Ein Aufweichen bestehender EU-Gentechnikregeln wird immer wahrscheinlicher. Die Kommission stellt ihre Vorschläge dazu im Juni 2023 vor. Gleichzeitig sichern sich Agrarkonzerne die Patente auf Saatgut. Damit wird der freie Zugang zu wichtigen Eigenschaften von Pflanzen, wie z. B. Hitzetoleranz oder Abwehrmechanismen gegen Krankheiten, erschwert. Wie wirkt sich dies alles auf die Konsument:innen und Züchter:innen aus? Was bedeutet das für die Zukunft unserer Ernährung?
Doppeltes Spiel der Biotech-Konzerne
Die Agrar- und Biotech-Firmen stellen die Neue Gentechnik als natürlichen Prozess dar, wie dieser auch bei herkömmlicher Züchtung stattfindet. Sie meinen, neue, gentechnisch veränderte Pflanzen seien genauso sicher wie Pflanzen, die mithilfe herkömmlicher Züchtung hergestellt werden, da sich diese Verfahren kaum unterscheiden. Gleichzeitig aber steigt auch die Zahl von Patentanmeldungen, um technische Innovationen mit Neuer Gentechnik wirtschaftlich profitabel zu nutzen. So meldete die Firma Corteva weltweit bereits 1.430 Patente auf neue Züchtungsverfahren und -produkte an. Die deutsche Firma Bayer als zweitgrößter Player im „Patentwettlauf“ meldete immerhin 119 Patente an, wie eine kollektive Recherche von Umwelt- und Konsument:innenorganisationen ergab. Dies ist ein Widerspruch in sich: Entweder sind neue gentechnische Verfahren natürliche Prozesse und damit laut Europäischem Patentrecht auch nicht patentierbar. Oder die neue Gentechnik ist doch eine neue technische Erfindung und daher patentierbar.
Patente auf Saatgut – alles nicht so einfach
„Kein Patent auf Leben“ war eine der Forderungen des Gentechnikvolksbegehrens, das 1997 über 1,2 Millionen Österreicher:innen unterzeichneten. Dies wurde sowohl in der Europäischen Patentrichtlinie als auch im österreichischen Patentgesetz teilweise umgesetzt. Laut europäischem Patentrecht sind Patente auf herkömmliches Saatgut, Pflanzen und Tiere eigentlich gar nicht möglich. Mit einer Ausnahme: Pflanzen und Tiere, die mithilfe von gentechnischen Verfahren hergestellt werden, sind als „technische Erfindungen“ sehr wohl patentierbar.
Aber dennoch gibt es seit Jahren Schlupflöcher, die von der Industrie genutzt werden, um Patente auf Pflanzen und Tiere, die ohne Gentechnik gezüchtet werden, anzumelden. So wurden laut dem Bericht des europäischen Bündnisses „Keine Patente auf Saatgut!“ in den vergangenen 20 Jahren über 1.500 Patente auf herkömmliche Pflanzen und Tiere beantragt und circa 300 Patente vom Europäischen Patentamt mit Sitz in München schon erteilt. Es erliegt dabei den geschickten Anmeldungen der Firmen, die in der Natur vorkommenden und im Labor nachgewiesenen Eigenschaften von herkömmlichen Pflanzen als technische Innovation darzustellen. Auch das Europäische Patentamt, ein unabhängiges Gremium, das sein Geld mit der Erteilung von Patenten verdient, spielt mit und stuft bestimmte Verfahren der klassischen Pflanzenzüchtung als patentierbare technische Erfindungen ein. Die österreichische Bundesregierung hat erst letzte Woche, als erstes Land in Europa, die Rote Karte gezeigt und eine Patentrechtsnovelle präsentiert, die klarstellt, dass sämtliche Verfahren der konventionellen Züchtung von der Patentierbarkeit ausgenommen sind. Der Beschluss ist ein wichtiges Signal an die EU und das Europäische Patentamt: Das Patentrecht darf nicht länger missbraucht werden, um den Saatgutmarkt immer weiter zu monopolisieren.
Einige Lebensmittel- und Getränkehersteller halten bereits Patentansprüche, die sich auf das geerntete Produkt und verarbeitete Lebensmittel beziehen, womit Bäckereien, Brauereien und andere Lebensmittelhersteller zur Kassa gebeten werden. So haben Carlsberg und Heineken die für die Herstellung ihres Biers verwendete Gerste patentiert. Das Patent erstreckt sich auf die Pflanzen, die Ernte, den Brauprozess, Malz und Würze sowie alle Getränke, die mit der patentierten Gerste hergestellt werden. Dies heißt für Bierbrauer, dass sie diese Gerste nicht mehr ohne Patentgebühr für ihr Bier nutzen können. Arche Noah und die CulturBrauer (Hirter, Zwettler, Trumer etc.), ein Zusammenschluss österreichischer Privatbrauereien, haben Einspruch gegen diese Patente erhoben. Das Verfahren ist noch am Laufen.
Was ist die Gefahr der Neuen Gentechnik?
Die Wissenschaftlerin Eva Gelinsky führt in ihrem Beitrag für den deutschen Bundestag aus, dass die großen Agrochemie- und Saatgutunternehmen in einem schwierigen und von Konzentration und Konkurrenz geprägten Marktumfeld die neuen gentechnischen Verfahren nutzen, um sich über deren Patentierung ihre Anteile zu sichern und Konkurrenten auf Abstand zu halten. In den Anträgen auf Saatgutpatente werden sowohl Methoden der Gentechnik wie auch herkömmlicher Züchtungsverfahren vermischt, und es wird so getan, als wären dies beides technische Erfindungen, die patentierbar sind.
Die Neue Gentechnik soll klimaresistente Pflanzen auf den Markt bringen. Patente auf Saatgut schränken die Freiheit von Züchter:innen ein. Sobald ein Patent z. B. auf eine bestimmte Tomatensorte erteilt wird, können andere Züchter:innen und Gärtner:innen diese Tomate nur mehr mit der Zustimmung der Patentinhaber:innen für ihre eigene Züchtung verwenden. Wie eine Recherche von Umwelt- und Konsumentenschutzgruppen zu Patenten und Neuer Gentechnik aufzeigt, halten die Firmen Corteva und Bayer eine Vielzahl von Patenten auf Pflanzen. Diese Patente erstrecken sich vom technischen Verfahren über die veränderten Eigenschaften bis zum geernteten Produkt und seiner weiteren Verarbeitung. So haben zukünftig die Bäuerin, die eine Kartoffelsorte mit höherem Stärkegehalt anbaut, der Bäcker, der aus dem Mehl dieser Kartoffeln Brot bäckt, oder die Lebensmittelindustrie, die aus dieser Kartoffelsorte ihre Produkte herstellt – „bis hin zu den Pommes frites auf Ihrem Teller“ – Lizenzgebühren zu bezahlen, wie Franziska Meister in der Schweizer Wochenzeitung ausführt.
Was gilt derzeit für die Neue Gentechnik?
Grundsätzlich unterliegen Lebens- und Futtermittel, die mithilfe Neuer Gentechnik hergestellt werden, derzeit noch den geltenden Regeln des EU-Gentechnikrechts. Dies bestätigte auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2018. Das bedeutet klare Sicherheitschecks und Kennzeichnungsvorschriften für alle gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermittel, bevor diese auf dem europäischen Markt zum Verkauf angeboten werden. Damit wird die Sicherheit und Wahlfreiheit von Konsument:innen und Produzent:innen gewährleistet und die Umwelt vor möglichen Gefahren geschützt. Seit dem EuGH-Urteil lobbyiert die Industrie noch intensiver, bestehendes EU-Gentechnikrecht für Verfahren der Neuen Gentechnik – auch als neue genomische Verfahren bezeichnet – aufzuweichen. Die EU-Kommission setzte einen Gesetzwerdungsprozess in Gang mit Studien und Impact Assessments, deren Ergebnisse vorliegen. Sie wird nun voraussichtlich im Juni 2023 einen neuen Gesetzesvorschlag für Pflanzen der Neuen Gentechnik auf den Tisch legen.
Auswirkungen auf Konsument:innen und Produzent:innen
Durch die Patentierung von Pflanzen und Tieren wird Biodiversität der Allgemeinheit entzogen. Konkret bedeutet das, dass Konzerne Monopolrechte auf wichtige natürliche Eigenschaften wie z. B. Hitzetoleranz oder die Resistenz gegen eine Krankheit bekommen und somit andere von ihrer Nutzung ausschließen können. Gerade in Zeiten der Klimakrise ist es aber umso wichtiger, ausreichend biologische Vielfalt zur Verfügung zu haben, welche von Züchter:innen für ihre Arbeit ohne Einschränkung verwendet werden kann – was bis vor 20 Jahren auch der Fall war. Die steigende Zahl der Patente führt auch zu einer steigenden Rechtsunsicherheit für andere Unternehmen. Die heimische Pflanzenzüchtung wird z. B. größtenteils von kleinen und mittleren Unternehmen betrieben, die keine große Rechtsabteilung haben, um den wachsenden Patentdschungel zu durchforsten. Die Patentierung erhöht jedenfalls die Abhängigkeit von internationalen Konzernen, die immer mehr bestimmen können, was wir anbauen und essen und zu welchem Preis.
Fazit:
Alle Verfahren, alle Pflanzen, die mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellt werden, können patentiert werden. Patente erhöhen die Marktmacht derjenigen, die die Patente anmelden. Das hat letzten Endes negative Folgen für die Vielfalt des Angebots. Zudem sind Patente auf Saatgut eine Bedrohung für die künftige Ernährungssicherheit. Sie schränken nicht nur die Wahlfreiheit der Konsument:innen und Produzent:innen ein, sondern könnten auch zu einer Erhöhung der Lebensmittelpreise führen. Daher: Nein zu Patenten auf Saatgut! Nein zu einem Aufweichen bestehender Gentechnikstandards für die Neue Gentechnik! Gentechnik in Lebensmitteln betrifft uns alle.
Weitere Infos bieten:
- die Veranstaltung „Patente und Neue Gentechnik – wem gehört das Saatgut“, die am 8. März von 15–17 Uhr im Catamaran in Wien stattfindet. Es ist auch eine Online-Teilnahme möglich,
- die AK Broschüre „Die neue Gentechnik“,
- Petition „Missbrauch des Patentrechts stoppen“