Spanien befindet sich seit 2009, als das Defizit der öffentlichen Haushalte krisenbedingt von einem Überschuss auf einen negativen Rekordwert von 11 % des BIP drehte, in einem Defizitverfahren der Europäischen Union. Demgemäß sollte es bis 2013 wieder auf unter 3 % des BIP abgebaut werden, was zwei unterschiedliche Regierungen mittels Ausgabenkürzungen in allen Bereichen (inklusive Gesundheit und Bildung) und Steuererhöhungen (insbes. Mehrwertsteuer) versuchten. Zusätzlich wurde das Arbeitsrecht massiv verändert, mit dem Ergebnis einer Machtverschiebung bei den Kollektivvertragsverhandlungen, die eine Entwertung der Löhne favorisierte. Statt mehr vom Gleichen braucht es nun eine wohlstandsorientierte wirtschaftspolitische Alternative, die prioritär auf den Abbau der Arbeitslosigkeit sowie der sozialen und strukturellen Probleme abzielt.
Eine zum Scheitern verurteilte Strategie
Wenig überraschend brachte die Kürzungspolitik nicht den gewünschten Erfolg. Die spanische Ökonomie erlitt eine zweite Rezession. 2013 erreichte die Arbeitslosenrate 26 %, mit 3 von 10 SpanierInnen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle und stark steigender Ungleichheit. Trotzdem – oder gerade deswegen – schrumpfte das Maastricht-Defizit weit weniger als angekündigt. Das durch die unterschätzten negativen Nachfrageeffekte verursachte Scheitern der europäischen wirtschaftspolitischen Ausrichtung, die auf den Mythen „expansive Austeritätspolitik“ und Wettbewerbsfähigkeit via Lohnkostensenkung beruhte, wurde offensichtlich.
Im Juni 2013 einigte man sich darauf, das Maastricht-Defizitziel der 3 % des BIP auf 2016 zu verschieben. Diese Entscheidung wurde mit „adversen ökonomischen Umständen“ begründet, doch dieser Ausdruck verdeckt die Realität: Die schlechtere wirtschaftliche Entwicklung war nicht auf externe Faktoren zurückzuführen, sondern vielmehr auf die unterschätzte kontraktive Wirkung der Austeritätspolitik selbst, die zu einer schwächeren Entwicklung der Steuereinnahmen und Zunahme der Transferausgaben führte – mit dementsprechendem Defizit.
Der mit der Fristverlängerung geänderte Budgetpfad sieht für ein Defizit von 4,2 % (2015) bzw. 2,8 % (2016) des BIP vor. 2018 sollte ein ausgeglichener Haushalt erreicht werden. 2015 wurde aber neuerlich das Ziel mit 5,1 % des BIP verfehlt und es ist mehr als wahrscheinlich, dass auch jenes für 2016 nicht erreicht wird. Letzten März veröffentlichte die Europäische Kommission eine an die spanische Regierung gerichtete Empfehlung, in der für heuer zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen eingefordert wurden. Spanien unterliegt nun einem System der forcierten Überwachung und ist davon bedroht als erster Mitgliedstaat aufgrund der Verletzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sanktioniert zu werden.
Ohne ausreichende Einnahmen keine nachhaltige Verbesserung der Staatsfinanzen
Es ist wichtig festzuhalten, dass die Abweichungen von den europäischen Vorgaben zum Teil auch auf ökonomisch unsinnige und gerade den spezifischen Erfordernissen der spanischen Ökonomie nicht gerecht werdenden eigenständige Entscheidungen der seit Ende 2011 amtierenden Regierung zurückzuführen sind.
Zu nennen sind erstens die zuletzt vorgenommenen Steuersenkungen, die das Problem der ohnehin niedrigen Steuereinnahmen (2015 betrugen die Staatseinnahmen 38 % des BIP gegenüber durchschnittlich 47 % des BIP in der Eurozone bzw. 51 % in Österreich) ebenso verschärft haben wie jenes der geringen Progression.
Zweitens das durch fehlende Einnahmen charakterisierte Defizit in der Sozialversicherung. Die Regierung verabschiedete 2013 eine Reform, die lediglich die Ansprüche der aktuellen und zukünftigen PensionistInnen reduzierte. Gleichzeitig verschlechterte sie die Einnahmensituation durch die Änderungen im Arbeitsrecht bzw. die daraus resultierenden niedrigeren Löhne und prekäreren Beschäftigungsformen, die die Basis des Sozialversicherungssystems unterminieren. 2015 waren deshalb die Einnahmen sogar geringer als 2011– trotz eines Zuwachses der SV-pflichtigen Beschäftigten.
Auch wenn es 2015 zu keinen weiteren Kürzungen (bzw. sogar zu einer Ausgabensteigerung um 5,5 Mrd. Euro) gekommen ist, ist festzuhalten, dass die öffentlichen Aufwendungen immer noch um 20 Mrd. Euro geringer sind als 2011. Die Mehrausgaben sind jedoch nicht als prinzipielle Abkehr der Kürzungspolitik aufgrund eingestandenem Scheitern zu verstehen, sondern als Wahltaktik. Für 2016 wurden bereits neuerliche Kürzungen von 2 Mrd Euro auf Bundesebene angekündigt; zusätzlich werden von den Bundesländern weitere Konsolidierungsmaßnahmen gefordert, die sich auf weitere 3 Mrd Euro belaufen könnten.
Das zeigt, dass nicht nur die Europäische Kommission, sondern auch die aktuelle Regierung aus ihren Fehlern nicht gelernt hat und weiterhin eine Richtung verfolgt, die den tatsächlichen Erfordernissen nicht gerecht wird.
Die Politik der Kürzungen ist endgültig zu beenden
Die Geschwindigkeit des Defizitabbaus muss an die Notwendigkeit zum Abbau der Arbeitslosigkeit angepasst werden. Das Argument, Spanien sollte aufgrund des derzeit wieder recht guten Wachstums keine weitere budgetpolitische Flexibilität eingeräumt werden, ist zweifelhaft. Im Gegenteil, war es nicht genau die Neuorientierung der Fiskalpolitik spätestens 2015, die – neben der externen Effekte aufgrund des Quantitative Easing der EZB, dem niedrigen Ölpreis und der Euro-Abwertung – für die wirtschaftliche Erholung mitverantwortlich ist? So drehte der Wachstumsbeitrag des öffentlichen Konsums und der Investitionen von durchschnittlich -1 Prozentpunkt 2011 bis 2013 auf +1 im Jahr 2015. Das bedeutet zweierlei: Zum einen kann die Rückkehr des Wachstums nicht auf die fehlgeleitete Wirtschaftspolitik der letzten Jahre zurückgeführt werden; und zum anderen, dass eine Rückkehr zur Kürzungspolitik zu wesentlichen Kosten in Form reduzierter Beschäftigung führen würde.
Die Argumentation, dass nun mit der wirtschaftlichen Erholung dem Defizitabbau neuerlich oberste Priorität eingeräumt werden sollte, blendet zudem aus, dass Wirtschaftsleistung und Beschäftigungsniveau nach wie vor unter ihrem Vorkrisenstand liegen. So lag das BIP 2015 immer noch 5 % unter dem Niveau vor der großen Rezession. Zudem gibt es 2,6 Mio Arbeitslose mehr und die Arbeitslosenrate liegt bei 21 %. Wirtschaftspolitisch prioritär sollte die Absorption dieser Arbeitslosigkeit sein, wofür einige Jahre mit hohen Wachstumsraten erforderlich sind. In diesem Sinne ist die Situation in Spanien nach wie vor „außergewöhnlich“ und erfordert auch einen längeren Zeitraum für den Abbau des Defizits.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Kürzungspolitik einige wichtige öffentliche Dienstleistungen stark geschwächt hat, sodass sich die Schere gegenüber dem Durchschnitt der Eurozone weiter geöffnet hat. So sind die Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Pflege bereits um 1 % des BIP geschrumpft – und gemäß aktuellem Stabilitätsplan der Regierung sollen sie bis 2019 weiter reduziert werden. Dabei sind die realen Ausgaben pro Kopf für Gesundheit und Bildung 2015 bereits um 11 % gegenüber 2009 gesunken. Notwendig wäre es daher nicht nur die tiefen Spuren, die die Kürzungspolitik hinterlassen hat, wieder verschwinden zu lassen, sondern den Aufholprozess gegenüber der Eurozone wieder zu starten. Auch sind Maßnahmen zu treffen, um die durch die Krise gestiegene Armutsgefährdung bzw. Ungleichheit wieder zu reduzieren.
Es geht aber nicht nur darum ein stärkeres Wachstum sicherzustellen, sondern auch eine andere Wirtschaftsstruktur. Trotz Strukturreform-Rhetorik ist die spanische Ökonomie gerade dabei zum Wachstumsmodell vor der Krise mit all seinen Problemen zurückzukehren. So führt die hohe Importneigung zu einem neuerlich negativen Außenbeitrag, und bringt die Gefahr, dass die Leistungsbilanz abermals zu Einschränkungen führen wird. Die Spezialisierung auf Branchen mit geringer Wertschöpfung und kaum steigender Produktivität bleibt aufrecht. Und auch die Konzentration des Beschäftigungszuwachses auf prekäre bzw. schlecht bezahlte Jobs hält an. Was Spanien deshalb braucht ist eine aktive Industriepolitik sowie mehr Investitionen in Forschung & Entwicklung, in Aus- und Weiterbildung sowie in die Energiewende – allesamt unvereinbar mit der Kürzungspolitik.
Eine nachhaltige alternative Budgetpolitik ist gefragt
Eine alternative Budgetpolitik kann sowohl die langfristige Stabilität der Staatsfinanzen sichern als auch bessere Ergebnisse hinsichtlich Beschäftigung, öffentlicher Dienstleistungen und Investitionen liefern. Insbesondere sind folgende drei Aspekte zu beachten:
- Spanien hat kein Ausgabenproblem (die Ausgabenquote liegt mit 43 % des BIP deutlich unter dem Durchschnitt der Eurozone von 49 % bzw. von Österreich mit 52 %), sondern ein Einnahmenproblem. Prioritär ist deshalb eine Steuerreform, die ein höheres Aufkommen und eine stärkere Progression sicherstellt. Darüber hinaus ist eine konsequente Politik gegen Steuerbetrug notwendig.
- Mit diesen zusätzlichen Einnahmen kann die Rücknahme der Kürzungen bei den öffentlichen Dienstleistungen sowie bei den zur Unterstützung des Strukturwandels notwendigen Investitionen finanziert werden. Nachdem die positiven ökonomischen Auswirkungen von zusätzlichen Staatsausgaben größer sind als jene von Steuererhöhungen, ergibt sich in Summe ein expansiver Effekt – anstelle eines restriktiven, der sich aus weiteren Kürzungen ergeben würde.
- Durch diese Multiplikatoreffekte reduzieren sich mittelfristig Defizit und Schuldenquote automatisch, sodass dieser Vorschlag mit einer stabilitätsorientierten Fiskalpolitik ebenso kompatibel ist wie mit einer ebenso wichtigen Stabilisierung der staatlichen Aktivität (vgl. auch Abschnitt 3 der aktuellen AK-Budgetanalyse).
Folgende Grafik zeigt, dass unser alternativer Vorschlag (der weitgehend von PODEMOS für ihr Wirtschaftsprogramm übernommen wurde), zwar ein durchwegs etwas größeres öffentliches Defizit bewirkt, dafür allerdings auch einen deutlich stärkeren Rückgang der Arbeitslosigkeit bewirken würde.