Gewalt und Gewaltschutz

08. März 2023

Gewalt an Frauen und Kindern in Österreich ist ein gesellschaftspolitisch hochrelevantes Problem, das zeigen die Zahlen der Gewaltschutzzentren, Interventionsstellen, Studien und polizeilichen Statistiken. Gewalt an Frauen und Kindern geht überwiegend von Männern aus und ist ein Ausdruck von ungleichen Machtverhältnissen zwischen Männern und Frauen. Die Politik muss endlich handeln, um Gewalt, die letztlich zu Femiziden führen kann, zu bekämpfen!

Gewalt an Frauen: ein Mittel zur Machtausübung

Die soziologische Definition von Gewalt bringt es auf den Punkt: Gewalt ist eine Quelle der Macht. Max Weber verbindet Macht mit der Möglichkeit, den eigenen Willen innerhalb einer sozialen Beziehung durchzusetzen. Deshalb ist Macht nicht nur eine öffentliche, sondern gleichermaßen auch eine Erscheinung des privaten Bereichs.

Anders gesagt: Gewalt ist eine Ausdrucksform, um Macht auszuüben und Überlegenheit zu demonstrieren. Es sind gesellschaftliche patriarchale Machtstrukturen und Rollenbilder, die männliche Gewalt an Frauen unterstützen. Das kann am Arbeitsplatz oder auch im privaten Bereich sein. Grundsätzlich gilt: Je größer die Abhängigkeit und damit das Machtungleichgewicht, desto häufiger bleibt die Gewalttat im Dunkeln. Gewalt ist kein individuelles Problem der Frauen! Gewalt macht krank und hinterlässt oft über Jahre oder über ein ganzes Leben Spuren. Alle Formen von Gewalt schränken die Leben der Frauen ein und bringen gravierende psychische Folgen mit sich.

Gewalt an Frauen: Zahlen sprechen Bände

Gewalt an Frauen ist in Österreich allgegenwertig und zeigt sich in verschiedenen Formen: Zunehmend zeigen sich auch Gewaltformen, die auf wirtschaftlicher (wie Geldentzug), sozialer und psychischer Ebene (wie kein Zugang zu Informationen, Einschüchterung, Demütigung in der Öffentlichkeit, Drohungen, z. B. die Kinder wegzunehmen, Nacktfotos zu veröffentlichen usw.) erfolgen.

Die aktuellen Ergebnisse der Prävalenzstudie „Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Österreich“, durchgeführt von Statistik Austria, bilden traurige Realitäten ab. In Österreich ist jede dritte Frau (rund 35 Prozent) von körperlicher und/oder sexueller Gewalt in Beziehungen (erlebt ab dem Alter von 15 Jahren) betroffen. Mehr als jede vierte Frau (26 Prozent) zwischen 18 und 74 Jahren, die erwerbstätig ist oder war, hat sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erfahren. Mehr als jede fünfte Frau (rund 28 Prozent) ist von Stalking betroffen. Die Dunkelziffer ist in allen Bereichen zudem hoch.

Die Zahlen der rat- und schutzsuchenden Frauen steigen. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Bereitschaft zu Gewalt an Frauen gestiegen ist. Denn die Gesellschaft insgesamt ist sensibler geworden und Frauen können durch die Öffentlichkeitsarbeit besser einschätzen, ob das, was ihnen angetan wird, auch Gewalt ist.

Dabei sollte der Einfluss von Politik und Medien nicht unterschätzt werden. Vor allem rechtsideologische Politiker vermitteln häufig hierarchische und dominierende Männerbilder, die Gewalt bewusst herausfordern. Es sind auch Ideologien, die transportiert werden und in Gewalt münden. Damit wird nicht nur gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgehetzt, sondern Gewalt befeuert und legitimiert.

Sexuelle und sexualisierte Gewalt ist öffentlicher geworden

Frauen und Mädchen sind besonders häufig von sexualisierter Gewalt betroffen – im Privaten wie auch am Arbeitsplatz. Das zeigen nationale und internationale Prävalenzstudien. Gleichzeitig trauen sich betroffene Frauen und Mädchen heute häufiger, diese Form der Gewalt öffentlich zu machen und sich dagegen zu wehren.

Die Gleichbehandlungsanwaltschaft verzeichnete 2020/21 einen starken Anstieg an Anfragen. In diesem Zeitraum waren es 4.962 Anfragen und damit fast 1.000 mehr als 2018/19. Am häufigsten (1.975) betrafen die Anfragen Geschlechterdiskriminierung in der Arbeitswelt, ein Drittel davon sexuelle Belästigung.

Femizide: Frauenmorde aufgrund des Frau-Seins

Ökonomische und emotionale Abhängigkeiten, fehlendes Wissen über das Sozial- und Rechtssystem und wenig Vertrauen in Justiz und Behörden machen es schwer, dass Frauen aus der Gewaltspirale entkommen. Das Nichtherauskommen aus der Gewaltspirale bedeutet auch oft, dass die Gefahr, Opfer eines Frauenmordes zu werden, steigt. Besonders gefährlich für Frauen ist dabei die Trennungsphase, denn Femizide erfolgen meist dann, wenn sich Frauen schon trennen. Wenn Männer die Trennung nicht akzeptieren, sind Frauen und Kinder gefährdet, Opfer von Gewalt und Tötungsdelikten zu werden. Der Weg zur Arbeit (beispielsweise bei Reinigungskräften häufig ganz zeitig in der Früh) oder auch die Anwesenheit allein am Arbeitsplatz (z. B. in einem Friseursalon) kann oftmals zum Verhängnis werden.

Die Morde an Frauen in Österreich stiegen in den letzten Jahren kontinuierlich an – von 2014 bis 2018 haben sich die Morde an Frauen verdoppelt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Im Jahr 2021 wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik 29 Frauen (in Wien 11 Frauen) – von ihren (Ex-)Partnern oder Familienmitgliedern – ermordet. Im Jahr 2018 gab es einen Höchststand von 41 Frauen, die ermordet wurden. Monatlich werden im Durchschnitt drei Frauen ermordet. Beim überwiegenden Teil der Frauenmorde bestand ein Beziehungs- oder familiäres Verhältnis zwischen Täter und Opfer.

Eine Trennung kann sich wegen massiver Bedrohungen des Partners und auch der ökonomischen Abhängigkeit über viele Jahre hinziehen. Wichtig ist daher die Ermöglichung von effektiven und schnellen Schutzmaßnahmen, die die Perspektiven für eine mögliche Trennung aufzeigen.

Wege aus der Gewalt

Das Entkommen aus einer Gewaltbeziehung ist oftmals mit einer großen Überwindung verbunden. Das psychische und physische Erleben von Gewalt geht häufig mit Scham und Ängsten einher. Besonders problematisch ist es, wenn Frauen das Leben in einer Gewaltbeziehung schon als „ganz normal“ empfinden. Viele der Frauen sind zudem so sozialisiert, dass sie eine über Jahre und Jahrzehnte andauernde Leidensgeschichte haben, aber immer wieder Verständnis und Erklärungen für die Gewaltanwendung ihrer Männer zeigen, z. B. dass diese so eine schwere Kindheit hatten, selbst geschlagen wurden, arbeitslos geworden sind usw. Das bindet die Frauen, und die eigenen Bedürfnisse werden hintangestellt.

Gewalt in Zahlen – die Spitze des Eisbergs

2021 wurden 13.690 Betretungs- und Annäherungsverbote (Wien: 4.220) von der Polizei verhängt. 2021 wurden 22.039 Opfer familiärer Gewalt von den Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen betreut. Österreichweit wurden insgesamt 3.018 Personen (1.498 Frauen und 1.520 Kinder) in den Frauenhäusern betreut. 81,3 Prozent der von Gewalt Betroffenen waren Frauen und Mädchen, und 90,4 Prozent der Gefährder waren Männer.

2021 erhielt die österreichweite Frauen-Helpline 8.601 konkrete Anrufe. 7.130 der Anrufe kamen von Frauen und Mädchen. Davon waren 5.830 Anrufe bzw. 82 Prozent der Anrufe von Frauen und Mädchen mit Gewalterfahrungen. Bei 349 Anrufen musste wegen akuter Gewalt bzw. Gefährdung bei der Polizei oder bei Behörden wie dem Amt für Kinder- und Jugendhilfe mit Zustimmung der von Gewalt betroffenen Frauen interveniert werden.

Im Jahr 2021 hat der 24-Stunden-Frauennotruf der Stadt Wien mit 13.160 Beratungen Frauen, Angehörige und Ratsuchende mit Gewalterfahrungen unterstützt. 43 Prozent sind von sexualisierter Gewalt betroffen, 28 Prozent von psychischer Gewalt, 24 Prozent von körperlicher Gewalt und 5 Prozent entfielen auf K.-o.-Mittel.

Auf der Suche nach Schuldigen: die zunehmende Kulturalisierung von Gewalt

Nur allzu oft wird Gewalt auf politischer Ebene als ein importiertes Problem dargestellt und die Aufmerksamkeit auf andere, „zugewanderte“ Kulturen mit patriarchalen Denkmustern und Praktiken gelenkt. Das Thema Gewalt von Zugewanderten wird somit instrumentalisiert und u. a. für strenge Regeln bei Zuwanderung und Asyl benützt und somit bewusst von „Gleichstellungsthemen“ abgelenkt.

Die Zahlen der österreichischen Interventionsstellen und Gewaltschutzzentren zeigen jedoch ein anderes Bild: Gewalt an Frauen passiert überall und ist ein weltweites und ernst zu nehmendes Problem. Gewalt an Frauen hängt nicht mit der Herkunft, einer Staatsangehörigkeit oder einer Schicht zusammen, und zugewanderte Frauen sind generell nicht häufiger von Gewalt betroffen. Gewalt tritt in allen Gesellschaftsschichten, in allen Altersgruppen und in den verschiedensten Ausprägungen auf.

Aber: Migrantinnen, die von Gewalt betroffen sind, haben es besonders schwer, sich aus der häuslichen Gewalt zu befreien. Sie sind häufig ökonomisch und aufenthaltsrechtlich von ihren Familienangehörigen abhängig. Die Angst, dass sie abgeschoben werden und dass ihnen die Kinder abgenommen werden, ist virulent. Oft fehlt ihnen das Wissen über das Sozial- und Rechtssystem, aber auch das Vertrauen in Polizei, Justiz und Amt für Kinder und Jugendhilfe. Erschwerend kommen Sprachbarrieren hinzu. Zugewanderte Frauen haben häufig kein unterstützendes Netzwerk.

Hoch lebe der Internationale Frauentag!

Es gibt keine Entschuldigung für Gewalt! Gewaltabbau braucht ökonomische Gleichstellung und ein Aufbrechen von Machtgefällen. Das Bewusstsein gegen Partnergewalt und Männergewalt in der Gesellschaft muss geschärft werden. Damit Frauen sich aus der Gewaltsituation auch lösen können, müssen die strukturellen Probleme erkannt und mit effektiven Maßnahmen beseitigt werden.

Gewalt muss aber auch früh erkannt und ernst genommen werden. Dafür braucht es eine gute Datenlage, um Gewalt(-strukturen) und Risikofaktoren in Beziehungen schnell zu erkennen. Es braucht viel mehr qualitative und quantitative Forschung zu den Gewaltursachen.

Zudem benötigt der Gewaltschutz deutlich höhere Mittel: Österreich hat sich im Zuge der Istanbul-Konvention dazu verpflichtet, „angemessene finanzielle und personelle Mittel“ für den Gewaltschutz zur Verfügung zu stellen. Ein Richtwert dabei ist ein Frauenhausplatz pro 10.000 Einwohner:innen. Zurzeit bieten die 29 Frauenhauseinrichtungen in Österreich 771 Plätze für Frauen. Damit fehlen in Österreich noch immer 149 Plätze für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder. Auch die Allianz „Gewaltfrei leben“, die aus 30 Opferschutz- und Zivilschutzorganisationen besteht, hat auf die immense Unterdotierung für Gewaltschutz und Gleichstellungsmaßnahmen im Bundesbudget aufmerksam gemacht und eine Aufstockung des Gewaltschutzbudgets auf 228 Mio. Euro gefordert, auch um damit mehr Beratung zu ermöglichen. Denn nur die Wahrnehmung von Gewaltprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und deren ausreichende Finanzierung schützt Frauenleben!

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