AK Jugend­monitor: Teuerung frisst sich in die Zukunft junger Menschen

09. August 2024

So könnte man die wichtigste Botschaft des 1. AK Jugendmonitors zusammenfassen, für den österreichweit 1.200 junge Menschen zwischen 16 und 29 Jahren befragt wurden. Sie leiden – stärker als andere Bevölkerungsgruppen – unter den Folgen der Teuerung: Ihre finanziellen Ressourcen sind aufgebraucht, ihre Zukunftspläne, wie die erste eigene Wohnung oder die Ausbildung, müssen verschoben werden.
Der AK Jugendmonitor zeigt aber auch: Junge Menschen leisten ihren Beitrag, ehrenamtlich und in ihrem direkten Umfeld. Trotzdem werden sie von der Politik im Stich gelassen.

Die größten Sorgen: finanzielle Lage und Zukunft

Wie geht es jungen Menschen wirklich, was ist ihre sozioökonomische Situation und wie wirkt sich diese auf ihre aktuellen Lebensbedingungen und zukünftigen Möglichkeiten aus? Das hat die AK im Jugendmonitor 2024 erhoben und dabei auch jungen Menschen selbst das Wort überlassen. Durch einen Mix an standardisierten und offenen Fragen zeigt sich ihre Lebenssituation nicht nur in Zahlen, sondern in Bildern, beschrieben in ihren eigenen Worten.

So haben wir sie offen – also ohne vorgegebene Antworten – gefragt, welche Themen ihnen am meisten Sorgen bereiten. Das sind in erster Linie ihre finanzielle Lage (26%) und die Zukunft (25%). Auch Leistungsdruck (14%), ihre psychische und körperliche Gesundheit (13%) und die globale Lage (10%) wurden häufig genannt.

Der Unterschied, der zu Ungleichheit führt: die finanzielle Lage

Untersucht man genauer, welche Strategien der Bewältigung junge Menschen für ihre Sorgenthemen finden, zeigt sich schnell: Nicht etwa Stadt, Land, Herkunft oder Geschlecht bestimmen die Möglichkeiten im Umgang mit der Teuerungskrise. Den bedeutsamsten Unterschied macht die finanzielle Ausgangslage.

Für eine eingehende Analyse ihrer Lebensrealitäten kann man junge Menschen daher in drei (ökonomische) Cluster unterteilen.

© A&W Blog


Die finanzielle Lage der unteren 30 Prozent ist schlecht, sodass die Personen in dieser Gruppe sogar oft armuts- oder ausgrenzungsgefährdet sind. Über Kapital verfügt niemand, Unterstützung von den Eltern gibt es kaum und die Einkommen sind unterdurchschnittlich. Erben wird gerade einmal jede:r Zehnte.

In dieser Gruppe geben 74 Prozent an, sich unerwartete Ausgaben in Höhe von 1.300 Euro nicht leisten zu können. 66 Prozent können sich keine Urlaubswoche an einem anderen Ort leisten und mehr als jede:r Dritte kann sich bei Bedarf keine neue Kleidung kaufen.

Die zweite Gruppe besteht aus den mittleren 40 Prozent der jungen Menschen. Kapital hat jede:r Zehnte, das Einkommen liegt im Durchschnitt und finanzielle Unterstützung erhält ein Drittel. Etwas mehr als die Hälfte wird einmal den Wert eines Hauses erben.

Von ihnen geben bedeutend weniger Befragte an, sich keine unerwarteten Ausgaben in Höhe von 1.300 Euro leisten zu können (40%), nicht an einem anderen Ort Urlaub machen zu können (28%) oder sich keine neue Kleidung kaufen können (7%).

Die dritte Gruppe besteht aus den oberen 30 Prozent der 16- bis 29-Jährigen. Sie sind finanziell gut abgesichert, d. h. sie verfügen über ein überdurchschnittliches Einkommen, teilweise sogar aus Vermietung, Verpachtung oder Kapitalanlagen. Zwei Drittel erhalten Unterstützung von den Eltern; circa zwei Drittel werden mehr als den Wert eines Hauses erben.

Die Betroffenheit bei unerwarteten Ausgaben (12%), Urlaub (10%) und der Anschaffung neuer Kleidung (1%) ist hier am geringsten.

Teuerung frisst sich in die Zukunft

Durch die Teuerung hat sich die finanzielle Lage vieler junger Menschen dramatisch zugespitzt, wobei die Belastung weit über materielle Themen hinausgeht:

  1. Junge Menschen müssen Abstriche machen, die sie noch lange in die Zukunft verfolgen werden. Von den unteren 30 Prozent geben 78 Prozent der Befragten an, ihre Ersparnisse seien aufgebraucht, sie mussten sich Geld leihen, das Bankkonto überziehen oder einen Kredit aufnehmen. Wer Schulden macht, stellt auch andere wichtige Entscheidungen hintan: Jede:r Dritte aus dieser Gruppe konnte eine geplante Aus- oder Weiterbildung nicht beginnen, musste diese unterbrechen oder abbrechen.

  2. Die Liste an Belastungen macht aber nicht am Bankkonto halt: Sie beeinflussen auch die Zufriedenheit mit der Wohnsituation, der Schule und dem Leben insgesamt. Befragte mit der höchsten finanziellen Belastung geben häufiger an, oft traurig oder verzweifelt zu sein. Dazu kommt, dass 80 Prozent von ihnen bei den Ausgaben für Freizeit und Erholung teuerungsbedingt sparen müssen.

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Daraus ergibt sich ein bedrückendes Bild: von einer Gruppe, die mit Mehrfachbelastungen kämpft, in ihren Entscheidungen eingeschränkt ist und sich aus dieser Situation mangels finanzieller Ressourcen nur schwer befreien kann.
Der politische Auftrag ist klar: Jetzt müssen rasch die richtigen Maßnahmen getroffen werden, denn die Teuerung frisst sich in ihre Zukunft.

Und trotzdem: Junge Menschen gestalten mit!

Dennoch: Junge Menschen sind Gestalter:innen ihrer und unserer Gegenwart, trotz der beschriebenen Herausforderungen, auch das zeigt der AK Jugendmonitor. Rund die Hälfte (48%) ist in Vereinen, NGOs, Jugendorganisationen, Blaulichtorganisationen, der Schüler:innen- und Studierendenvertretung, der Gewerkschaft, in politischen Parteien oder selbstorganisierten Gruppen aktiv. Dort bringen sie ihre Anliegen vor, vertreten ihre Interessen oder die ihrer Peers, arbeiten an gemeinsamen Projekten und sind mit bzw. für unsere Gemeinschaft tätig. Als Gründe für ihren gesellschaftlichen Beitrag nennen sie mögliche Veränderung, Freude oder sinnstiftende Tätigkeiten.

Aber nicht nur nach dem messbaren Engagement junger Menschen wurde gefragt, sondern auch, welche Spuren sie im alltäglichen Leben hinterlassen. Was würde fehlen, wenn sie morgen plötzlich nicht mehr da wären? Fast alle (94%) hatten eine Antwort und zeigen damit, dass sich junge Menschen des Beitrags, den sie leisten, durchaus bewusst sind. Ein Drittel verwies auf die fehlende Arbeitskraft, ein Fünftel nannte den wertschätzenden und solidarischen Umgang, der verloren ginge, ein weiteres Fünftel die gute Stimmung, zu der sie nicht mehr beitragen könnten. Auch das leibliche Wohl, für das niemand mehr Sorgen könne, wurde genannt.

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Mit ihnen statt für sie

Junge Menschen sind durch ihr Engagement präsent und sie sagen klar, was ihnen Sorgen bereitet. Wieso also werden ihre Anliegen ignoriert, wieso folgen ihren geäußerten Sorgen keine geeigneten politischen Maßnahmen?

Wirksame Jugendpolitik muss diese Schieflage umdrehen. Statt auf ihre Defizite zu schauen, fokussiert sie auf ihre Rechte und Stärken.

Das bedeutet zunächst, die Sorgen junger Menschen ernst zu nehmen und ihre Ausgangslage zu kennen. Hier leistet die AK mit dem erstmaligen Jugendmonitor einen wissenschaftlichen Beitrag für jugendpolitische Debatten.

Es bedeutet auch, nicht über ihre Köpfe hinweg zu entscheiden, sondern mit ihnen und ihren Interessenvertretungen gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Nur mit ihnen und nicht für sie können wir den Herausforderungen begegnen:

  • Sie brauchen Unterstützung in der Ausbildung, um Abbrüche zu verhindern. Dafür müssen Schulen so ausgestattet sein, dass sie Problemlagen frühzeitig erkennen und darauf reagieren können (mit dem AK Chancenindex). In der Lehrausbildung und dem -abschluss müssen Hürden abgebaut werden, sodass auch die letzten Meter trotz finanzieller Herausforderungen genommen werden können.
    Menschen, die ihren Abschluss nachholen, benötigen Existenzsicherung (z. B. mittels Qualifizierungsgeld).
  • Sie benötigen Maßnahmen gegen die Teuerung, die bei ihnen ankommen. Das betrifft gedeckelte Mieten ebenso wie ein Offensive für geförderten Wohnbau, leistbare Energieversorgung, eine Bremse bei Lebensmittelpreisen und frei zugängliche Freizeiteinrichtungen.
  • Sie haben ein Recht auf gute Begleitung: durch ein ausgebautes Jugendcoaching ebenso wie in vollfinanzierter Psychotherapie und niederschwelliger Beratung.

Oft heißt es, junge Menschen seien die Zukunft. Aber sie haben Rechte, auch in der Gegenwart. Um die aufgehende Schere entlang von Teilhabechancen zu verhindern, müssen junge Menschen gezielt unterstützt werden – hier und jetzt.

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