Inflation: Belastet die Teuerungskrise Frauen stärker als Männer?

17. Oktober 2023

Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Inflationsraten zwischen Männern und Frauen kaum. Das liegt daran, dass häufig Single-Haushalte verglichen werden, da Konsumausgaben nur auf Haushaltsebene erhoben werden. Frauen (insbesondere in Altersarmut und Alleinerziehende) müssen einen größeren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel, Wohnen, Gesundheit und Mobilität ausgeben. Hier waren die Preisanstiege zuletzt enorm. Die Armutsbetroffenheit von Frauen droht zu steigen. Gefragt sind eine zielgerichtete Sozialpolitik, preissenkende Maßnahmen sowie ein ambitioniertes Gender Budgeting.

Probleme bei der Inflationsmessung

Die Teuerung wird anhand des Verbraucherpreisindexes (VPI) gemessen. Der VPI basiert auf einem Warenkorb, bestehend aus 757 Waren und Dienstleistungen, und soll den durchschnittlichen Konsum der österreichischen Haushalte darstellen. Die individuelle Inflationsrate kann davon jedoch stark abweichen – wer z. B. im eigenen Haus wohnt, ist von Mieterhöhungen nicht betroffen, wer täglich mit dem Auto pendeln muss, ist stärker von Benzinpreisschwankungen betroffen.

Für die Beantwortung der Frage, ob bestimmte Personengruppen von der Teuerung besonders belastet sind oder dadurch sogar in Armut abrutschen, ist die allgemeine Inflationsrate über alle Konsumkategorien nur wenig aussagekräftig. Erstens können niedrigere Inflationsraten bei weniger essenziellen Konsumkategorien, wie z. B. Alkohol, die massiven Preissteigerungen bei grundlegenden Gütern, wie etwa Nahrungsmitteln oder Wohnen, im Durchschnitt verdecken. Zweitens zeigen unterschiedliche Haushaltstypen unterschiedliche Konsummuster, die bei einer Analyse des österreichischen Durchschnittshaushalts übersehen werden – insbesondere, wenn es sich um kleinere Bevölkerungsgruppen handelt, wie etwa Alleinerziehende. Drittens verstecken allgemeine als auch persönliche Inflationsraten, wie hoch der Einkommensanteil ist, der für die Deckung (essenzieller) Konsumausgaben aufgewendet werden muss.

… insbesondere nach Geschlecht

Um den Warenkorb zusammenzustellen, führt die Statistik Austria alle fünf Jahre eine Konsumerhebung durch. Da diese Befragung nach Konsumgewohnheiten nur auf Haushaltsebene und nicht auf individueller Ebene durchgeführt wird, können wir keine allgemeinen Aussagen über die Auswirkungen der Inflation auf Männer oder Frauen treffen. Es gibt also blinde Flecken, was die geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Teuerung auf Frauen in Paarhaushalten betrifft. Somit kann man auch keinen Blick auf die Dynamiken innerhalb einer Familie werfen und auch keine Aussagen über etwaige Machtungleichgewichte in der Verteilung von Ressourcen zwischen den Geschlechtern treffen. Als Annährung sehen wir uns die Konsummuster unterschiedlicher Haushaltstypen an, mit besonderem Fokus auf alleinstehende Frauen (unter 60 Jahren), alleinstehende Pensionistinnen und Alleinerzieherinnen. Über die Betroffenheit von Frauen in Paar- und Mehrgenerationenhaushalten können wir aufgrund der Datenlage leider keine Aussagen treffen, obwohl hier die geschlechtsspezifischen Einkommensdifferenzen (etwa aufgrund unbezahlter Care-Arbeit) eine gewichtige Rolle spielen könnten.

Viele Frauen massiv von höheren Kosten für Wohnen, Lebensmittel und Gesundheit betroffen

In Zeiten von massiven Preissteigerungen, insbesondere bei Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs (bei denen der Konsum nur schwer reduziert werden kann), muss ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, ob diese Bedürfnisse mit dem zur Verfügung stehenden Einkommen noch gedeckt werden können. Daher werfen wir einen Blick darauf, wie groß der Einkommensanteil ist, den unterschiedliche Haushaltstypen aufwenden müssen, um bestimmte Grundbedürfnisse zu decken. Wir vergleichen besonders oft von Armut betroffene Haushaltstypen (Alleinerzieherinnen, alleinstehende Frauen und alleinstehende Pensionistinnen) mit den Ausgaben eines österreichischen Durchschnittshaushaltes, von denen sich auch die Gewichtung des VPI ableitet.

Ein Blick auf die Mikrodaten der Konsumerhebung 2019/20 zeigt, dass Frauen, die allein oder nur mit ihren Kindern zusammenwohnen (Ein-Erwachsenen-Haushalt), im Vergleich zum Durchschnitt einen signifikant höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens für Wohnen, Energie, Nahrungsmittel sowie Gesundheit, Soziale Dienste und Bildung aufwenden müssen. Alleinerzieherinnen und alleinstehende Pensionistinnen geben einen mehr als doppelt so hohen Anteil ihres Einkommens für Wohnen und Energie aus als ein österreichischer Durchschnittshaushalt. Auch für Nahrungsmittel müssen diese beiden Gruppen einen 1,5-mal so hohen Einkommensanteil aufbringen wie der Durchschnitt. Gleichzeitig sind diese Bereiche seit dem Beginn der Teuerungskrise im Mai 2021 von massiven Preissteigerungen betroffen: Die Preise für Wohnen und Energie sind in den letzten 27 Monaten um 27 Prozent gestiegen, jene für Nahrungsmittel um 24 Prozent.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Auch im Bereich Mobilität müssen Alleinerzieherinnen und alleinstehende Frauen (unter 60 Jahren) einen größeren Anteil ihres Einkommens verwenden als der Durchschnitt. Einzig die Gruppe der alleinstehenden Pensionistinnen gibt unterdurchschnittlich viel für Mobilität aus. Wenn man einen genaueren Blick auf diese Gruppe wirft, fällt jedoch auf, dass diese überdurchschnittlich durch Gesundheits-, Sozial- und Bildungsausgaben belastet ist. Allein lebende Pensionistinnen müssen 16 Prozent ihres Einkommens für den Bereich Gesundheit ausgeben – das ist ein 2,4-mal so hoher Anteil als im Durchschnitt (7 Prozent).

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Eine wichtige Ergänzung dieser Analyse ist die Frage, wie sich Konsummuster in einer Krise ändern. Die letzte Konsumerhebung wurde vor der Teuerungskrise (und während der Corona-Pandemie) durchgeführt. Der Anteil gewisser Ausgaben an den Gesamtausgaben kann sich jedoch im Laufe der Teuerungskrise verändert haben. Die Statistik Austria veröffentlicht zwar zu Jahresbeginn Schätzungen zu den veränderten Gewichten, diese sind jedoch nicht für die unterschiedlichen Haushaltstypen verfügbar. Klar ist jedoch, dass gewisse Ausgaben nicht substituiert oder verändert werden können: Auf einen Urlaub oder hohe Ausgaben in der Gastronomie kann verzichtet werden, eine Wohnung kann jedoch nicht so einfach durch eine günstigere Alternative ersetzt werden. Auch hier zeigt sich, dass Frauen aufgrund ihrer höheren Ausgaben für Wohnen oder Gesundheit stärker betroffen sind.

Probleme klassischer Armutsindikatoren in Teuerungskrisen

Klassische Armutsindikatoren (wie etwa die Armutsgefährdungsquote), die sich auf verfügbare Einkommen beziehen, unterschätzen das Problem steigender Armut in einer Teuerungskrise. Das liegt unter anderem daran, dass auf Einkommen basierende Statistiken nur mit großer Verzögerung erscheinen. Zuletzt verfügbare Zahlen zeigen, dass knapp ein Drittel aller Haushalte mit alleinerziehenden Eltern armutsgefährdet sind, wobei vier Fünftel dieser Haushalte von alleinerziehenden Müttern geführt werden. Diese Zahlen beziehen sich jedoch auf 2021, als die Teuerungskrise noch nicht voll durchgeschlagen hat. Sie zeigen allerdings eine Tendenz, dass Elternschaft und Trennung mit einem Armutsrisiko einhergehen, vor allem für Frauen. Auch bei allein lebenden Pensionist:innen ist der Geschlechterunterschied deutlich: Während unter den allein lebenden Frauen 28 Prozent armuts- oder ausgrenzungsgefährdet sind, sind es unter den Männern mit Pensionsbezug 19 Prozent. Andererseits verschleiern auf Einkommen basierende Armutsstatistiken das Problem schnell steigender Ausgaben für Grundbedürfnisse. Selbst wer ein Einkommen über der offiziellen Armutsgefährdungsschwelle bezieht, kann von Armut betroffen sein, wenn die Kosten für Wohnen oder Heizen explodieren.

Armutsbetroffenheit von Frauen steigt

Einen aktuelleren Blick auf die Auswirkungen der Teuerung bietet die Quartalserhebung „So geht’s uns heute“ der Statistik Austria. In dieser wird regelmäßig das Wohlergehen der österreichischen Bevölkerung erfasst, indem ein Fokus auf das Auskommen mit dem Einkommen für grundlegende Bedürfnisse gelegt wird, anstatt nur auf die (relative) Höhe des Einkommens zu achten. In der aktuellen Welle (2. Quartal 2023) gaben 14 Prozent der Single-Haushalte und 17 Prozent der Alleinerziehenden an, dass sie in den letzten drei Monaten große Schwierigkeiten hatten, mit ihrem Haushaltseinkommen auszukommen. Infolgedessen können sich zum Beispiel 13,5 Prozent der Single-Haushalte und 16,1 Prozent der Alleinerziehenden jeden zweiten Tag keine angemessene Hauptmahlzeit für alle Haushaltsmitglieder leisten. Der Anteil der Frauen, die angaben, nicht genug Geld für angemessene Mahlzeiten zu haben, ist mit 9,1 Prozent deutlich höher als der der Männer (6,5 Prozent).

Was es jetzt braucht

Insbesondere die Bundesregierung ist gefordert, weitere konkrete Maßnahmen für die Bekämpfung der Teuerung sowie der Armut zu setzen. Es braucht endlich einen Deckel auf alle indexbasierten Mieten. Die angekündigte Mietpreisbremse ist mit 5 Prozent Obergrenze nicht nur zu lax, sie hat auch keinerlei Effekt auf die massiven Mietpreissteigerungen der vergangenen zwei Jahre.

Um die Armutsgefährdung effektiv zu bekämpfen, müssen sozialstaatliche Leistungen armutsfest werden – etwa durch eine dauerhafte Erhöhung und Valorisierung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Zudem müssen in einem modernen Sozialstaat alle Sozial- und Unterstützungsleistungen möglichst einfach gestaltet und automatisch ausbezahlt werden, auch auf Bundesländerebene. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Bekämpfung von Kinderarmut gelegt werden.

In der Budgetpolitik ist eine ambitionierte Umsetzung des in der österreichischen Verfassung verankerten Gender-Budgetings erforderlich, um durch den gezielten Einsatz öffentlicher Ressourcen und Investitionen die Gleichstellungspolitik in Österreich zu fördern. Denn der Vorbehalt, dass nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, wird in der Regel nur vorgebracht, wenn es um sozialpolitische Anliegen geht – im wirtschaftlichen Bereich bei der Unterstützung von Unternehmen und der Rettung von Banken spielen enge Budgetspielräume zumeist keine Rolle. Zur Bekämpfung von Frauenarmut muss die öffentliche Daseinsvorsorge wie Kinderbildung und -betreuung, Gesundheit sowie Pflege ausgebaut werden. Zudem muss weiter an der Verringerung des Gender-Pay-Gaps – und als Konsequenz daraus auch des Gender-Pension-Gaps – gearbeitet werden.

Einen Lichtblick bieten die aktuellen KV-Verhandlungen: Hier besteht die Möglichkeit, unterste Einkommen sowie die Kollektivverträge in Branchen, in denen mehr Frauen arbeiten, stärker anzuheben. Die Gewerkschaft GPA hat gemeinsam mit der Gewerkschaft vida den Arbeitgeber:innen der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) zuletzt ihre Forderungen einer Lohn- und Gehaltserhöhung von 15 Prozent, mindestens aber 400 Euro, übergeben.

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