Die Vorstöße, das derzeit gültige Gentechnikrecht zu verwässern, gehen in die nächste Runde. Im Frühjahr veröffentlichte die EU-Kommission ihren Bericht zur Neuen Gentechnik. Nun läuft bis zum 22. Oktober die erste öffentliche europaweite Konsultation zur Neuen Gentechnik. Was steht auf dem Spiel? Es geht um nicht weniger als die Zukunft unserer Ernährung.
Neue Gentechnik – worum geht es eigentlich?
Derzeit sind die Regeln bei der Gentechnik sehr klar: Ohne Risikoabschätzung, Zulassung und Kennzeichnung darf nichts auf dem Teller der KonsumentInnen oder im Futtertrog der Tiere landen und auch am Feld angebaut werden. Dies ermöglicht es KonsumentInnen, gentechnikfrei einzukaufen, sowie der Biolandwirtschaft und gentechnikfreien Lebensmittelherstellung, gentechnikfrei zu produzieren. Das könnte sich bald ändern.
Seit einigen Jahren schon lobbyiert die Industrie dafür, die überall in Europa geltenden Gentechnikregeln für Verfahren der Neuen Gentechnik aufzuweichen. Mit Erfolg, wie sich zeigt. Im Auftrag des EU-Agrarministerrates veröffentlichte die in der EU-Kommission zuständige Generaldirektion Sante (GD Sante) in diesem Frühjahr eine EU-Studie zu neuen genomischen Verfahren. Dabei machte sie klar: Sie ist bereit, die derzeit gültigen Gentechnikregeln für bestimmte Verfahren der Neuen Gentechnik zu öffnen bzw. neu zu gestalten. Sie hat nun in einem Inception Impact Assessment – dem ersten Schritt für eine neue Gesetzgebung – einige Fragen formuliert, die sie in den kommenden Monaten bearbeiten wird.
Was ist das Neue an der Neuen Gentechnik?
Sowohl die „alte“ als auch die Neue Gentechnik greifen in das Erbgut der Pflanze ein. Die neuen Verfahren können dies treffsicherer als die bisherigen alten Methoden der Gentechnik. Gleichzeitig ermögliche sie aber auch vielfältigere und noch tiefere Eingriffe in das Erbgut, was auch neue Gefahren mit sich bringen kann. Daher ist es auch hier notwendig, diese Produkte, bevor sie in die Lebensmittelkette kommen, auf ihre Risiken hin zu bewerten. Dies sieht auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) so. In seinem Urteil vom Juli 2018 entschied der EuGH, dass die derzeit gültigen GVO-Regeln auch auf die Verfahren neuer Gentechnik angewendet werden müssen. Er begründete dies mit dem Vorsorgeprinzip, da diese neuen Technologien, noch keine lange sichere Anwendung vorweisen können.
Leere Versprechen
Aktuelle Versprechen der Industrie, z. B. klimaresistente Pflanzen zu erschaffen, fallen dabei auf fruchtbaren Boden. Zu groß sind die zukünftigen Herausforderungen für die Landwirtschaft. Der Bewältigung der Klimakrise mit jährlichen Dürren, Hochwasser und neuen Schädlingen mit neuen Techniken begegnen zu können ist einfach zu verlockend. Aber können diese Versprechen auch eingehalten werden?
Ein Blick auf die Anwendungen der Gentechnik in der Landwirtschaft der letzten 25 Jahre zeigt, dass bereits bei der alten Gentechnik viele der Versprechen nicht eingehalten werden konnten. Auch hier wurden eine umweltfreundlichere Landwirtschaft und das Ende des Welthungers versprochen. Die nackten Zahlen sehen leider anders aus. Rund 99 Prozent aller GVO-Pflanzen sind resistent gegen ein Herbizid oder produzieren ein Insektizid, und der Pestizideinsatz hat sich erhöht, anstatt sich zu verringern. Die Annahme, mit gentechnisch verändertem Saatgut den Welthunger beseitigen zu können, hält einer näheren Prüfung – z. B. durch den Weltagrarbericht (IAASTD) nicht stand, wie Brigitte Reisinger, Gentechnikexpertin bei der Umweltorganisation Global 2000 in einem Beitrag ausführt. Sie meint, im Kampf gegen den Hunger sind hochgezüchtete, empfindliche GVO-Pflanzen für die Industrielandwirtschaft nicht geeignet. Sie orientieren sich nicht an den regionalen Bedürfnissen und kleinbäuerlichen Strukturen ärmerer Länder, wie Reisenberger weiter ausführt.
Was erwartet sich die Kommission von der Neuen Gentechnik?
Die Kommission möchte im Rahmen des Green Deal die Landwirtschaft und das Lebensmittelsystem insgesamt viel nachhaltiger gestalten. So soll bis zum Jahr 2030 die Hälfte der derzeit eingesetzten Pestizide eingespart, die Biodiversität stärker geschützt, die Biolandwirtschaft auf 25 Prozent ausgeweitet werden.
Die Argumente, die in der oben genannten EU-Studie angeführt werden, sind für die GD Sante bestechend. Mit den neuen Verfahren der Gentechnik könnten die Ziele des Green Deal für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft erreicht werden. Daher kommt in dieser Studie die Kommission zu dem Schluss, dass die derzeit gültigen GVO-Regelungen für bestimmte Anwendungen nicht mehr zweckmäßig („fit for purpose“) sind. Nun leitet sie erste Schritte für eine Deregulierung der bestehenden EU-Gentechnikgesetzgebung ein.
Die Kommission erwartet sich von der Neuen Gentechnik klimaangepasste Pflanzen. Mit ihrer Hilfe sollten Pflanzen entwickelt werden, die zukünftig weniger Pestizide benötigen oder hitzeresistenter sind und daher auch nachhaltiger. Die Wissenschafterin Katharina Kawall untersuchte, wie viele klimaangepasste Pflanzen derzeit erforscht werden. Sie fand fünf von 231 Studien, die sich dieser Fragestellung widmen. Dies kommt nicht von ungefähr. Denn hitze- bzw. klimaresistente Pflanzen zu entwickeln ist eine sehr komplexe Angelegenheit.
Was steht auf dem Spiel?
Eine Deregulierung könnte bedeuten, dass zukünftig Risiken für die Gesundheit oder die Umwelt nicht mehr berücksichtigt werden. Auch die klare GVO-Kennzeichnung und Rückverfolgung über die gesamte Lebensmittelkette steht auf dem Spiel. Aber auch die gentechnikfreie Lebensmittelherstellung würde gehörig unter Druck geraten. Für die Biolandwirtschaft und gentechnikfreie Lebensmittelproduktion – bisher eine Erfolgsstory vor allem auch in Österreich – besteht die Gefahr, dass ihre gentechnikfreie Produktion nur mehr unter erschwerten Bedingungen möglich ist oder vielleicht sogar gänzlich verunmöglicht wird. Beide gentechnifreien Systeme können sich derzeit auf eine klare GV-Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von GV-Produkten verlassen. Fällt diese weg, kommen GV-Lebensmittel ungetestet und ohne Kennzeichnung auf den Markt und sind damit für KonsumentInnen und ProduzentInnen nicht mehr als GVO erkennbar.
Elemente für politische Szenarien bei der Neuen Gentechnik aus Sicht der Kommission
Die Kommission möchte in ihrem Inception Impact Assessment unter anderem folgende Elemente bei der Entwicklung von politischen Szenarien im Umgang mit der Neuen Gentechnik berücksichtigen:
- Risikobewertung und Zulassungsanforderungen, die in einem angemessenen Verhältnis zum Risiko stehen, z. B. in Bezug auf Daten und Studien, in Übereinstimmung mit den Risikoprofilen und auf Einzelfallbasis, wobei Elemente wie die verwendete spezifische Technik, die Art der Veränderung oder die Neuartigkeit des Merkmals zu berücksichtigen sind. In diesem Zusammenhang können Mechanismen in Betracht gezogen werden, die es dem Antragsteller ermöglichen, die für ein bestimmtes Produkt geltenden rechtlichen Anforderungen zu ermitteln. Die Erfüllung der Sicherheitsanforderungen wäre weiterhin eine Voraussetzung für die absichtliche Freisetzung oder das Inverkehrbringen.
- Eine Nachhaltigkeitsanalyse, um zu prüfen, ob und in welcher Weise Produkte aus neuen genomischen Verfahren (= Neue Gentechnik) zur Nachhaltigkeit beitragen, unter Berücksichtigung der Kriterien, die im Rahmen der politischen Maßnahmen für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem entwickelt wurden. Spezifische Regulierungsmechanismen können in Betracht gezogen werden, um nachhaltigkeitsbezogene Anforderungen oder Anreize einzuführen.
- Angemessene Bestimmungen zur Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung, die umsetzbar und durchsetzbar sind und der Fähigkeit der durch bestimmte Verfahren neuer genomischer Verfahren (gezielte Mutagenese und Cisgenese) gewonnenen Pflanzen Rechnung tragen, zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem beizutragen und das Recht der VerbraucherInnen auf eine informierte Entscheidung zu gewährleisten.
- Mechanismen zur raschen Anpassung von Teilen der Rechtsvorschriften und ihrer Umsetzung im Laufe der Zeit, wenn dies aufgrund des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts gerechtfertigt ist, um einen zukunftssicheren Rechtsrahmen zu schaffen.
Was wollen die KonsumentInnen?
KonsumentInnen haben in mehreren Umfragen zum Ausdruck gebracht: Lebensmittel, die mithilfe von Methoden der Neuen Gentechnik hergestellt werden, sollen auch als solche gekennzeichnet werden. Damit die Kennzeichnung für die KonsumentInnen funktioniert, braucht es vor allem auch ein zuverlässiges Rückverfolgbarkeitssystem. Dieses gibt es bereits in vielen Bereichen, wie die EU-Parlamentarierin Eleonora Evi einem Artikel für „euractiv“ erklärt. Die Kennzeichnung von Lebensmitteln basiert auf ihrer Rückverfolgbarkeit vom Teller bis zum Feld. Dies ermöglicht eine klare Kennzeichnung, unabhängig davon, ob mit Nachweismethoden der Ursprung eines Produkts bestimmt werden kann oder nicht. Sie führt dazu einige Beispiele an:
Beispiel 1: Können Sie mit einer Nachweismethode feststellen, ob ein Apfel nach biologischen Standards angebaut wurde? – Nein. Kann man ihn als biologisch zertifiziert kennzeichnen? – Ja.
Beispiel 2: Können Sie mit einer Nachweismethode feststellen, ob ein Ei von einem Huhn aus Käfighaltung stammt und nicht von einem Huhn, welches Zugang zu Auslauf hat? – Nein. Lässt sich das Ei als solches kennzeichnen? – Ja, das ist in der EU auch so vorgeschrieben.
Beispiel 3: Können Sie mit einer Nachweismethode feststellen, ob Äpfel aus dem Trentino wirklich aus der Region Trentino stammen? – Nein. Kann man sie als solche kennzeichnen? – Ja, denn es gibt in der EU eine geschützte geografische Angabe dazu.
Fazit
So gesehen geht es darum: Wo ein Wille zur Kennzeichnung da ist, da gibt es auch einen Weg. Dafür braucht es einfach nur ein zuverlässiges System der Rückverfolgbarkeit. Oder noch einfacher: Die derzeit gültigen Gentechnikregeln gelten auch zukünftig für alle Produkte, die mithilfe Neuer Gentechnik hergestellt werden.
Die Europäische Kommission muss sicherstellen, dass die EU-GVO-Vorschriften im Einklang mit dem EuGH-Urteil vom Juli 2018 angewandt werden. Dafür setzen sich viele Umwelt– und KonsumentInnenorganisationen, Bioverbände, die gentechnikfreie Lebensmittelbranche und Supermärkte ein.
Zudem müsste intensiv an Nachweismethoden zur Neuen Gentechnik geforscht werden. Bisher hat die Kommission noch nicht in Labormethoden investiert, die GV-Pflanzen der neuen Generation nachweisbar machen. Und auch die Mitgliedsstaaten halten sich hier zurück. Wie die Studie der EU-Kommission ausführt, wurden gerade mal 1,6 Prozent aller Forschungsgelder für Neue Gentechnik in den Mitgliedsstaaten für Risikoabschätzung, Nachweisverfahren und Monitoring ausgegeben. Es steht nicht weniger als die Zukunft unserer Ernährung auf dem Spiel.
JedeR kann jetzt aktiv werden
Jede EU-BürgerIn hat nun die Möglichkeit, ihr Feedback zu dem ersten Impact Assessment der Kommission zur Neuen Gentechnik zu geben. Unter dem etwas sperrigen Titel „Rechtsvorschriften für Pflanzen, die mithilfe bestimmter neuer genomischer Verfahren gewonnen werden“, läuft bis zum 22. Oktober eine öffentliche Konsultation der Kommission zur Neuen Gentechnik (unter diesem Link können Sie Ihre Meinung dazu abgeben). Die Organisation „Slow Food“ stellt eine vereinfachte Variante für diese Konsultation zur Verfügung. Wer an der Konsultation teilnehmen möchte, kann auf ihrer Homepage ein Formular ausfüllen. Dieses wird dann direkt an die Kommission weitergeleitet.
Mehr Informationen zur Neuen Gentechnik in der aktuellen Ausgabe von Wirtschaft und Umwelt 3/2021, deren Schwerpunkt sich diesem Thema widmet.