Wohnungsnot und Delogierungswahnsinn

04. April 2024

Im Wohnen zeichnet sich zunehmend ein Verteilungsproblem ab. Während die einen in Wohnraum als Ware investieren, bleibt Wohnen für viele Menschen ein unzureichend erfülltes Grundbedürfnis. Die jüngsten Statistiken über Räumungsklagen und Delogierungen verzeichnen einen deutlichen Anstieg. Die zunehmende Wohnungsnot ist ein Problem, das sich nicht weiter individualisieren lässt.

Die neue Wohnungsfrage

Die Folgen der Pandemie, Kriegsgeschehen und Klimakatastrophe stellen unsere Gesellschaft vor Herausforderungen einer multiplen Krise, die soziale Ungleichheiten verschärfen lässt. Hinzu kam zuletzt eine Inflationsentwicklung, die massive Anstiege in den Lebenserhaltungs- und Wohnkosten brachte, und eine Lohnentwicklung, die weiter hinterherhinkt. Im Bereich der Wohnungsmieten lag die Inflationsentwicklung Österreichs knapp vier Prozentpunkte über dem Euroraum. Der gesellschaftliche Konsens, Wohnen sei ein Grundbedürfnis und Menschenrecht, wird von zunehmenden Finanzialisierungstendenzen von Wohnen als Anlageprodukt untergraben und umgedeutet.

Am Beispiel Wiens zeigte sich zuletzt, wie es trotz eines regelrechten Neubaubooms zu einer eklatanten Preisentwicklung kam. Das Überangebot an Wohnungen wirkte sich nicht preisdämpfend auf den Wohnungsmarkt aus, sondern führte seit 2008 zu einer Preissteigerung der Eigentumspreise um 153 Prozent und zu einem Anstieg der privaten Neuvertragsmieten von 67 Prozent.

Die steigenden Mieten führen zu einer zunehmenden Belastung breiter Bevölkerungsgruppen, wie die quartalsweise durchgeführte Panelbefragung „So geht’s uns heute“ der Statistik Austria zeigt. Seit 2022 kommt es zu einer spürbar höheren Belastung durch Wohnkosten (inkl. Betriebskosten und Energie) bei Mieter:innen. Zwar sind die Sorgen vor Zahlungsverzug sowie der tatsächliche Zahlungsverzug bei Mieten und Wohnkosten nach einem Hoch 2022 rückläufig, dennoch gaben im vierten Quartal 2023 sieben Prozent aller befragten Personen an, in den vergangenen drei Monaten zumindest einmal mit einer Wohnkostenzahlung in Verzug gewesen zu sein. Bei niedrigem Einkommen (monatliches Haushaltseinkommen unter 1.000 Euro) waren gar 23,3 Prozent mit Wohnkostenzahlungen im Verzug.

Bevölkerung am Limit – wenn Wohnkostenüberlastung zur Delogierung führt

Der Zahlungsverzug bei Mieten kann im schlimmsten Fall eine gerichtlich eingebrachte Kündigung (§ 1118 ABGB) oder Räumungsklage (§ 33a MRG) bedeuten. Diese sind Grundlagen für zwangsweise Räumungen, auch Delogierung genannt. Nach einem pandemiebedingten Rückgang ziehen in den vergangenen zwei Jahren alle Kennzahlen der Delogierungsstatistik wieder kräftig an. Zwar ist die Delogierungsstatistik besonders wenig aussagekräftig, da nicht einmal nach Mietobjekt – sprich: ob es sich um Wohnungen, Geschäftslokale oder Garagen handelt – oder Delogierungsgrund – z. B. ob es sich um einen qualifizierten Mietzinsrückstand, Eigenbedarf oder erheblich nachteiligen Gebrauch des Mietobjekts handelt – differenziert wird. Dennoch kann die Statistik positive wie negative Tendenzen aufzeigen. Und diese sind eindeutig.

© A&W Blog
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Die in der Delogierungsstatistik abgebildeten, sehr besorgniserregenden Entwicklungen sind hier kaum von der Hand zu weisen und decken sich mit Berichten aus den Sozialberatungs- und Fachstellen der Volkshilfe Wien. Obwohl die gerichtlichen Kündigungen und Räumungsklagen ebenso wie die Anträge auf deren Exekution noch immer rückläufig sind, erreichen die durchgeführten Delogierungen wieder das vorpandemische Niveau. Simpel ausgedrückt: Vermieter:innen gehen noch immer vergleichsweise weniger vor Gericht gegen Mieter:innen vor, trotzdem gibt es schon wieder so viele Delogierungen wie vor Pandemie und Teuerungswelle. In Wien, wo sich in zwei Jahren die Anzahl an gerichtlich eingebrachten Kündigungen und Räumungsklagen verdoppelt hat, wurden 2023 wieder mehr Räumungen durchgeführt als im Hoch 2018. Erreichen die eingebrachten Kündigungen und Räumungsklagen ebenfalls das Niveau aus 2018, wovon aktuell auszugehen ist, dann dürfte die Anzahl vollzogener Räumungen neue Ausmaße erreichen. Dabei konnte die Fachstelle für Wohnungssicherung (FAWOS) der Volkshilfe Wien allein im Jahr 2023 mehr als tausend Haushalte vor einer Delogierung bewahren. Österreichweit wurden 2022 und 2023 durch den vom Sozialministerium mit 224 Mio. Euro finanzierten Wohnschirm, mit dessen Abwicklung die Volkshilfe Wien beauftragt wurde, rund 7.000 Mietwohnungen gesichert, ein großer Teil davon mit Kindern.

Es braucht Prävention – nicht nur Handeln am letzten Drücker

Der Kampf gegen Delogierungen ist notwendigerweise von zwei Seiten zu betrachten: einer wohnpolitischen Seite, welche die Frage nach leistbarem Wohnraum in den Mittelpunkt rückt, und einer sozialpolitischen, die einem generalisierten Risiko, die Wohnung durch Krise und Not zu verlieren, wohlfahrtsstaatlich vorbeugt. Aktuell findet Delogierungsprävention allerdings ausschließlich als sozialpolitisches Thema statt. Für die Bevölkerung wesentliche Preiseingriffe, wie Mietendeckel oder -stopp, blieben weitgehend aus. Das führte dazu, dass man sich auf sozialpolitischer Seite darauf konzentrieren muss, den immensen Belastungen in der Bevölkerung gerecht zu werden. Statt früh einsetzender präventiver Angebote zielen wohnungssichernde Angebote vielerorts darauf ab, im letzten Moment Mietzinsrückstände zu übernehmen. Doch Prävention bedeutet, dass Mietzinsrückstände erst gar nicht entstehen bzw. diesen frühzeitig, anstatt im letzten Moment gegengesteuert wird. Entsprechende sozialarbeiterische Konzepte existieren. Doch angesichts der derzeitigen Finanzierung und des Drucks am Wohnungsmarkt ist die Umsetzung meist unmöglich.

Gleichzeitig werden auf Kommunalebene bei Weitem nicht alle möglichen Instrumente der Wohnungssicherung angewandt, die zur Verfügung stünden. Jede Gemeinde muss vom Gericht über Räumungsklagen nach § 33a MRG informiert werden. Diese haben die Möglichkeit, wie bspw. die Gemeinde Wien bei der Fachstelle für Wohnungssicherung, soziale Institutionen über das Einlangen in Kenntnis zu setzen. Das ermöglicht sozialen Einrichtungen, gezielt und frühzeitig von Delogierung bedrohte Menschen zu adressieren. Diese „Kann-Leistung“ findet nur leider bei Weitem nicht in jeder Gemeinde Anwendung. Beratungsstellen, die proaktiv auf Gemeinden zukommen, werden gar mit dem Verweis auf bürokratischen Aufwand abgetan. Dabei entstehen durch eine Delogierung aufgrund von 2.500 Euro Mietzinsrückstand Folgekosten von über 30.000 Euro. Frühzeitige Interventionen zahlen sich also aus menschlicher und wirtschaftlicher Sicht aus.

Was tun im Kampf gegen Delogierungen

Dem vom Sozialministerium finanzierten Wohnschirm und dem unermüdlichen Einsatz der Sozialberatungs- und Fachstellen für Wohnungssicherung der vielen Trägerorganisationen ist es zu verdanken, dass nicht Tausende Haushalte in die Wohnungslosigkeit gerutscht sind. Dieser Einsatz packt die Probleme allerdings noch nicht an der Wurzel. Wesentlich wäre der Mut zu strukturellen Änderungen, wesentlich wäre, Wohnungsnot und Delogierungsgefahr als sozial- und wohnpolitische Herausforderung zu begreifen. Dafür ist ein Bündel an Maßnahmen notwendig, das den Wohnungsmarkt wieder ins Lot und realistische Perspektiven für Mieter:innen bringt. Dazu gehört:

  • Bodenpolitik, die mehr geförderten Wohnbau sicherstellt, eine wirksame Leerstandsabgabe, die spekulativen Wohnbau einbremst, sowie ein klares Mietrecht für alle Mietobjekte, das zumindest die Abschaffung befristeter Mietverträge, verbindliche Mietzinsobergrenzen und die Informationspflicht von Gemeinden an qualifizierte Sozialeinrichtungen bei drohender Delogierung umfasst;
  • ein Bundeswohnungssicherungsgesetz, das niederschwellige Beratung und finanzielle Unterstützung bei Mietzinsrückstand nach bundesweit einheitlichen und transparenten Kriterien zusichert und eine Notfalls-Übersiedelung als wohnungssichernde Maßnahme bei drohender Delogierung anerkennt;
  • Schaffung eines verbindlichen Kontingents an Housing-first-Wohnungen aus verschiedenen Segmenten des Wohnungsmarktes (sozialer und geförderter Wohnbau, Potenziale durch städtebauliche Verträge/Bauträger:innenwettbewerbe/Nachverdichtungsprojekte);
  • die angemessene Finanzierung flächendeckender sozialarbeiterischer Angebote, sodass frühzeitig und nicht erst im letzten Moment interveniert werden kann sowie
  • eine verbesserte Datenqualität der Delogierungsstatistik.
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