Neue Gentechnik braucht klare Regulierung

18. Juni 2021

Nun ist die Katze aus dem Sack. Am 29. April 2021 veröffentlichte die EU-Kommission ihre Studie zu den neuen genomischen Verfahren oder klarer gesagt: den Bericht zur neuen Gentechnik. Sie kommt zu dem Schluss, dass die derzeit gültige EU-Gentechnikgesetzgebung nicht zukunftsfit ist, und regt „politische Aktionen“ an. Was genau damit gemeint ist, ist noch unklar. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die derzeit gültige Gentechnikgesetzgebung überarbeitet. Damit können Sicherheit für Gesundheit und Umwelt sowie eine klare Kennzeichnung für KonsumentInnen unter die Räder kommen.

Wird das klare EuGH-Urteil zur neuen Gentechnik fallen?

Die Kommission führt in ihrem Bericht aus, dass neue Gentechnik potenzielle Vorteile für die Gesellschaft in der EU bietet sowie einen Beitrag zur Nachhaltigkeit liefern kann. Mit den neuen genomischen Verfahren (neuer Gentechnik) sollen weniger Pestizide eingesetzt und Pflanzen, die sich besser an den Klimawandel anpassen können, entwickelt werden. Damit können die Ziele des „Green Deals“ und der „Farm to Fork“-Strategie unterstützt werden. Die mithilfe neuer gentechnischer Verfahren hergestellten Pflanzen sollen genauso sicher sein wie herkömmliche Züchtung, da diese „neuen gentechnischen Veränderungen“ auch „natürlich“ auftreten könnten. Die Kommission stützt sich bei diesen Aussagen auf Studien der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA und des Joint Research Centers. Sie startet nun einen Prozess für einen möglichen neuen Rechtsrahmen für Pflanzen, die mithilfe der neuen gentechnischen Verfahren hergestellt werden. Für Tiere und Mikroorganismen ist die Datenlage noch nicht ausreichend vorhanden.

Damit stellt die Kommission und der EU-Rat das Urteil des EuGH zur neuen Gentechnik infrage. Dieses legte klar fest, dass die Anwendungen neuer gentechnischer Methoden wie die Genschere CRISPR/Cas unter die EU-Gentechnikgesetzgebung fallen. Eine der Begründungen lautete: Damit sind ähnliche Risiken verbunden wie mit der klassischen „alten“ Gentechnik. Dieses Urteil garantiert die Einhaltung des Vorsorgeprinzips: In einem Zulassungsverfahren werden die Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt abgeschätzt. Sowie eine klare Kennzeichnung als GVO und Rückverfolgbarkeit für KonsumentInnen und ProduzentInnen.

Der Bericht ist weit von einer wissenschaftlichen fundierten Recherche entfernt. Es werden die Ansichten verschiedener Interessengruppen zusammengeführt, basierend auf einer einseitigen EU-Konsultation, in der die Stimmen der Industrie im Vergleich zur Zivilgesellschaft bei Weitem überwogen haben. Die Sicht der KonsumentInnen wird in diesem Bericht insgesamt zu wenig gehört.

KonsumentInnen und Lebensmittelhandel für Kennzeichnung bei neuer Gentechnik

Dabei wünscht sich eine große Mehrheit der österreichischen und europäischen KonsumentInnen eine klare Kennzeichnung bei der „alten“ wie auch bei der „neuen“ Gentechnik, wie eine aktuelle europaweite Umfrage der Grünen zeigt. So wünschen sich über 80 Prozent der Befragten, dass gentechnisch veränderte Nutzpflanzen und Lebensmittel, die aus Tieren hergestellt werden, als GVO gekennzeichnet werden. Befragt zur neuen Gentechnik, hatten 37 Prozent der Befragten von Genome Editing gehört und 68 Prozent von ihnen wollen, dass die Produkte, die mit diesen Techniken hergestellt werden, auch entsprechend als GVO gekennzeichnet werden. Nur 3 Prozent der Befragten wollen, dass diese Produkte von den GVO-Sicherheitstests und der Kennzeichnung ausgenommen werden. Diese Zahl schließt auch Personen ein, die „nichts“ oder „ein wenig“ über Genome Editing wissen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Lebensmittelhandel für klare Regeln bei neuer Gentechnik

Auch führende europäische Lebensmittelhändler und der österreichische Handelsverband lehnen eine Deregulierung der neuen Gentechnik vehement ab. Vorsorgeprinzip, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung müssen auch bei Produkten der neuen Gentechnik gewährleistet sein. Sie fordern in einer „Retailers Resolution against Deregulation New GMOs“, die bewährte Regulierung aller gentechnisch veränderten Organismen (GVOs) auf dem europäischen Markt beizubehalten. Produkte der Neuen Gentechnik müssen auf die gleiche Weise reguliert werden wie alte GVOs. Jedes andere Ergebnis der aktuell laufenden politischen und wissenschaftlichen Diskussionen würde ihr Geschäft sowie das Geschäft zahlreicher LandwirtInnen und Saatgut-, Futtermittel- bzw. Lebensmittelhersteller stark beeinträchtigen, auch im sehr erfolgreichen Bio-Sektor. In der EU-Bioverordnung ist das Verbot für jeglichen Einsatz der Gentechnik explizit verankert – ein wichtiges Verkaufsargument für Bio-Produkte, betonen die Lebensmittelhändler.

Kaum Risikoforschung zu neuen gentechnischen Verfahren

Der EU-Bericht stützt sich in seinen Ausführungen auf Studien der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA und des Joint Research Centers. Viele der Anwendungen befinden sich noch im Versuchsstadium. Insgesamt gibt es aber zu den neuen gentechnischen Verfahren bislang nur wenige Studien betreffend Risiken für die Gesundheit und die Umwelt. Auch der aktuelle EU-Bericht zeigt dies sehr deutlich auf. So haben die EU-Mitgliedsstaaten nur 1,6 Prozent ihrer Forschungsgelder für Risikoabschätzung, Monitoring und Nachweisverfahren im Bereich der neuen Gentechnik verwendet. Wie hier von einer „sicheren Anwendung“ gesprochen werden kann, wenn so wenig dazu geforscht ist, ist eigentlich ein Rätsel.

Denn selbst durch einfache Anwendungen der Genschere können komplexe Veränderungen im Erbgut vorgenommen werden. Auch in besonders geschützten Bereichen der Zelle, in denen Mutationen natürlicherweise sehr selten auftreten, wie die Fachstelle für Umwelt und Gentechnik in einigen Erklärvideos zur Genschere CRISPR/Cas ausführt. Mit der Genschere CRISPR/Cas können überall im Erbgut Veränderungen ausgelöst werden, auch in besonders geschützten Genbereichen, in denen Mutationen natürlicherweise sehr selten auftreten. Ein Beispiel dafür ist die „GABA-Tomate“. Diese gentechnisch veränderte Tomate enthält sechsmal so viel Gamma-Aminobuttersäure (GABA) wie normale Tomaten. Im Körper soll GABA den Blutdruck senken und den Schlaf fördern. Diese Veränderungen waren nur durch die Genschere CRISPR/Cas möglich – denn mit der herkömmlichen Züchtung durch chemische Mutation traten die spontanen Veränderungen nicht an der für die Züchtung erwünschten Stelle auf. Daher ist es nicht nachvollziehbar, wie Züchtungen mit neuer Gentechnik als genauso sicher wie herkömmliche Züchtung bewertet werden können. Das Arbeiten mit der Genschere CRISPR/Cas ist durchaus auch bei einfachen Anwendungen komplex und kann zu ungewollten Veränderungen („off-target“ und „on-target) am Zielorganismus führen. Diese und weitere Beispiele zeigen, wie mächtig die Anwendung der Genschere ist. Ein Kurzbericht des Umweltbundesamtes von 2020 im Auftrag der Arbeiterkammer Wien kommt zu dem Schluss, dass eine klare Regelung auch bei neuer Gentechnik und eine Deregulierung aus fachlicher Sicht nicht gerechtfertigt wäre, da die Risiken dieser Techniken noch viel zu wenig verstanden werden.

Deregulierung gefährdet Wahlfreiheit und Vorsorgeprinzip

Die kommenden Jahre werden darüber entscheiden, ob im Essen, in dem Gentechnik drin ist, auch Gentechnik draufsteht. Die Kommission führt bereits im Begleitbrief an die portugiesische Ratspräsidentschaft aus, dass sie „eine verhältnismäßige Regulierung für die pflanzlichen Erzeugnisse anstrebt, indem sie, wie durch künftige Folgenabschätzung gestützt, das Risikobewertungs- und Zulassungsverfahren sowie die Anforderungen an die Kennzeichnung/Rückverfolgbarkeit anpassen wird“. Damit ist klar, dass die Kommission die EU-Gentechnikgesetzgebung verändern will.

Eine Deregulierung würde die europaweite gentechnikfreie Lebensmittelproduktion wie auch die biologische Landwirtschaft gefährden. Es könnte bedeuten, dass 91 Prozent aller bisher in der Pipeline befindlichen genom-editierten Pflanzen weniger untersucht und ohne klare Kennzeichnung auf dem europäischen Markt angeboten werden. Daher sind Schlussfolgerungen dieses EU-Berichts aus Sicht von KonsumentInnen, Umwelt, gentechnikfreier und biologischer Lebensmittelproduktion enttäuschend – viele Organisation haben ihn daher kritisch bewertet.

Ein Aufruf für eine strenge Regulierung der neuen Gentechnik wurde bereits vor Veröffentlichung des EU-Bericht von 18 Organisationen an die zuständigen BundesministerInnen übermittelt, mit klaren Forderungen gegen eine Deregulierung.

  • Beibehaltung der Anwendung des etablierten EU-Gentechnikrechts gemäß EuGH-Urteil vom Juli 2018
  • keine Änderung der EU-RL 2001/18 und der EU-VO 1829/2003 auf die Agenda der EU-Kommission
  • keine Deregulierung einer oder mehrerer Gene-Editing-Techniken bzw. Ausnahmen für Varianten von gentechnisch veränderten Organismen, keine Vorschläge einer Neuregulierung der Neuen Gentechnik zum Zwecke einer „erleichterten Zulassung“
  • proaktiver Einsatz bereits vorhandener Nachweismethoden für Produkte aus Neuer Gentechnik (z. B. für Cibus SU Canola) in der Lebensmittel- und Futtermittelkontrolle
  • Nachdruck bei der Entwicklung von validen Nachweisverfahren zur Identifizierung und Quantifizierung von Produkten der Neuen Gentechnik, die in einer EU-Datenbank öffentlich zugänglich gemacht werden
  • unabhängige Forschung zu Gesundheits- und Umweltauswirkungen sichern und die Finanzierung dafür sicherstellen
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