Mit dem Ende Februar veröffentlichten Länderbericht übt die Europäische Kommission deutlich Kritik am Umgang der Regierung mit den Sozialpartnern. An anderer Stelle hingegen offenbart der Länderbericht Nachschärfungsbedarf aufseiten der Kommission.
Jährliche Länderberichte zu aktuellen Herausforderungen in den EU-Mitgliedstaaten
Die Europäische Kommission hat am 27. Februar 2019 ihre jährliche Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen der EU-Mitgliedstaaten veröffentlicht. Diese sogenannten Länderberichte sind eine wichtige Grundlage für die Ausarbeitung der nationalen Reformprogramme und der länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters.
Der letzte Länderbericht der amtierenden Kommission zu Österreich fällt umfassend und durchaus ausgewogen aus. Einerseits macht die Europäische Kommission eine Reihe aus ArbeitnehmerInnensicht wichtiger Feststellungen. Andererseits klammert der Länderbericht wesentliche Aspekte aus. Exemplarisch soll dies anhand folgender Beispiele aus dem Länderbericht dargelegt werden: Kritik am Umgang mit der Sozialpartnerschaft sowie der österreichischen Steuerpolitik, Nachschärfungsbedarf seitens der Kommission bei der Analyse des Familienbonus, Reform der Mindestsicherung sowie der fehlgeleiteten Einschätzung der Kommission in puncto Pensionen.
Sozialpartnerschaft unter Druck
Die Art und Weise, wie die österreichische Bundesregierung mit den Sozialpartnern umgeht, ist mittlerweile auch in Brüssel ein Thema geworden. Im aktuellen Länderbericht verweist die Europäische Kommission mit Sorge darauf, dass jüngst ergriffene Maßnahmen der Regierung „die erwiesene Fähigkeit“ der Sozialpartner, „zu einer ausgewogenen sozioökonomischen Entwicklung beizutragen“, verringern.
Dazu gibt es bereits viele Beispiele – vom 12-Stunden-Tag-Gesetz über den Karfreitag bis hin zu den Eingriffen bei den Sozialversicherungen. Die Einbeziehung der Sozialpartner in diese Vorhaben hätte mehr Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen, mehr Praxisnähe und mehr rechtstechnische Qualität bringen können. Die Bundesregierung ist aufgerufen, die deutlichen Signale aus Brüssel zu hören, in der Politikgestaltung wieder Wert auf sozialpartnerschaftliche Einigung zu legen und nicht einseitig die Interessen der (großen) Unternehmen im Auge zu haben.
Emmerich Tálos kommt in einer gut begründeten Analyse zur Sozialpartnerschaft unter Schwarz/Blau gar zur Schlussfolgerung, dass die Sozialpartnerschaft in Österreich vor dem Aus steht. Was hier auf dem Spiel steht, scheint vielen Akteuren noch nicht bewusst zu sein. Das System des sozialen Dialogs und der Arbeitgeber-ArbeitnehmerInnen-Beziehungen gehört zu den Erfolgsfaktoren der beispiellosen sozialen und wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung Österreichs der letzten Jahrzehnte! Welche Gefahren das Fehlen funktionierender sozialpartnerschaftlicher Strukturen birgt, zeigt sich aktuell anschaulich in Frankreich.
Auch in früheren Dokumenten hat die Europäische Kommission immer wieder auf die grundlegende Bedeutung der Einbindung der Sozialpartner in die Reformprozesse verwiesen. So spricht sich die Kommission etwa im Jahreswachstumsbericht 2019 sogar „im Kontext rückläufiger Tarifbindung“ für „Maßnahmen zur Stärkung der institutionellen Kapazitäten der Sozialpartner in Ländern (aus), in denen der soziale Dialog schwach ausgeprägt ist oder durch die Krise negativ beeinflusst wurde“.
Was die Kommission allerdings verschweigt: Sie selbst war es, die über vielfältige Kanäle zur Schwächung des sozialen Dialogs in etlichen Ländern beigetragen hat. Am offensichtlichsten tritt dies beispielsweise in den strengen Auflagen der Troika für jene Länder zutage, die in der Finanz- und Wirtschaftskrise finanzielle Unterstützung erhalten haben.
Vermögenssteuer könnte Milliarden bringen
Auch in puncto Steuerpolitik kommen die Empfehlungen der Kommission im Länderbericht zum richtigen Zeitpunkt. Denn die derzeit vordringlichste steuerpolitische Aufgabe in Österreich ist eine Steuerstrukturreform. Dazu braucht es eine Senkung der Steuern auf Arbeit bei gleichzeitiger Erhöhung der Steuern auf Kapital und Vermögen. Diese Einschätzung wird auch von der Europäischen Kommission geteilt.
Im aktuellen Länderbericht zeigt sie klar auf, wo die Probleme in Österreich liegen. Österreich liegt bei der Besteuerung des Faktors Arbeit am gesamten Steueraufkommen mit 55,3 Prozent an dritter Stelle in der Europäischen Union. Der Beitrag wachstumsfreundlicherer Steuern zum gesamten Steueraufkommen, wie der Körperschaftsteuer im Speziellen oder der Besteuerung von Kapital generell, ist jedoch unterdurchschnittlich – auch im Vergleich mit anderen EU-Mitgliedstaaten.
Spielraum sieht die Kommission auch bei den vermögensabhängigen Abgaben: Sie weist darauf hin, dass in Österreich weder eine Erbschafts- und Schenkungssteuer noch eine allgemeine Vermögensteuer eingehoben wird. Die Kommission sieht allein bei einer allgemeinen Vermögensteuer ein Einnahmenpotenzial zwischen 2,7 und 6,3 Mrd. Euro jährlich.