Das EU-Parlament hat am 1. Juni über seine Verhandlungsposition zum EU-Lieferkettengesetz abgestimmt. Nun beginnen die Trilog-Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und EP. Mit dem EU-Lieferkettengesetz werden Unternehmen künftig verpflichtet, Verantwortung für Menschenrechte, Arbeitsrechte und die Umwelt in globalen Lieferketten zu übernehmen. Nachdem der Rat bereits Ende letzten Jahres seine Position festgelegt hat, fand am 1. Juni die Abstimmung im EU-Parlament statt. Das EP hat seine Verhandlungsposition mit 366 zu 225 Stimmen bei 38 Enthaltungen angenommen.
Es waren insgesamt neun EP-Ausschüsse mit dem EU-Lieferkettengesetz befasst. Der federführende Rechtsausschuss hat Ende April seinen Bericht (Berichterstatterin Lara Wolters, S&D) mit breiter Mehrheit (19 zu drei Stimmen bei drei Enthaltungen) verabschiedet und ambitionierte Regeln gefordert. Die Position des Rechtsausschusses wurde vom Plenum in weiten Teilen übernommen.
Lobbying der Unternehmensverbände abgewehrt
Unternehmensverbände haben im Vorfeld der Abstimmung intensives Lobbying betrieben und wollten das Ergebnis monatelanger Verhandlungen im EP torpedieren. In letzter Minute wurden Änderungsanträge zur Verwässerung der EP-Position eingebracht. Nach den Wünschen der Lobbyist:innen hätten wichtige Punkte, wie die Klimaschutzverpflichtungen, die Haftung der Unternehmen und der Geltungsbereich des EU-Lieferkettengesetzes, abgeschwächt oder gestrichen werden sollen. Die Änderungsanträge fanden schlussendlich im EP keine Mehrheit. Die Reaktionen der Wirtschaftsseite auf das Abstimmungsergebnis lassen allerdings keinen Zweifel daran aufkommen, dass weiterhin versucht werden wird, das EU-Lieferkettengesetz abzuschwächen.
Wichtige Hürde überwunden
Aus der Sicht von Gewerkschaften und NGOs ist das EU-Lieferkettengesetz ein Meilenstein. Die Rechte von Arbeitnehmer:innen entlang globaler Lieferketten werden künftig besser geschützt. Gleichzeitig handelt es sich um eine wichtige Maßnahme für den Umwelt- und Klimaschutz. Angesichts der bevorstehenden EU-Wahlen 2024 herrscht großer Zeitdruck in den Verhandlungen. Mit der Abstimmung im EP wurde eine wichtige Hürde genommen. Inhaltlich bessert das EP gegenüber dem Vorschlag der Kommission und der Position des Rates deutlich nach. Das Abstimmungsergebnis ist als Erfolg für Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz zu werten.
Trilog: Verhandlungspositionen von Kommission, Rat und EP
Kommission | Rat | EP | |
Für wen soll das EU-Lieferkettengesetz gelten? | EU-Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und 150 Mio. Jahresumsatz. Nicht-EU-Unternehmen mit mehr als 150 Mio. Jahresumsatz in EU | EU-Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und 150 Mio. Jahresumsatz. Nicht-EU-Unternehmen mit mehr als 150 Mio. Jahresumsatz in EU | EU-Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und 40 Mio. Jahresumsatz. Nicht-EU-Unternehmen mit mehr als 150 Mio. Jahresumsatz weltweit, davon mehr als 40 Mio. in EU |
Ab wann? | 2 Jahre nach Inkrafttreten | 4 Jahre nach Inkrafttreten | 4 bzw. 5 Jahre nach Inkrafttreten |
In Risikosektoren: Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und 40 Mio. Jahresumsatz | In Risikosektoren: Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und 40 Mio. Jahresumsatz | Entfällt | |
Ab wann? | 4 Jahre nach Inkrafttreten | 5 Jahre nach Inkrafttreten | Entfällt |
Finanzsektor erfasst? | Ja | Nein (nur „Opt-in“) | Ja |
Was müssen Unternehmen kontrollieren? | Eigene Tätigkeiten, Tochterunternehmen, „etablierte Geschäftsbeziehungen“ (vorgelagerte und nachgelagerte Wertschöpfungskette) | Eigene Tätigkeiten, Tochterunternehmen, „Aktivitätskette“ (nachgelagerte Wertschöpfungskette nur eingeschränkt) | Eigene Tätigkeiten, Tochterunternehmen, Wertschöpfungskette (vor- und nachgelagerter Teil inkl. Verkauf, Vertrieb, Transport, Lagerung und Abfallbewirtschaftung) |
Müssen Stakeholder einbezogen werden? | Nicht zwingend | Nicht zwingend | Ja, zwingend |
Zivilrechtliche Haftung des Unternehmens? | Ja, aber Rechte der Betroffenen nicht geregelt | Ja, aber Rechte der Betroffenen nicht geregelt | Ja, und einige Rechte der Betroffenen geregelt: lange Verjährungsfrist (mind. 10 Jahre) Verbandsklagen, einstweilige Verfügungen |
Klimaschutz | Nicht Gegenstand der Sorgfaltspflicht | Nicht Gegenstand der Sorgfaltspflicht | Gegenstand der Sorgfaltspflicht |
Rolle von Zertifizierern/Auditoren | Überprüfung von Vertragsklauseln, ohne strenge Regeln | Überprüfung von Vertragsklauseln, ohne strenge Regeln | Überprüfung von Vertragsklauseln, aber mit strengen Regeln |
Die obenstehende Tabelle gibt einen Überblick über einige wichtige Verhandlungspunkte und die diesbezüglichen Regelungsansätze im Kommissionsvorschlag sowie in der Position des Rates und des EP.
Betroffene brauchen Beweislastumkehr
Leider erfüllt die EP-Position nicht alle Anforderungen an ein wirksames EU-Lieferkettengesetz. Betroffene, die wegen Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden gegen Unternehmen vor Gericht ziehen, haben bisher in vielen Fällen keinen Erfolg. Die Umkehr der Beweislast zugunsten der Betroffenen ist eine wichtige Anforderung an ein wirksames EU-Lieferkettengesetz, damit Betroffene in Zukunft ihr Recht durchsetzen können. Leider fehlt dieser Punkt in der EP-Position.
Bei den Strafen schärft das EP allerdings deutlich nach: Es will bei Verstößen gegen das EU-Lieferkettengesetz finanzielle Höchststrafen von mindestens 5 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes des Unternehmens und ein „Naming and Shaming“ von Unternehmen, gegen die eine Strafe verhängt wurde (Veröffentlichung durch die Behörden). Weiters fordert das EP den Ausschluss von Produkten vom EU-Binnenmarkt bzw. vom Export sowie in bestimmten Fällen einen Ausschluss von der öffentlichen Auftragsvergabe.
Ausblick
Kommission, Rat und EP verhandeln in den kommenden Monaten über den finalen Text des EU-Lieferkettengesetzes. Es handelt sich um eine EU-Richtlinie, die in weiterer Folge in österreichisches Recht umgesetzt werden muss. Zur Anwendung kommen die Regelungen frühestens ab 2025.