Patente auf Leben – unser aller Bier!

29. April 2022

Wussten Sie, dass vier große Agrarkonzerne mehr als 60 Prozent des weltweiten Saatgutmarktes beherrschen? Diese übergroße Machtkonzentration wird noch dadurch verschärft, dass Unternehmen Patente auf Saatgut und Lebensmittel anmelden – und damit andere von der Nutzung dieses Saatgutes ausschließen können. Patente auf Leben sind in Europa eigentlich verboten, solange es sich nicht um Gentechnik handelt. Doch große Konzerne finden Möglichkeiten, dieses Verbot zu umgehen. Daher gibt es aktuell Patente auf Lebensmittel wie Tomaten oder Salat bis hin zum Bier. Jetzt fordert eine Petition die europäische Politik auf, diesen Missbrauch des Patentrechts zu stoppen.

Die Macht der Konzerne nimmt zu

Die Machtkonzentration ist ein grundsätzliches Problem, das das gesamte Ernährungssystem betrifft: Immer weniger Konzerne kontrollieren immer größere Teile des Marktes. Damit haben sie enorme Macht zu bestimmen, was auf unseren Feldern wächst und letztendlich auf unseren Tellern landet. Sie bestimmen die Preise für das Saatgut und entwickeln auch Sorten, die von Pestiziden abhängig sind – die sie oft auch gleich selbst produzieren.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Patente auf Saatgut verschärfen dieses Problem weiter: Patentschriften sind so kompliziert, dass sie nur von Konzernen mit Rechtsabteilungen oder viel Geld für PatentanwältInnen geschrieben oder verstanden werden. Lücken im Patentrecht finden nur große Unternehmen. Lokale kleine Firmen oder BäuerInnen, die selbst züchten, können so nicht mehr frei von juristischen Unsicherheiten arbeiten. Auch die Klimakrise wird zum Business, so wurden bereits Patente auf Sorten angemeldet, die an höhere Temperaturen angepasst sein sollen! Gerade in Zeiten der Klimakrise und steigender Lebensmittelpreise ist eine lokale Lebensmittelproduktion mit angepassten Sorten und fairen Preisen eine wichtige Voraussetzung für Ernährungssicherheit.

Patentrecht: für technische Erfindungen, nicht für Leben gemacht

Die grundsätzliche Idee des Patentrechts ist es, durch Exklusivrechte auf technische Erfindungen Innovation zu fördern. Patentierbar ist also, was neu und erfinderisch ist. Dann kann der/die ErfinderIn ein Patent anmelden und für 20 Jahre andere von der Nutzung einer Idee ausschließen oder Lizenzgebühren verlangen. Saatgut, Pflanzen, Tiere und Lebensmittel sind aber klar keine Erfindungen. Die verschiedenen Pflanzensorten sind durch Tausende Jahre Züchtungsarbeit von Menschen auf der ganzen Welt entstanden. Daher schließt das europäische Patentrecht Patente auf sie aus, solange es sich um keine gentechnischen Verfahren handelt. Doch findige Konzerne umgehen diese Verbote: Sie behaupten beispielsweise, zufällige Mutationen in der Züchtung wären ihre Erfindung. Oder sie vermischen gentechnische und herkömmliche Verfahren und melden danach auf die gewünschte Eigenschaft ein Patent an. Alle Pflanzen mit dieser Eigenschaft können dann dem Patent unterliegen, egal ob Gentechnik zum Einsatz kam. Laut Recherche des internationalen Bündnisses „No Patents on Seeds!“ wurden in den letzten zehn Jahren in Europa jährlich rund 100 Patente auf Pflanzen, die aus herkömmlicher Züchtung stammen, beantragt. Rund 200 Patente wurden schon erteilt. Ein einziges Patent kann aber Dutzende Sorten betreffen, wenn Eigenschaften patentiert werden, die in vielen verschiedenen Sorten vorkommen können.

Beispiel: Patente auf Braugerste und Bier

Freuen Sie sich auf Ihr Feierabend-Bier? Dann gibt’s schlechte Nachrichten für Sie: Die Machtkonzentration und der Missbrauch des Patentrechts betreffen sogar dieses beliebte Lebensmittel – denn Konzerne haben sich schon Patente auf Bier gesichert! Das bedroht langfristig die Vielfalt an Geschmack und kann über Lizenzgebühren Lebensmittel teurer machen.Konzerne wie Carlsberg und Heineken versuchen seit 20 Jahren, sich Gerste und Bier als „Erfindung“ patentieren zu lassen und so die entsprechenden Gerstenpflanzen exklusiv nutzen zu können. Dafür durchsuchen die Unternehmen das Erbgut der Gerste nach zufälligen Mutationen und melden alles zum Patent an, was ihnen nützlich erscheint. Dazu gehören Eigenschaften, die den Brauprozess beschleunigen, den Geschmack verändern und die Haltbarkeit des Biers erhöhen. Als Erfindung beansprucht werden Saatgut, Braugerste und sogar das Bier selbst. Rund ein Dutzend derartiger Patente wurden in Europa beim zuständigen Europäischen Patentamt in München angemeldet. Vier wurden bisher erteilt, gegen drei Patente hat eine zivilgesellschaftliche Allianz schon Einsprüche eingelegt. Eines davon haben Carlsberg und Heineken 2021 fallen gelassen. Die Verhandlung zum nächsten Patent findet am 10. Mai 2022 statt. Carlsberg und Heineken haben sich Braugerste und Bier patentieren lassen. Es geht darum, dass die Gerstenpflanze von einem bestimmten natürlich vorkommenden Enzym deutlich weniger produziert als übliche Sorten. Das Patent soll noch dazu unabhängig davon gelten, wie diese Eigenschaft entstanden ist. Die Privatbrauerei Hirt und ein großes Bündnis von zivilgesellschaftlichen Organisationen haben dagegen Einspruch eingelegt.

Was bedeuten solche Patente?

Kleinere Brauereien, wie es in Österreich Dutzende gibt, und auch kleine ZüchterInnen können kaum herausfinden, welche Sorten potenziell von Patenten bedroht sind. Sie haben auch kein Geld für teure AnwältInnen – im Zweifel müssen sie also auf die Sorten verzichten. Damit gibt es langfristig einen Trend zum „Einheits-Bier“ im Supermarkt. Wenn Brauereien patentierte Sorten doch verwenden wollen, müssen sie Lizenzgebühren zahlen. Das würde Bier teurer machen. Ähnliche Beispiele gibt es aber auch für viele andere Lebensmittel, von Tomaten über Salat bis hin zu Sojabohnen.

Breite Bewegung gegen Patente – erste Erfolge, aber neue Konzernstrategien

Seit über 15 Jahren kämpfen viele Menschen gegen Patente auf Saatgut, Pflanzen, Tiere und Lebensmittel: Von bäuerlichen Organisationen über Gewerkschaften, Umweltschutzorganisationen und Saatgut-Initiativen bis hin zu betroffenen Firmen wie Brauereien reicht die Allianz. 2017 wurde ein Teilerfolg erreicht: Die 38 Mitgliedsstaaten der Europäischen Patentorganisation, bei der auch Österreich Mitglied ist, haben das bestehende Verbot von Patenten auf Leben bestätigt. Sie haben klargestellt, dass „im Wesentlichen biologische Verfahren“ nicht patentierbar sind. Doch die Formulierung ist leider nicht wasserdicht und schafft neue Schlupflöcher, daher finden Konzerne immer noch Möglichkeiten, entsprechende Patente anzumelden. Die Saatgut-Organisation ARCHE NOAH und das Bündnis „No Patents on Seeds“ legen immer wieder Einsprüche gegen solche Patente ein – und gewinnen auch immer wieder. 2021 konnte ein solches Biopiraterie-Patent von Monsanto (Bayer) auf eine Melone aus Indien erfolgreich gestoppt werden. Im Herbst 2021 konnte ein besonders absurdes Patent auf Lachse und Forellen gestoppt werden: Die Fische sollten lediglich durch anderes Futtermittel zur „Erfindung“ werden, das Patent reichte bis zum Fisch auf dem Teller.

Jetzt müssen die Lücken im Patentrecht nachhaltig von der Politik geschlossen werden! Es darf nicht von zivilgesellschaftlichen Organisationen abhängen, Hunderte Patentanträge zu analysieren und jahrelange Verfahren in Kauf zu nehmen – um dann Patente auf Leben zu stoppen, die es ohnehin nicht geben dürfte!

Petition an europäische MinisterInnen: Gemeinsam jetzt Patente auf Leben stoppen

Die aktuelle Petition „Missbrauch des Patentrechts stoppen“ fordert die zuständigen MinisterInnen der 38 Mitgliedsstaaten des Europäischen Patentamts auf, Patente auf Saatgut und Lebensmittel zur ChefInnensache zu machen. Es wird eine Konferenz und endlich wirksame Maßnahmen gegen Patente auf herkömmliche Zucht eingefordert. Auf europäischer und nationaler Ebene muss alles getan werden, um derartige Patente zu stoppen. Vor allem die Schlupflöcher für zufällige Mutationen und Gentechnik-Patente, die dann auch herkömmliche Sorten betreffen, müssen geschlossen werden. Die österreichische Politik muss ihren Kurs, sich gegen diese Patente einzusetzen, beibehalten.

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