Beiträge der Schweizer:innen für die soziale Sicherheit schlicht nicht erfasst und wir deshalb nicht wissen, wie hoch die volkswirtschaftlichen Kosten tatsächlich sind.
Das Problem ist keineswegs ein Schweizer Spezifikum, sondern ein Thema in vielen europäischen Staaten. So übernehmen insbesondere auch in den Niederlanden und Island, teilweise aber auch in den skandinavischen Staaten, insbesondere private Pensionskassen wichtige Aufgaben im „welfare mix“ der Staaten. Mit der Konsequenz, dass wesentliche Beiträge zur Finanzierung der sozialen Sicherheit bei Ermittlung der offiziellen Abgabenquoten unter den Tisch fallen.
Eine einfache Methode, um Abgabenquoten besser vergleichbar zu machen
Eine einfache Methode zur Vermeidung der Verzerrungen beim internationalen Vergleich der Abgabenquoten bieten die nichtfinanziellen Sektorkonten im System der Europäischen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Sie stellen die Einnahmen und Ausgaben der wesentlichen volkswirtschaftlichen Sektoren (Haushalte, Unternehmen, Staat, Ausland) dar. Unter anderem sind Informationen zu den Sozialversicherungsbeiträgen (Variable D61) verfügbar. Sie erlauben einen Vergleich der von den Haushalten gezahlten und der vom Staat erhaltenen Sozialversicherungsbeiträge. Auf Ebene der Haushalte werden alle Beiträge erfasst, egal ob sie an staatliche oder private Träger bezahlt werden. Wenn man diese Gesamtbeiträge den vom Staat erhaltenen Beiträgen gegenüberstellt, kann man ermitteln, was an private Träger geflossen ist und die Abgabenquote um diesen Betrag bereinigen. Die OECD bezeichnet die Gesamtbetrachtung aus Abgabenquote und verpflichtenden Sozialbeiträgen an private Träger als "verpflichtende Zahlungen". Hier wird vereinfachend von bereinigter Abgabenquote gesprochen.
Im Mittelfeld: Österreichs Abgabenquote im europäischen Vergleich
Tabelle 1 vergleicht die bereinigte Abgabenquote für die EWR-Länder im Durchschnitt über 2014-22. Nachdem die Abgabenquote immer auch Ausdruck des jeweiligen Wohlstandsniveaus ist, also mit steigendem Wohlstand ansteigt, werden nur europäische Staaten mit vergleichbarem Wohlstandsniveau dargestellt (BIP/Kopf) zu Kaukraftparitäten mind. 90 % des EU-Durchschnitts). Es hätte wenig Aussagekraft, die Abgabenquote Österreichs z. B. an Ungarn zu messen. Die Referenz für uns sind Deutschland, die Niederlande, die Schweiz oder die skandinavischen Staaten.