Halbzeit bei den SDGs: Viele Kennzahlen, zu wenig Politik für die Agenda 2030

25. September 2023

Die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele oder SDGs (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen sind das Kernstück der Agenda 2030 für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung. Im September 2023 ist die Hälfte der Zeit zur Umsetzung des Aktionsplans verstrichen. Die Bilanz ist ernüchternd: Ohne massive Anstrengungen werden die SDGs bis 2030 überwiegend nicht erreicht. Auch Österreich muss mehr tun – etwa bei den Armuts- und Klimazielen. Insgesamt muss die politische Steuerung stärker an der nachhaltigen Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen ausgerichtet werden.

Große Ziele, aber auch große Zielkonflikte

Am 25. September 2015 wurde die Resolution zur Agenda 2030 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) als „Aktionsplan für Menschen, Planeten und Wohlstand“ verabschiedet. Darin wird von nicht weniger als einer “Transformation unserer Welt” gesprochen. Es folgen große Versprechen, wie: “Wir sind entschlossen, die Menschheit von der Tyrannei der Armut und der Not zu befreien und unseren Planeten zu heilen und zu schützen.” Die folgende Festlegung auf die 17 SDGs kann zunächst durchaus positiv beurteilt werden, da sie ein ganzheitliches Bild von Wohlstand in den Vordergrund stellen. Und auch dass sich alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zu diesen Zielen, die gleichermaßen für alle Länder der Welt gelten, bekannt haben, ist für sich genommen ein großer Fortschritt.

Bei genauerem Hinsehen wird jedoch schnell deutlich, dass einige Ziele nicht weitreichend genug sind und bestehende Zielkonflikte nicht thematisiert werden. Besonders deutlich wird dies bei den Klimazielen. Zwar sind ökologische Ziele innerhalb der SDGs gut vertreten, jedoch werden Konflikte mit anderen Zielen – insbesondere zum Wirtschaftswachstum in SDG 8 – nicht berücksichtigt. Wirtschaftswachstum ist mit einem steigenden Energie- und Materialdurchsatz verknüpft, der dem Erreichen der Klimaziele im Rahmen des Pariser Abkommens zuwiderläuft.

Gemessen wird viel

Infolge der Verabschiedung der Agenda 2030 und der SDGs wurde eine Vielzahl an Messkonzepten, Indikatorensets und darauf aufbauend jährlichen Berichten aufgesetzt. Der Vorschlag der UN zur Messung der Umsetzung enthält 169 Unterziele und noch viel mehr Indikatoren, die jedoch entsprechend der nationalen Relevanz der Ziele abgeglichen werden sollten. Seitens der UN werden jährliche Umsetzungs- sowie Schwerpunktberichte mit globaler Perspektive erstellt.

Auf EU-Ebene liegt die Berichterstattung bei Eurostat. Die europäische Statistikbehörde hat ein 100 Indikatoren umfassendes Set erstellt; im Frühling erscheint darauf basierend jährlich ein Fortschrittsbericht. In Österreich liegt die Verantwortung bei Statistik Austria. Das nationale Indikatorenset umfasst derzeit rund 200 Indikatoren; seit 2020 erfolgten drei Berichte. Eine gesamthafte Betrachtung aller Ziele und Indikatoren mit entsprechenden Schlussfolgerungen bietet das Monitoring jedoch nicht.

Getan wird zu wenig: Halbzeitstand

Wie bereits nach dem ersten Drittel fällt die Halbzeitbilanz zur Umsetzung der SDGs ernüchternd aus, insbesondere für die globale Perspektive. Die Pandemie und die Teuerungskrise hinterlassen auch hier ihre Spuren, zudem zeigt sich die unzureichende Bearbeitung der langfristigen Probleme, allen voran der sozialen Ungleichheit und der Klimakrise.

So kommt der jährliche Bericht der UN 2023 zum Schluss, dass zur Hälfte der Umsetzungszeit die Hälfte der Welt zurückgelassen wird. Bei mehr als 50 Prozent der Ziele sind die Fortschritte schwach bis unzureichend; bei 30 Prozent stocken sie oder es sind gar Rückschritte erkennbar. Besonders erschreckend ist, dass dies auch Schlüsselziele zu Armut, Hunger und Klima betrifft. Auch der Global Sustainable Development Report, der im Auftrag der UN alle vier Jahre von unabhängigen Wissenschafter:innen verfasst wird, kommt zur Erkenntnis, dass deutlich mehr Anstrengungen und mitunter auch Kurskorrekturen notwendig sind, um die SDGs bis 2030 noch zu erreichen.

2022 hat das OECD-Zentrum für Wohlergehen, Inklusion, Nachhaltigkeit und Chancengleichheit versucht den Abstand zur jeweiligen Zielerreichung der SDGs für die OECD-Mitgliedstaaten zu messen. Von den hier gemessenen 112 Zielen konnten für den OECD-Raum als Ganzes 10 als bereits erreicht sowie 18 weitere als nahezu erreicht gelten. Dies betrifft innerhalb der OECD vor allem Ziele, die auf die Sicherung der Grundbedürfnisse und die Umsetzung politischer Rahmenbedingungen abzielen. 21 Ziele scheinen jedoch weit davon entfernt, erreicht zu werden – dies sind vor allem ökologische.

Erste Stimmen halten die Umsetzung der SDGs bis 2030 mittlerweile für kaum mehr möglich und fokussieren bereits auf Notwendigkeiten für eine Zielerreichung bis 2050.

Wo steht Österreich?

Der letztjährige OECD-Bericht weist für Österreich – wie für fast alle OECD-Länder im weltweiten Vergleich – gute Ergebnisse für die Bereiche der Sicherung der Grundbedürfnisse, sauberes Wasser, Frieden und Partnerschaften und ein insgesamt recht hohes Wohlstandsniveau aus. Die größten Herausforderungen werden unter anderem bei den Zielen zur Gesundheit und Gleichstellung der Geschlechter gesehen. Auch die Statistik Austria stellt in ihrem aktuellen Bericht für Österreich fest, dass es im vergangenen Jahrzehnt bei den meisten Kennzahlen zu Verbesserungen gekommen ist. Bei einem Fünftel der Ziele kam es jedoch zu Rückschritten – diese beziehen sich, wie auch der erste freiwillige nationale Umsetzungsbericht zeigt, vor allem auf den Bereich Umwelt.

Eine positive Entwicklung alleine sagt jedoch noch nichts über die tatsächliche Zielerreichung aus. So bestätigen neue Daten, dass sich die soziale Lage in Österreich deutlich verschärft hat und die zuletzt erzielten Fortschritte bei der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit im Zuge der Covid-19- und Teuerungskrise wieder wettgemacht wurden. Laut aktuellen Befragungen können viele Menschen ihren Lebensstandard aufgrund der hohen Preise nicht mehr halten. Auch der aktuelle Eurostat-Bericht hält fest, dass es gerade im Bereich der monetären Armut zu Verschlechterungen gekommen ist.

Den größten Handlungsbedarf gibt es jedoch in Bezug auf die Klimakrise. Weder bei der Klimakrisen-Anpassung noch bei der Eindämmung der Klimakrise an sich tut Österreich genug. Unzureichender Schutz vor Extremwetterereignissen, Hitzebelastung am Arbeitsplatz und gesundheitliche Folgen der Erderhitzung belasten die Menschen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Reichsten, die am meisten CO2 emittieren, ihren politischen Einfluss nutzen, um effektive Klimapolitik zu verhindern.

Berichte sind noch keine politischen Strategien

Berichte über den Fortschritt in der Erreichung der Ziele sind zweifelsohne wichtig. Den vielen Worten und Kennzahlen müssen allerdings auch Taten und politische Maßnahmen folgen. Die Berichte können nur eine Grundlage sein, um Umsetzungsprobleme und Zielabweichungen festzustellen und entsprechend neue Maßnahmen zu setzen oder nachzujustieren. Angesichts der enormen Herausforderungen insbesondere durch Klimakrise und weltweite Armut ist eine aktive wohlstandsorientierte Politik dringend notwendig.

In Österreich wäre es besonders wichtig, die Institutionen und Steuerungsprozesse („Governance“) strukturell stärker auf das übergeordnete Ziel der nachhaltigen Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen auszurichten. Entsprechende Ziele müssen tatsächlich handlungsleitend werden. In den AK-Wohlstandsberichten schlagen wir hierzu das Aufsetzen eines neuen politischen Steuerungsprozesses vor, in dessen Fokus eine jährliche Entwicklungsstrategie der Bundesregierung steht: Welche (Teil-)Ziele sollen konkret mit welchen Maßnahmen umgesetzt werden? Ein Expert:innen-Beirat soll die Umsetzung begleiten.

Das 2021 in Österreich eingeführte SDG-Budgeting könnte, bei richtiger Umsetzung und ggf. Adaptionen, ebenfalls gut integriert werden. Hierzu müssten die Ziele aber deutlich stärker konkret mit Budgetmitteln hinterlegt werden und Prozesse bei Zielabweichungen aufgesetzt werden.

Ausblick

Aktuell wurde Berichten zufolge auf der diesjährigen UN-Generalversammlung am 18. September aufgrund der Erkenntnis, dass die SDGs im derzeitigen Umsetzungstempo nicht erreichbar sind, ein „Rettungsplan für die Menschheit und den Planeten“ angenommen. Demnach soll sich die Staatengemeinschaft zur schnelleren Umsetzung mit konkreteren Maßnahmen bekennen. Dazu werden nationale Strategien zur Verringerung von Armut und Ungleichheit sowie eine Reform der internationalen Finanzstruktur aufgeführt.

Die Verknüpfung dieser Themen ist ein wichtiger Ansatz, der auch im magischen Vieleck wohlstandsorientierter Wirtschaftspolitik der AK verfolgt wird. Aktuell könnten also wichtige Schritte in die richtige Richtung erfolgen. Aber einmal mehr gilt: Den Bekenntnissen und Resolutionen müssen jetzt schnell Taten folgen!

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