Seit Jahrzehnten gilt für die meisten Wirtschaftszweige: Güter werden in globalen Warenketten arbeitsteilig und global verteilt produziert. Globale Warenketten haben nicht nur Auswirkungen auf die Versorgung und die wirtschaftliche Entwicklung von Ländern und Regionen, sondern auch auf Löhne, Arbeitsbedingungen und Arbeitskämpfe. Welche Erfahrungen machen Arbeitende in globalisierten Warenketten, wenn es um ihre Interessen geht? Kann transnationales Kapital nur auf der transnationalen Ebene bekämpft werden? Oder bleibt die lokale und nationale Ebene der zentrale Ort für den Kampf um soziale Rechte?
Arbeitskämpfe und globale Warenketten
In globalen Warenketten verteilen Leitunternehmen die unterschiedlichen Schritte im Produktionsprozess an die für sie günstigsten Standorte. Dadurch stehen Zulieferfirmen in starkem Wettbewerb zueinander. Die Konsequenz: Der Druck auf Zulieferer wächst und diese geben ihn meist an die Arbeitnehmer:innen weiter. Untersuchungen zeigen, dass die Reduktion der Lohnkosten ein zentrales Motiv für die Auslagerung von Arbeitsschritten ist. Dahinter verbirgt sich ein weiteres Anliegen: die Macht der Arbeiter:innen einzudämmen und deren Organisierung zu erschweren.
Für Arbeitskämpfe sind globale Warenketten daher ein zweischneidiges Schwert. Einerseits können Beschäftigte, Zulieferfirmen und Staaten durch global fragmentierte und verstreute Produktion gegeneinander ausgespielt werden. Andererseits verbinden globale Warenketten Arbeiter:innen, Firmen, Konsument:innen und Staaten miteinander, was eine Grundlage für die Vernetzung zwischen den Akteuren an den unterschiedlichen Standorten sowie für die Anwendung von internationalen Regelwerken, etwa der ILO-Kernarbeitsnormen, schafft. Die Produktion in globalen Warenketten folgt dem Just-in-time-Prinzip: Lieferzeiten sind kurz und eng getaktet. Das erhöht die Bedeutung von Knotenpunkten, an denen eine Unterbrechung, zum Beispiel ein Streik, gewaltigen wirtschaftlichen Schaden für die Leitunternehmen verursachen kann. Das erhöht potenziell die Macht von Arbeiter:innen.
Arbeiter:innen sind keine passiven Akteure in der Globalisierung. Seit den 2000er-Jahren nimmt die transnationale Organisierung von Arbeiter:innen zu. Das gilt einerseits für klassische Gewerkschaftsbündnisse. Im Jahr 2012 wurde etwa IndustriALL Global Union ins Leben gerufen, um Arbeiter:innen aus den Sektoren Bergbau, Energie und Industrie grenzüberschreitend zu vertreten. Die globale Gewerkschaftsföderation zielt darauf ab, Vereinbarungen betreffend Arbeitsstandards für gesamte Lieferketten mit dem Management von transnationalen Konzernen auszuarbeiten. Mit fast 50 Leitunternehmen – darunter BMW, H&M und Siemens – erzielte sie entsprechende Abschlüsse. Nicht nur in den genannten industriellen Leitsektoren konnten Erfolge erzielt werden, auch im Handel und im Dienstleistungssektor. Zu den weniger bekannten Gewerkschaftsföderationen gehört IUF, die „food, farm, hotels and more global union“, die im Globalen Süden stark verankert ist. Sie schaffte es, eine globale Rahmenvereinbarung für Angestellte des Hotelkonzerns Accor oder für die Arbeiter:innen bei Danone auszuhandeln. Die globale Dienstleistungsgewerkschaft UNI Global Union, die ebenfalls im Globalen Süden eine starke Basis hat, war beispielsweise für die Beschäftigten bei der weltweit größten Sicherheitsfirma G4S erfolgreich.
Auch breitere Zusammenschlüsse aus NGO-Aktivist:innen und Gewerkschafter:innen spielen eine große Rolle in transnationalen Arbeitskämpfen. Ein prominentes Beispiel ist das grenzüberschreitende Bündnis der Clean-Clothes-Kampagne, das Gewerkschaften, NGOs und Konsument:innen im Kampf gegen die Arbeitsbedingungen in der globalen Modeindustrie zusammenbringt. In der Asia Floor Wage Alliance wirken Bekleidungsgewerkschaften und NGOs zusammen, um, wie es auf ihrer Website heißt, „die Beschränkungen der länderbasierten Kämpfe in globalen Produktionsnetzwerken zu überwinden“ und existenzsichernde Löhne für Textilarbeiter:innen sektorweit in Asien durchzusetzen. Die Global Workers Justice Alliance setzt sich für die Rechte von transnationalen Migrant:innen und Arbeiter:innen ohne Papiere in und zwischen Zentralamerika und den USA ein. Auch in Österreich sind Gewerkschafter:innen und NGO-Aktivist:innen bei solchen Initiativen gemeinsam aktiv, jüngst auch bei der Kampagne für ein Lieferkettengesetz.
Transnationale Arbeitskämpfe: Möglichkeiten und Fallstricke
In einem gerade erschienenen Schwerpunktheft des Österreichischen Journals für Entwicklungspolitik stellen wir vier Fragen, um eine Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen transnationaler Arbeitskämpfe anzuregen: Welche Hierarchien existieren innerhalb transnationaler Organisierungsinitiativen, vor allem in Bezug auf Nord-Süd-Beziehungen? Ist die globale Ebene die bedeutendste für die Durchsetzung von Arbeitsrechten, im Gegensatz zur lokalen und nationalen? Welche Trennlinien bestehen zwischen unterschiedlichen Gruppen von Beschäftigten und inwieweit werden soziale Anliegen mit ökologischen Fragen verbunden? Die Beiträge im Heft geben dazu unterschiedliche Antworten.
Nord-Süd-Hierarchien
Gewerkschaften und NGOs aus dem Globalen Norden sind finanziell und personell oft besser ausgestattet und haben häufig auch besseren Zugang zu Leitunternehmen und Regierungen. Ihre Strategien können sich von jenen ihrer Partner:innen im Globalen Süden unterscheiden. Während Organisationen aus Österreich vielleicht die Sozialpartnerschaft als Blaupause für Konfliktlösung betrachten, können für Gewerkschaften und Aktivist:innen aus anderen Ländern und Regionen konfrontativere Strategien sinnvoller sein. Aufgrund des Machtgefälles setzen sich in Bündnissen, bewusst oder unbewusst, oftmals die Strategien und Interessen der Organisationen aus dem Globalen Norden durch. Werden die Stimmen und Anliegen der Partner:innen aus dem Süden nicht gehört, kann das dem Arbeitskampf insgesamt schaden. Denn dann kann es dazu kommen, dass wenig nachhaltige oder nicht weithin geteilte Vorschläge in Verhandlungen vorgebracht werden.
Am Beispiel von australischen NGO-Initiativen im Bekleidungssektor in Asien warnen etwa Karinda Flavell undSamanthi Gunawardana vor „Stellvertreter-Kampagnen“. Sie laufen Gefahr, Stereotype in transnationalen Bündnissen zu reproduzieren (z. B. die Arbeiter:innen im Globalen Süden als passiv und fügsam anzusehen oder dass man „für sie“ sprechen muss). Dadurch wird nicht nur die Stimme der Arbeiter:innen unhörbar, sondern auch ihre Gestaltungsmacht in diesen Bündnissen untergraben. Die Schlussfolgerung: Die „privilegierte“ Position von Akteuren im Globalen Norden gilt es strategisch auszunutzen, um beispielsweise an Entscheidungsträger:innen und Ressourcen heranzukommen, ohne die Stimmen und Anliegen der beteiligten Arbeiter:innen im Süden zu marginalisieren.
Das Gleiche gilt für eine zentrale Organisationsstruktur, die bei globalen Gewerkschaftsföderationen bzw. Gewerkschaften im Globalen Norden oftmals dominiert. Eine klare Entscheidungsstruktur ist zu einem gewissen Maß notwendig, um über die einzelnen Standorte hinaus Wirkung zu erzielen. Eine Top-down-Struktur kann aber auch zu Demobilisierung führen. Jona BauerundAnna Holl zeigen die widersprüchlichen Auswirkungen von gewerkschaftszentrierten Initiativen am Beispiel eines globalen Rahmenabkommens im Bekleidungssektor. Die Ausarbeitung einer Rahmenvereinbarung zwischen einer Gewerkschaftsföderation mit Sitz im Globalen Norden und einem transnationalen Unternehmen führte zwar zu einer Verbesserung der Konfliktlösungsmechanismen bei Fällen von Gewerkschaftsfeindlichkeit und einbehaltenen Löhnen in Fabriken in Bangladesch. Zugleich stabilisierte sie aber die Position des Leitunternehmens durch die Möglichkeit, Arbeitskonflikte besser zu kontrollieren und deren transnationale Ausbreitung zu stoppen.
Globale versus lokale/nationale Ebene
Wenn es um globalisierte Produktionsnetzwerke geht, drängt sich die Frage auf: Braucht es eine grenzüberschreitende Vernetzung und Mobilisierung zur Durchsetzung von Arbeitsrechten? Oder bleibt die lokale oder nationale Ebene der zentrale Ort und die Regierung die erste Instanz, um soziale Rechte geltend zu machen? Viele Fallbeispiele zeigen: Für eine erfolgreiche transnationale Kampagne ist die Organisierung auf der lokalen Ebene überhaupt erst die Voraussetzung. Dass die lokale Ebene sogar bedeutsamer sein kann als transnationale Kampagnen, zeigt Bettina Engels am Beispiel von Arbeitskämpfen im Baumwollsektor in Burkina Faso. Dort, argumentiert sie, ist die Zusammenarbeit zwischen lokalen Kleinbäuer:innen und formellen und informellen Arbeiter:innen das entscheidende Moment, um soziale Forderungen geltend zu machen.
Der konkrete politökonomische Kontext ist immer wesentlich dafür, ob eine Mobilisierung gelingt. Jeroen Merk hat die Rolle nationaler Regulierungen und lokaler Eliten für die Organisierungsmöglichkeiten in der größten Schuhfabrik Indonesiens untersucht. Die Arbeiter:innen dort produzieren für Marken wie Nike, Adidas oder Puma. Auf den ersten Blick erscheinen die Bedingungen für Organisierung in dieser Fabrik gut. Aufgrund ihrer Größe kann ein einziger Streik großen wirtschaftlichen Schaden verursachen. Außerdem hat Indonesien wichtige ILO-Konventionen ratifiziert, und viele Gewerkschaften in der Bekleidungsindustrie sind Teil von breiteren, auch transnationalen Bündnissen. Doch die lokale Machtelite der Jawara schüchtert die Arbeiter:innen ein, und die Existenz einer „gelben“, unternehmensfreundlichen Gewerkschaft erschwert die Bildung einer neuen Gewerkschaft.
Luke Sinwell zeigt hingegen am Fall des Platinumstreiks 2014 in Südafrika, wie sich eine Auseinandersetzung um die Arbeitsbedingungen einer bestimmten Gruppe von Arbeitern in einer Mine zu einem breiten Kampf für verbesserte Lebensbedingungen entwickeln kann, der in andere Sektoren, Regionen und Länder hineinwirkt und zu neuen Bündnissen führt. So entstand in Reaktion auf die Ermordung von streikenden Arbeitern die Fraueninitiative Sikhala Sonke, die sich für die hinterbliebenen Familien einsetzt. Durch ihre Beteiligung an der Protestbewegung wurde der Kampf um höhere Gehälter auf breitere Fragen der Grundversorgung erweitert.
Im besten Fall ergänzen sich Kämpfe auf den unterschiedlichen räumlichen Ebenen. Gerade in autoritären Regimen sind Bündnisse und Solidarität über Grenzen hinweg wichtig, um lokale Bewegungen zu stärken.
Trennlinien zwischen Arbeiter:innen
Nicht immer ist es ein übermächtiger äußerer Gegner, der Arbeitskämpfe verhindert oder erschwert. Unterschiede in der beruflichen Stellung und im sozialen Status, auch unterschiedliche Erfahrungen und Einstellungen bewirken Trennlinien zwischen Arbeiter:innen, selbst wenn sie von der gleichen Organisation vertreten werden. Unterschiedliche Interessen können etwa zwischen fest angestellten und temporären, zwischen älteren und jüngeren Arbeitnehmer:innen oder zwischen Arbeiter:innen und Angestellten bestehen und schlimmstenfalls zum Auseinanderbrechen von Bündnissen führen. Sehr häufig verlaufen diese Trennlinien entlang gesellschaftlicher Machthierarchien, wie Geschlecht, race oder Nationalität. Gerade in globalen Warenketten sind „nationale Spaltungslinien“ ein Schwachpunkt. Die Konsequenz ist häufig, dass sich kleinere Organisationen bilden, die Verbesserungen nur für einen Teil der Arbeiter:innen oder an einem Standort erzielen.
Historisch haben sich Arbeiter:innenbewegungen immer wieder auf die Seite nationalistischer Ideologien gestellt, statt auf internationale Solidarität zu setzen. Feminist:innen zeigen hier schon lange einen Ausweg auf. Indem unterschiedliche Ausgangspositionen nicht bekämpft, sondern als jeglichem Bündnis inhärent anerkannt werden, können gemeinsam stärkere und inklusivere Positionen erarbeitet werden. Dies gilt zum Beispiel für die Verbindung von Kämpfen um den Erhalt von Lebensgrundlagen („Livelihood“) mit Arbeiter:innenbewegungen, die am Arbeitsplatz ihren Ursprung haben. Für eine solche Verbindung ist wesentlich, das Alltagswissen von Menschen mit Unterdrückungserfahrungen in die politischen Kämpfe einzubeziehen. Madhumita Dutta beschreibt, wie Bäuerinnen und Frauen aus der Arbeiter:innenklasse in Indien in ihrem Alltag Wissen generieren und Strategien gegen ihre Unterdrückung formulieren. Ihre Perspektiven bleiben allerdings oft in Protestbewegungen und Arbeiter:innenkämpfen unsichtbar. Auch in fragmentierten Plattformökonomien, wie zum Beispiel Lieferdienst-Apps, in denen die Arbeiter:innen bewusst voneinander ferngehalten werden, müssen Trennlinien aktiv überbrückt werden. Abhängig von sozialem Status, Alter, Gender oder race erlebt jede:r Arbeiter:in die Belastung und die Unterdrückung durch den Arbeitgeber anders, was schnell zu Vereinzelung führen kann. Trotz dieser schwierigen Ausgangslage haben in Ecuador Feminist:innen eine zentrale Rollen bei der Organisierung von Plattformarbeiter:innen eingenommen und diese Unterschiede zu einer Stärke der Bewegung gemacht. Indem Unterdrückungserfahrungen geteilt und dann durch die Vernetzung der Arbeiter:innen in der App verbreitet werden, kann sich die Bewegung vergrößern und weiterentwickeln – das zeigt Kruskaya Hidalgo Cordero in ihrem Beitrag über die Organising-Initiativen von Essenslieferant:innen in Lateinamerika.
Rot versus grün
Arbeit und Lebensumwelt und die sozialen Bewegungen, die diesen Sphären entspringen, stehen oft in einem Gegensatz zueinander. Im Globalen Süden lassen sich jedoch viele Beispiele finden, die diesen Gegensatz überwinden. Arbeitskämpfe in Sektoren, die auf der Ausbeutung von mineralischen oder agrarischen Rohstoffen basieren, machen aufgrund der Schädigung der unmittelbaren Lebensumwelt Arbeit und Umwelt gleichermaßen zum Thema. In nationalen Gewerkschaften, sowohl im Globalen Süden als auch im Globalen Norden, ist hingegen oft ein engerer Fokus auf kurz- oder mittelfristige Verbesserungen für einzelne Sektoren oder Gruppen von Arbeiter:innen feststellbar.
In den globalen Gewerkschaftsföderationen, in denen die nationalen Gewerkschaften Mitglied sind, hat sich etwas geändert. Sie stellen die Forderung nach einer „Just Transition“, einer sozial gerechten sozial-ökologischen Transformation, in den Vordergrund. Die Kampagnen für die Einführung von Lieferkettengesetzen im Globalen Norden, die sowohl arbeitsrechtliche als auch umweltbezogene Sorgfaltspflichten beinhalten, könnten dieser Entwicklung weiteren Aufwind verschaffen. Die vernetzten Kämpfe gegen schlechte Arbeitsbedingungen und die Zerstörung von Lebensgrundlagen in Südafrika, Brasilien oder Indien zeigen, dass die Zusammenführung von „grünen“ und „roten“ Anliegen Bewegungen stärken kann.
Was tun?
Mit den Fragen und Fallbeispielen wollen wir einerseits einen Überblick über die vielfältigen transnationalen Organisierungsformen und Initiativen geben, die Marissa Brookes mit Kolleg:innen in der Transnational Labor Alliances Database sammelt und analysiert, sowie andererseits zur Reflexion gewerkschaftlicher Strategien beitragen. Arbeiter:innen und ihre Verbündeten können die Schwachstellen globaler Warenketten zu ihrem Vorteil ausnutzen. Das kann aber nur gemeinsam gelingen, über Standorte und (Welt-)Regionen hinweg. Diese Gemeinsamkeit fordert zum ständigen Überdenken der eigenen Strategien, Differenzen und Machtstrukturen auf. Eine Überlegung liegt dem allerdings zugrunde: Weder ist der Kampf um Arbeitsrechte eine nationale Angelegenheit noch soll der eigene Nationalstaat jene Instanz sein, die mit protektionistischen Maßnahmen „uns“ vor „ausländischer Konkurrenz“ schützt. Angesichts globalisierter Produktionsstrukturen muss es darum gehen, Arbeitsrechte weltweit zu erkämpfen und zu sichern und die Praktiken derer, die von der Globalisierung profitieren, zu regulieren und ihre Profite anders und gerecht zu verteilen.
Dieser Blogbeitrag basiert auf den Beiträgen aus der aktuellsten Ausgabe “Scaling Up? Transnational Labour Organising in Globalised Production” des Journals für Entwicklungspolitik (JEP) vom Mattersburger Kreis für Entwicklungspolitik. Die Präsentation des neuesten Heftes findet am Donnerstag, den 24. November an der VHS Linz statt und am 23. November im Alois Wagner Saal, Centrum C3, Sensengasse 3, 1090 Wien.