Wahlfreiheit für KonsumentInnen – auch bei neuer Gentechnik

23. März 2021

Lebensmittel, müssen vor ihrer Marktzulassung auf Sicherheit geprüft und ausreichend gekennzeichnet sein, um KonsumentInnen Wahlfreiheit zu ermöglichen. Das derzeit gültige Gentechnikrecht berücksichtigt dies, und auch Risiken für Mensch und Umwelt werden vor einer Produktzulassung bewertet. Agrar- und Saatgutindustrie wünschen sich für die neue Gentechnik verkürzte Zulassungsprüfungen ohne Kennzeichnung. Biolandwirtschaft und gentechnikfreie Lebensmittelproduktion würden erheblich unter Druck geraten.

Vielfältige Möglichkeiten für neue Gentechnik/Genome Editing

Die mittlerweile etwas in die Jahre gekommene „alte“ Gentechnik wurde in den letzten Jahren durch eine Reihe neuer Techniken erweitert. Diese „neue Gentechnik“, besser bekannt als Genome Editing (GE), neue genomische Techniken oder auch synthetische Biologie, eröffnet viele Möglichkeiten, in das Erbgut von Organismen, Pflanzen, Tieren oder Menschen einzugreifen. GE-Techniken erlauben vielfältige Modifikationen des Genoms, die über die Möglichkeiten der alten Gentechnik, aber auch der konventionellen Züchtung hinausgehen. Sie umfassen eine breite Palette von Methoden. Die wohl bekannteste davon ist die Genschere CRISPR/Cas, bei der seit ihrer Entdeckung 2012 die Zahl der Forschungsarbeiten rasant gestiegen ist.

Die Eingriffe in das Erbgut können bei der „neuen Gentechnik“ deutlich größer sein als bei bisherigen Verfahren: von kleinen Punktmutationen in der Zelle bis dahin, dass mehrere Eigenschaften gleichzeitig eingebracht sowie komplexe Merkmale oder ganze Stoffwechselwege verändert werden können. Es gibt bereits vielzählige Ideen, wie diese beispielsweise in der Landwirtschaft eingesetzt werden könnten. Mit Techniken wie der Cisgenese und Intragenese können Gene in eine Pflanze eingebracht werden, Nutztiere sollen z. B. so verändert werden, dass sie mehr Fleisch oder Milch mit veränderten Inhaltsstoffen produzieren. Auch hornlose Rinder oder virusresistente Schweine stehen im Fokus der Entwicklung, wie Greiter und Heissenberger für eine Studie recherchierten.

EuGH bestätigt: Neue Gentechnik = Gentechnik

Im Juli 2018 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH, C-528/16), dass Produkte aus neuen Gentechnik-Techniken wie CRISPR/Cas als gentechnisch veränderte Organismen zu betrachten sind und unter das aktuell gültige Gentechnikrecht fallen. Der EuGH begründet dies damit, dass die neuen GVOs mit ähnlichen Risiken verbunden sein könnten wie herkömmlich erzeugte GVOs. Das bedeutet, diese Produkte sind einer umfassenden Risikobewertung zu unterziehen und sind eindeutig als GVO zu kennzeichnen, bevor sie für den EU-Markt zugelassen werden.

Seit der Veröffentlichung dieses Urteils gab es viele Diskussionen über die Regulierung von GE-Produkten, die noch nicht beendet ist. KonsumentInnen– und Umweltschutzgruppen begrüßten diese EuGH-Entscheidung ausdrücklich. Für die Saatgutindustrie und Teile der Wissenschaft war dieses EuGH-Urteil hingegen ein „Schlag ins Gesicht“. Denn für sie liegt in der neuen Gentechnik – insbesondere mit der Genschere CrispR/Cas – die Zukunftshoffnung in der Züchtung. Neue Eigenschaften in Pflanzen könnten mit einem geringen Aufwand eingefügt werden oder bestimmte Eigenschaften auch ausgeschalten werden. Daher bezeichnen sie die neuen gentechnischen Verfahren als sicher, ähnlich wie die herkömmliche Pflanzenzüchtung, und vertreten dementsprechend ihre Anliegen bei der Europäischen Kommission. Sie stellen, die neue Gentechnik als harmlos und als gängiges Verfahren der Züchtung dar. Sie schlagen vor, dass Produkte welche nicht nur durch Genomeditierung, sondern auch auf natürliche Weise oder mit konventioneller Züchtung hergestellt hätten werden können, nicht reguliert werden sollten.

Genaue Überprüfung und Risikoabschätzung möchte die Gentechnik-Lobby lieber vermeiden. Zum einen, weil diese genauen Prüfungen aufwendig sind und auch einiges an Geld kosten. Zum anderen aber auch, weil die KonsumentInnen in Europa Gentechnik im Essen mehrheitlich ablehnen. Nach derzeitiger Rechtslage sind Produkte, die mithilfe der neuen Methoden der Gentechnik hergestellt wurden, als „gentechnisch hergestellt“ zu kennzeichnen. Erst kürzlich wurde in Japan eine Tomate auf den Markt gebracht, deren erhöhte Inhaltsstoffe an GABA angeblich den Blutdruck senken. Solch eine Tomate würde mit einer GVO-Kennzeichnung wohl kaum AbnehmerInnen in den Regalen der Supermärkte finden. Sowohl KonsumentInnen als auch der österreichische Lebensmittelhandel lehnen Gentechnik in den Regalen ganz klar ab. So forderten österreichische Supermärkte in einem gemeinsamen Brief an die Europäische Kommission, Produkte der neuen Gentechnik zu kennzeichnen und die Gentechnikgesetzgebung nicht aufzuweichen. KonsumentInnen wollen auch bei der neuen Gentechnik strenge Regelungen und eine Kennzeichnung, wie eine Studie der Arge Gentechnikfrei klar aufzeigt. So wünschen sich 87 Prozent eine Kennzeichnung für diese Produkte.

Sicherheit neuer Gentechnik

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Genschere CRISPR-Cas in der Pflanze unbeabsichtigte Veränderungen auslösen kann – sowohl „Non-target-Effekte“ als auch „Off-target-Effekte“. Weiters fehlen Erfahrungen hinsichtlich unbeabsichtigter oder unerwarteter Auswirkungen. Derzeit sind nur sehr wenig marktreife Produkte bekannt. Ein Bericht der Organisation Testbiotech von März 2020 zeigt mögliche Auswirkungen der neuen Gentechnikverfahren auf die Umwelt auf. Die ForscherInnen haben dabei ihren Fokus auf Verfahren gerichtet, bei welchen keine zusätzlichen Gene in das Erbgut eingefügt wurden. Ihr Ergebnis: Obwohl kein neues Erbgut eingebracht wird, unterscheiden sich Pflanzen und Tiere deutlich von denen aus herkömmlichen Methoden der Züchtung, was nachhaltige Auswirkungen auf die Umwelt und Gesundheit haben könnte. Dies zeigt, wie wichtig es ist, sich auch minimale gentechnische Veränderungen hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen anzuschauen.

Diskussionen auf EU-Ebene gehen weiter

Der Europäische Rat beauftragte im November vorletzten Jahres die Kommission mit einer Studie zu den „neuartigen genomischen Verfahren und, falls aufgrund der Ergebnisse angemessen, einen Vorschlag vorzulegen, wie zukünftig mit diesen Verfahren umzugehen ist. Die Ergebnisse dieser „Kommissions-Studie“ werden Ende April vorgestellt und danach intensiv auf europäischer Ebene diskutiert. Bereits vor Veröffentlichung dieser Studie steht die Kommission vonseiten der Umweltschutzorganisationen Friends of the Earth und GLOBAL 2000 in der Kritik. Sie werfen der Kommission vor, gegen ihre eigenen Transparenzrichtlinien verstoßen und die Gentechnik-Industrie bei ihrer Erhebung zu Daten für die Studie bevorzugt zu haben.

Konsequenzen einer Deregulierung

Eine Deregulierung der neuen Gentechnik hätte weitreichende Folgen für die Umwelt und vor allem auch die KonsumentInnen. Anita Greiter und Andreas Heissenberger führen ihr einer Studie umfassend aus, welche Konsequenzen eine Nicht-Regulierung von neuer Gentechnik für die Umwelt und die KonsumentInnen mit sich bringen würde. Ohne eine adäquate Risikoabschätzung vor einer Produktzulassung wäre es nicht möglich, negative Effekte auf die menschliche Gesundheit auszuschließen. Sie verweisen auf WissenschafterInnen, die vorschlagen, dass auch Auswirkungen von veränderten Eigenschaften in der Pflanze in ihrer Interaktion mit der Umwelt untersucht werden sollten. Es wird hier sogar eine erweiterte Risikoabschätzung als bisher vorgeschlagen.

Für die KonsumentInnen wäre vor allem die Wahlfreiheit gefährdet. Auch die Arge Gentechnikfrei verweist in ihren „White Papers“ zur neuen Gentechnik auf die Nachteile, die eine Deregulierung auf die gentechnifreie Produktion hätte, und tritt aktiv dagegen auf.

KonsumentInnen wünschen sich nachhaltige Lebensmittel

Die Coronakrise hat das Interesse der KonsumentInnen nach nachhaltigen Lebensmitteln verstärkt, wie aktuelle Zahlen der Agrarmarkt Austria zum Konsum von Biolebensmitteln belegen. Im Jahr 2020 gab ein österreichischer Haushalt im Jahr rund 190 Euro für Biolebensmittel aus, um 33 Euro mehr als im Jahr davor. Bereits seit Jahren wächst der Anteil an Bioprodukten im Einkaufswagen, mittlerweile sind dies im Durchschnitt 10 Prozent der Lebensmittel je Haushalt. Auch politisch ist mehr Biolandwirtschaft erwünscht. Die europäische „Farm-to-Fork-Strategie“ als Teil des Green Deals strebt bis 2030 einen Anteil von 25 Prozent biologischer Landwirtschaft an. Der Biolandbau wirtschaftet per Definition gentechnikfrei und lehnt daher auch die neue Gentechnik ab. Die Verkaufszahlen für Bioprodukte sind seit Jahren steigend.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Insgesamt steigt nicht nur das Interesse an Bioprodukten, die KonsumentInnen fragen EU-weit auch immer mehr gentechnikfrei hergestellte Lebensmitteln nach. So wird bereits in zehn Ländern Europas ein Gütezeichen für GVO-freie Lebensmittel vergeben. Seit Kurzem gibt es einen europäischen Verband, der die Interessen der gentechnikfreien Lebensmittelbranche vertritt. Für KonsumentInnen, die Bioprodukte und gentechnikfreie Lebensmittel bevorzugen, wäre eine Deregulierung besonders kritisch. Denn um die Wahlfreiheit der KonsumentInnen auch zukünftig zu ermöglichen, ist eine Kennzeichnung neuer Gentechnik unabdingbar.

Fazit:

Derzeit ist mit dem EU-Gentechnikrecht gewährleistet, dass auch bei neuer Gentechnik das Vorsorgeprinzip eingehalten wird. Die in der EU etablierten Kontrollsysteme für GVO-Lebens- und -Futtermittel sind gut erprobt und erlauben es, unerwartete negative Auswirkungen bei GVOs herauszufinden. Risiken für die menschliche Gesundheit, den Tierschutz und die Umwelt werden im Zuge einer umfassenden Risikobewertung beurteilt. Die Wahlfreiheit für KonsumentInnen ist damit sichergestellt, da die Gentechnik-Gesetzgebung eine ausreichende Kennzeichnung sowie Rückverfolgbarkeit dieser Produkte vorsieht. Allen Lobby-Versuchen, bestehendes EU-Gentechnikrecht aufzuweichen, ist konsequent entgegenzutreten.

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