Klimakrise, Digitalisierung, demografische Entwicklung, Herausforderungen in der Gesundheitspolitik und eine gesicherte Versorgung mit kritischen Rohstoffen in einem Zeitalter zunehmender geopolitischer Spannungen. Das sind komplexe und globale gesellschaftliche Herausforderungen, die nicht einfach zu lösen sind. Die Zeit der isolierten wirtschaftspolitischen Lösungen ist damit endgültig vorbei. Es braucht eine Wirtschaftspolitik, welche fit ist für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Ein up-and-coming Ansatz, besonders in der Europäischen Union, ist die missionsorientierte Wirtschaftspolitik. Doch was ist damit gemeint? Eine Spurensuche.
Warum Missionsorientierung?
Unsere sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme sind komplex. Komplexe Systeme haben die Eigenschaft „tückische“ Herausforderungen durch die Wechselwirkung ihrer unterschiedlichen Akteure zu schaffen. Als tückische Probleme bezeichnet Jens Beckert, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, Herausforderungen, für die es keine Definitionen und einfachen Lösungen geben kann. Kurzfristig orientierte oder isolierte Bemühungen einzelner Akteure sind daher unzureichend. Tückische Probleme verlangen Strategie, Koordinierung und Mobilisierung über System- und Sektorgrenzen hinweg. Wir brauchen zur Lösung der großen Herausforderungen, der „grand challenges“ unserer Zeit, gemeinsame Missionen.
Die neue Missionsorientierung in der Wirtschaftspolitik – was steckt dahinter?
In den letzten Jahren erlebt der Begriff der „Missionen“ einen Aufschwung. Populär geworden durch die Arbeiten der britischen Ökonomin Mariana Mazzucato und Initiativen wie dem OECD Mission Action Lab, verfolgt eine missionsorientierte Wirtschaftspolitik einen problemzentrierten Ansatz und mobilisiert die unterschiedlichsten Akteure zu einem kooperativen und koordinierten Handeln zur Lösungsfindung. Unter Missionen versteht man messbare, ambitionierte und zeitgebundene Ziele, die auch strukturelle und dadurch transformative Verhaltens- und Systemveränderungen anstreben. Dadurch versucht die Missionsorientierung dem transformativen Horizont der Veränderung durch pragmatische und messbare Missionserfüllungen näherzukommen. Niederschlag fand die Missionsorientierung zum Beispiel in der EU-Politik mit dem European Green Deal und den europäischen Forschungsförderprogrammen, wie zum Beispiel Horizon Europe. Die darin forcierten EU-Missionen zielen auf die Heilung von Krebs, klimaresiliente Regionen und Gemeinschaften, klimaneutrale und intelligente Städte, Ozeane und Wasser sowie Gesundung der Böden ab.
Das Konzept von Missionen ist per se nicht neu. Bereits im 20. Jahrhundert fokussierten sich die sogenannten „traditionellen Missionen“ auf ausgewählte Schlüsseltechnologien. Diese beruhten konzeptionell auf einem linearen Innovationsmodell und wiesen stark zentralisierte Governance-Strukturen auf. Sie waren ein geeignetes Modell für wissenschaftsgetriebene und technologische Zielsetzungen mit klar messbaren und top-down definierten Zielen, wie der Mondlandung im Rahmen der Apollo-Mission. Angesichts zunehmend gesellschaftlich geprägter Herausforderungen wie der Klimaerwärmung nimmt die „neue Missionsorientierung“ nun soziale und technologische Belange gleichzeitig in den Blick. Sie verknüpft neue technologische Möglichkeiten mit organisatorischen oder sozialen Innovationen und Verhaltensänderungen, um gesellschaftlichen Wandel zu gestalten. Die neue Missionsorientierung strebt somit danach, gesellschaftlich wünschenswerte Ergebnisse, wie sie beispielsweise in den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen formuliert sind, zu fördern.
Missionen im Zeichen „tückischer“ Probleme
„Tückische Probleme“ wie die Klimakrise, soziale und gesellschaftliche Auswirkungen der Digitalisierung oder Herausforderungen entlang von Lieferketten sind gekennzeichnet durch komplexe Interdependenzen. Für die Wirtschaftspolitik bedeuten sie die Notwendigkeit, nach einer neuen Art wirtschaftspolitische Maßnahmen zu konzipieren und in Umsetzung zu bringen. Es braucht ein breites Verständnis über die komplexen Wirkmechanismen in den „wirtschaftlichen Ökosystemen“. Es braucht mehr als einen einseitigen Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum. Es braucht komplementäre Maßnahmen, die soziale und ökologische Problembereiche aufgreifen und zum Beispiel nicht nachhaltige Praktiken ablösen können. Dafür braucht es klare Zielvorgaben sowie ein gewisses Maß an Planung und Steuerung, um Pfad- und Planungssicherheit sowohl für Unternehmen und Haushalte zu geben. Einen besonderen, aber nicht ausschließlichen Stellenwert nimmt darin technologische und vor allem auch soziale Innovation ein.
Innovativ und missionsorientiert denken – gerade in der (Wirtschafts-)Politik
Eine missionsorientierte Wirtschaftspolitik erkennt, dass soziale Innovationen den Risiken von Beschäftigungsverlust, Produktivitätsminderung oder hohen Produktionskosten im Zuge der Veränderungsprozesse entgegentreten kann. Das Wissen liegt dafür jedoch nicht zentral an einem Ort oder ist an einen einzelnen Akteur gebunden. Im Gegenteil muss es zu einer „paradigmatischen Neuorientierung“ kommen, welche die unterschiedlichen Akteur:innen und deren vielfältige Perspektiven auf die Lösung der definierten „grand challenge“ einschwört. Eine solche Neuorientierung von sektorspezifischem zu sektorübergreifendem Denken ist schon länger zu beobachten und muss dazu führen, existierende Silos zu überwinden. In der Literatur finden sich fünf zentrale Aspekte, anhand derer sich gesellschaftlich orientierte Politiken messen lassen können: