Die Diskussionen ums europäische Lieferkettengesetz reißen nicht ab. Einigen Unternehmensvertreter:innen ist die neue Regelung ein Dorn im Auge; Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Institutionen sehen darin einen wichtigen Meilenstein und Hoffnungsträger. Warum ist das so? Stellt das Lieferkettengesetz tatsächlich einen zentralen Schritt in Richtung internationaler Sozial- und Umweltstandards dar? Werden damit Menschenrechte über Profitinteressen gestellt?
Warum so viel Widerstand?
Im Mai 2024 wurde das Lieferkettengesetz beschlossen. Dieses verpflichtet große europäische Firmen und auch andere große Unternehmen, die nach Europa exportieren, dazu, Menschenrechte in ihren Lieferketten einzuhalten. Der starke Widerstand seitens einiger Unternehmensvertretungen gegen das Lieferkettengesetz zeigt zumindest eines: Es geht um etwas Wichtiges. In der öffentlichen Debatte werden häufig Kosten im Zuge von Verwaltungsaufwand angeführt. Aber kann das wirklich der Grund sein? Eine Studie der Europäischen Kommission kommt zum Schluss, dass sich die administrativen Kosten für große Unternehmen nur auf 0,009 Prozent des Umsatzes belaufen. Direkt betroffen sind vom Gesetz überdies nur die ganz großen Unternehmen: weniger als 0,1 Prozent. EU-weit sind es ca. 3.400, für Österreich wird geschätzt, dass es sich um 91 der größten Unternehmen handelt.
Anstatt das EU-Lieferkettengesetz als Chance für eine zukunftsgerichtete Spezialisierung – und damit als Win-win-Maßnahme – zu sehen, scheint vielfach der Beharrungswille größer. Wenn es nach manchen Unternehmensvertreter:innen geht, so scheint der kurzfristige Profit wichtiger als die effektive Einhaltung von Menschenrechten. Diese rückwärtsgewandte Haltung passt zwar gut zu einem ideologischen Verständnis à la Trump, ist aber sicherlich nicht der einzige Weg, der eingeschlagen werden kann. Ein zentraler Grund für den Widerstand scheint weniger in den geäußerten Argumenten als vielmehr in einem „politischen Gespür“ der Unternehmen zu liegen. Was steckt also dahinter?
Lieferkettengesetz stärkt Arbeitnehmer:innen im globalen Süden und die internationale Solidarität
Eine Analyse auf Basis des Machtressourcenansatzes zeigt auf, dass das Lieferkettengesetz nicht nur unmittelbar Menschenrechte schützt, sondern mittelbar auch Arbeitnehmer:innen und Zivilgesellschaft im globalen Süden stärkt. Damit erfolgt gewissermaßen eine Ermächtigung von Menschen im globalen Süden zur Durchsetzung ihrer Rechte. Müssen betroffene Unternehmen Menschenrechte – und dazu gehören auch Gewerkschaftsrechte – einhalten, so stärke dies Arbeitnehmer:innen vor Ort. Für sie wird es damit prinzipiell besser möglich, sich zu organisieren und ihre Interessen durchzusetzen. Da das Lieferkettengesetz überdies die Bezahlung eines „living wage“ einfordert, wird es für Arbeitnehmer:innen einfacher, faire Löhne durchzusetzen. Das Lieferkettengesetz stärkt damit direkt Arbeitnehmer:innen, die in Lieferketten mit großen Unternehmen in Europa verknüpft sind. Es kann aber auch indirekt wirken. Das Empowerment von Arbeitnehmer:innen in direkt betroffenen Betrieben kann nämlich insgesamt zur Stärkung von Arbeitnehmervertreter:innen führen. Da das Lieferkettengesetz auch Umweltschäden, die zu Menschenrechtsverletzungen führen, abdeckt, ist überdies eine Stärkung der Zivilgesellschaft im globalen Süden insgesamt zu erwarten. Damit wird durch das Lieferkettengesetz ein wichtiger Grundstein für internationale Solidarität gelegt. Dies ist möglicherweise ein zentraler Grund, warum viele Unternehmen sich so vehement dagegen aussprechen.
Effektive Nutzung des Gesetzes zur Stärkung von Menschen und Umwelt?
Trotz dieser erwartbaren wichtigen positiven Wirkungen ist es noch schwer einzuschätzen, wie stark die Effekte tatsächlich sind und sein werden. Erfahrungen mit ähnlichen Gesetzen, die schon in Kraft sind, zeigen, dass es in der Praxis durchaus schwierig sein kann, diese tatsächlich für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu nutzen. Die Analysen im Journal für Entwicklungspolitik etwa zum Deutschen Lieferkettengesetz zeigen dies sehr deutlich. Wenn auch das EU-Lieferkettengesetz im Vergleich besser ausgestaltet ist, stellt sich die Frage, wie dieses neue Gesetz effektiv zur Stärkung von Menschen um Umwelt genutzt werden kann.
Mögliche Ansatzpunkte werden ebenfalls im Journal für Entwicklungspolitik bearbeitet und können wie folgt zusammengefasst werden:
Aktuell gibt es aber Befürchtungen, dass es im Zuge des aktuellen sogenannten Omnibus-Verfahrens auf EU-Ebene zu einem nochmaligen Aufschnüren bzw. einer Verwässerung des EU-Lieferkettengesetzes kommen könnte. Auch die geopolitischen Veränderungen mit Trumps Wirtschaftspolitik können sich eventuell auch negativ auf die Gesetzesformulierung auf EU-Ebene auswirken. Dies gilt es jedenfalls zu verhindern. Internationale Solidarität ist jetzt wichtiger denn je.
Forschungsprojekt untersucht, wie internationale Netzwerke gestärkt werden können
Wie genau internationale zivilgesellschaftliche Netzwerke gestärkt werden können, steht derzeit im Zentrum eines vom Klimafonds geförderten Forschungsprojektes mit zahlreichen internationalen Partner:innen. Dabei geht es vor allem um Lieferketten großer österreichischer Unternehmen. Das Projekt fokussiert auf den Aufbau von internationalen Netzwerken insbesondere zwischen Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Institutionen aus dem globalen Süden mit österreichischen Institutionen. Wichtige Andockstelle für zivilgesellschaftliche Organisationen aus dem globalen Süden in Österreich ist dabei das NGO-Netzwerk Soziale Verantwortung.
Ausblick
Das Lieferkettengesetz allein reicht nicht, um all die ungerechten Strukturen im Welthandel effektiv zu bekämpfen. Es stellt allerdings einen wichtigen Meilenstein dar. Damit hält eine neue Logik Einzug, bei der nicht mehr unregulierter Freihandel oder erratische Zollpolitik à la Trump, sondern internationale Sozial- und Umweltstandards zum zentralen Bezugspunkt werden. Damit schimmert das erste Morgenlicht internationaler Solidarität als Leitprinzip für die Gestaltung internationaler Wirtschaftsbeziehungen. Das Lieferkettengesetz stellt einen wichtigen Schritt zu noch viel weitreichenderen internationalen Standards für Menschen-, Arbeitnehmer:innen- und Umweltrechte dar. Der Grundstein ist gelegt: Let’s put people over profit! Dass das nicht allen gefällt, ist nicht verwunderlich.
Dieser Beitrag basiert auf einer Schwerpunktausgabe des Journals für Entwicklungspolitik mit dem Titel New International Social and Environmental Rules: Putting People Over Profit? Ausführliche Analysen und Ergebnisse sind online frei zugänglich.