Zugang zu institutioneller Kinderbetreuung in Wien

22. Juli 2019

Kinderbetreuung wurde in Wien im letzten Jahrzehnt stark ausgebaut, wobei vor allem das Angebot privater Anbieter zugenommen hat. Dabei gibt es aber große Unterschiede zwischen Wohnvierteln mit höherem und niedrigerem sozioökonomischem Status, denn private Anbieter expandieren vor allem in „besseren“ Gegenden.

Starker Ausbau von institutioneller Kinderbetreuung in Österreich

Die letzten zehn Jahre zeigen einen starken Anstieg der Anzahl von Kinderbetreuungseinrichtungen in ganz Österreich. Kindergärten werden nun vermehrt als wichtige erste Bildungseinrichtungen und als eine gute Vorbereitung für die Schule gesehen. Im Zuge des Ausbaus der Kindergärten wurde 2009 der Besuch eines Kindergartens im letzten Jahr vor Schulbeginn verpflichtend. Aber auch im Kleinkindbereich hat sich viel verändert: Die Anzahl der Krippen in Österreich hat sich von 2007 auf 2017 mehr als verdoppelt (von 956 auf 2.121, ein Plus von 122 Prozent).

Das Wiener institutionelle Kinderbetreuungsangebot

Auch in Wien ist das Kinderbetreuungsangebot stark gewachsen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern fällt auf, dass Wien eine sehr vielfältige Anbieterlandschaft aufweist: zum einen öffentliche Einrichtungen, die sich unter anderem durch lange Öffnungszeiten auszeichnen. Zum anderen findet sich in Wien ein sehr vielfältiges Angebot an privaten (Non-Profit-)Kindergruppen und Kindergärten, die meist kirchlich, elternverwaltet oder Teil größerer Träger mit vielen Standorten sind.

Im Zuge des Ausbaus blieb die Anzahl öffentlicher Einrichtungen weitgehend konstant, während die Zahl der privaten Kindergärten stark wuchs. Dies verdeutlichen Daten zu institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen, die uns von der Magistratsabteilung 23 für die Berichtsjahre 2003 bis 2014 zur Verfügung gestellt wurden. Im Jahr 2014 waren bereits 76 Prozent aller Einrichtungen private Non-Profit-Kindergärten und nur 24 Prozent öffentliche Kindergärten.

Zugänglichkeit zu Kindergärten

Positive Effekte des Besuchs einer Kinderbetreuungseinrichtung für die Chancengleichheit der Kinder sind wissenschaftlich gut dokumentiert, da Kinder benachteiligter Schichten übermäßig stark profitieren. Gleichzeitig wissen wir, dass die Partizipationsraten von Kindern verschiedener Gesellschaftsschichten in vielen Ländern unterschiedlich sind. Problematischerweise bleiben häufig genau jene Kinder fern, die davon am meisten profitieren würden. Die Gründe dafür sind vielfältig. So variieren sowohl die Erwerbsquoten von Frauen, aber auch die Leistbarkeit und Verfügbarkeit von Kindergärten je nach Wohnort.

Den letztgenannten Punkt haben wir in einem Forschungsprojekt für Wien näher untersucht. Konkret beschäftigten wir uns mit einem Aspekt der Verfügbarkeit – der räumlichen Zugänglichkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen. Das Konzept der Zugänglichkeit berücksichtigt Angebot und Nachfrage auf sehr kleinräumiger Ebene. Sie ist für ein Kind umso höher, je mehr Kindergärten es in unmittelbarer Nähe seines Wohnortes gibt, je mehr Betreuungsplätze ein Kindergarten bietet (Angebotskomponenten) und je weniger Kinder im Umfeld wohnen, die auch einen Kindergartenplatz benötigen (Nachfragekomponente).

Zusätzlich berücksichtigt das Zugänglichkeitsmaß die Distanz zwischen Wohnort des Kindes und Standort des Kindergartens. Viele Eltern bevorzugen einen Kindergarten in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung, wie in unterschiedlichen Studien gezeigt wurde. Wer tagtäglich den Weg von und zum Kindergarten mit einem womöglich rebellierenden Kleinkind macht, kann sicher gut nachvollziehen, warum kurze Distanzen Gold wert sein können …

Große Ungleichheiten in der Zugänglichkeit zu Kinderbetreuung

Die gute Nachricht zuerst: Der Ausbau der Kindergärten im Zeitraum von 2009 bis 2014 führte zu einer Verbesserung der Zugänglichkeit zu Kindergärten für Wiener Kinder aller Gesellschaftsschichten. Allerdings finden wir große Unterschiede zwischen verschiedenen Wohnvierteln. Kinder, die in Gegenden mit höherem sozioökonomischem Status wohnen, haben auch höhere Zugänglichkeit zu Kinderbetreuung.

  • Der sozioökonomische Status eines Wohnviertels wurde mithilfe von drei Indikatoren gemessen: Bildungsabschlüsse der lokalen Bevölkerung,
  • deren durchschnittliches Einkommen und
  • die geschätzten Wohnungspreise.

Kindern in Gegenden mit niedrigerem sozioökonomischem Status stehen damit also entweder weniger oder kleinere Kindergärten in unmittelbarer Nähe ihres Wohnortes zur Verfügung, oder sie müssen sich das bestehende Angebot mit mehr Kindern teilen. Die folgende Abbildung zeigt die durchschnittliche Zugänglichkeit pro Bezirk – dunkler eingefärbte Bezirke haben dabei eine höhere Zugänglichkeit zu Kinderbetreuung.

Zugänglichkeit zu Kinderbetreuung © A&W Blog
© A&W Blog

Konkret zeigt unsere Forschung, dass für Kinder, die in den „besten“ 25 Prozent aller Wohnviertel wohnen, die Zugänglichkeit zwischen 9 Prozent und 20 Prozent höher ist – je nachdem, ob die „Güte“ eines Wohnviertels nach Bildung, Einkommen oder Wohnungspreisen gemessen wird – als für Kinder, die in den „schlechtesten“ 25 Prozent wohnen. Das bedeutet, dass diesen Kindern zwischen 9 Prozent und 20 Prozent mehr Betreuungsplätze zur Verfügung stehen. Im Zeitverlauf (2009-2014) haben sich diese Unterschiede sogar verstärkt.

Private Kindergärten erklären Ungleichheiten zwischen Wohnvierteln

Dieser Effekt ist vor allem auf das Angebot der privaten Kindergärten zurückzuführen. Während öffentliche Kindergärten teilweise sogar bessere Zugänglichkeit für Kinder bieten, die in „schlechteren“ Wohngegenden wohnen, ist bei privaten Kindergärten genau das Gegenteil der Fall. Private Kindergärten siedeln sich also vermehrt in Wohnvierteln mit höherem sozioökonomischem Status an.

Zugänglichkeit zu öffentlichen Kindergärten © A&W Blog
© A&W Blog

Zugänglichkeit zu privaten Kindergärten © A&W Blog
© A&W Blog

Die Entscheidung der Stadt Wien, Kinderbetreuung vermehrt in die Hand Privater zu geben, kann vermutlich auf organisatorische Machbarkeit und Kostenüberlegungen zurückgeführt werden. Als Vorteil einer Auslagerung kann auch gesehen werden, dass eine vielfältige Trägerlandschaft individuelle Präferenzen der Eltern (etwa hinsichtlich bestimmter pädagogischer Konzepte) besser bedienen kann. Gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass private Kindergärten Ungleichheiten zwischen Kindern unterschiedlicher Gesellschaftsschichten schaffen, die ein Mitgrund dafür sein können, dass das Angebot von Kindergärten nicht von allen Kindern in gleicher Weise genutzt werden kann.

 

Dieser Blogbeitrag basiert auf dem Artikel „Inequalities in Spatial Accessibility of Childcare: The Role of Non-Profit Providers“.