Echte Rechenschaft über die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen

21. August 2020

Seit 2017 sind bestimmte große Unternehmen in Europa in der Pflicht, Rechenschaft über ihre Nachhaltigkeitsleistungen in Fragen von Umwelt, Sozialem und guter Unternehmensführung vorzulegen. Doch nationale und internationale Evaluierungen zeigen, dass diese sogenannte „nichtfinanzielle Berichterstattung“ nach wie vor unzureichend umgesetzt wird. Im Zuge der anstehenden Novellierung der entsprechenden Richtlinie durch die EU-Kommission muss jetzt die dringend notwendige Weiterentwicklung im Hinblick auf mehr Verbindlichkeit, Vergleichbarkeit und Validität erfolgen.

Zwischen Paradigmenwechsel und „Anti-Gold-Plating“

Seit der Jahrtausendwende ist es erklärtes Ziel der EU-Kommission, die europäische Wirtschaft nachhaltiger und sozial verantwortlicher auszurichten. Nach der Finanzkrise 2008/09, die das Scheitern des Shareholder-Value-Prinzips eindrücklich vor Augen geführt hat, wurden diese Bemühungen intensiviert. Einen Meilenstein stellt dabei die Verabschiedung der Richtlinie 2014/95/EU (Non-Financial-Information-Richtlinie, NFI-Richtlinie) dar, die vielfach als „Paradigmenwechsel“ in der Transparenz der sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen erachtet wird. Seit 2017 sind nunmehr rund 6.000 europäische Unternehmen von öffentlichem Interesse verpflichtet, einmal jährlich Informationen über die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihres Wirtschaftens zu veröffentlichen. Sollte dies die gänzliche Abkehr vom Prinzip der Freiwilligkeit in der Berichterstattung zur sozialen und gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung zur Folge haben? Dazu fehlte in letzter Konsequenz dann doch der politische Wille: Zahlreiche Mitgliedsstaaten – wie Österreich oder Deutschland – setzten nämlich lediglich auf die Mindeststandards der europarechtlichen Bestimmungen. Auf die notwendige Etablierung einer Berichterstattung über die geforderte Untergrenze hinaus wurde bedauerlicherweise verzichtet. Was zur Folge hat, dass Nachhaltigkeitsberichte bis heute weitgehend mit Willkür in der Offenlegung glänzen („Greenwashing“).

Mangelnde Nachhaltigkeits-Transparenz

Den vagen gesetzlichen Bestimmungen geschuldet, fallen die Befunde zur bisherigen Berichtspraxis dementsprechend kritisch aus. Deutlich spiegelt sich dies in einer Fülle an Studien wider, wie z. B. dem europäischen Vergleichsreport der Anwaltskanzlei Frank Bold (2019), dem Bericht von Development International (2019) oder der AK-Studie „Eine Evaluierung der Umsetzung des NaDiVeG in börsennotierten Unternehmen“ (2019). Die Ergebnisse der unterschiedlichen Erhebungen decken sich: Die Mehrheit der berichtspflichtigen Unternehmen erfüllt auch mehrere Jahre nach Inkrafttreten der Bestimmungen viele der Anforderungen nur mangelhaft. So zieht auch der ESG-Monitor 2020 über das nichtfinanzielle Reporting deutscher Börsenkonzerne ein ernüchterndes Fazit: Nachhaltigkeit ist gegenwärtig primär ein Mittel, um neue Investoren zu gewinnen und Reputation aufzubauen. Dafür steht oftmals der Schein vor dem Sein, denn die Qualität der offengelegten Informationen ist häufig mangelhaft, die Berichte sind kaum vergleichbar. Dadurch entsteht Raum für Verschleierungen und Schönfärbereien.

2020: EU-Konsultation zur Zukunft der nichtfinanziellen Berichterstattung

Im Schatten wachsender Kritik sowie im Lichte weiterer „nachhaltiger“ Gesetzesinitiativen wie des Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums (2018) oder des Green New Deals (2019) eröffnete die EU-Kommission ihre Konsultation zur Überarbeitung der NFI-Richtlinie, die im Juni 2020 abgeschlossen wurde. Das Konsultationsdokument hat einmal mehr die Kritikpunkte an den Berichtspflichten in der gegenwärtigen Form aufgezeigt (z. B. Mängel in der Vergleichbarkeit, Auffindbarkeit und Aussagekraft der generierten Informationen). Die rund 600 Stellungnahmen dazu wurden im Rahmen des Summary Reports of the Public Consultation on the Review of the Non-Financial Reporting Directive (2020) ausgewertet. Die wesentliche Erkenntnis zum Status quo ist jene, dass die Qualität der veröffentlichten nichtfinanziellen Informationen von allen Stakeholdern als gering eingeschätzt wird. Spannend dabei: Seitens der Berichtsadressaten ist die Kritik besonders ausgeprägt. Geforderte inhaltliche Ergänzungen betreffen unter anderem die Taxonomie-Verordnung, Governance-Strukturen sowie Klima- und Steuerbelange.

Standardisierung, externe Prüfung und Anwendungsbereich

Darüber hinaus ist für die berichtspflichtigen Unternehmen die Entwicklung eigener Standards mit konkreten Leitlinien für die Berichterstattung von wesentlicher Bedeutung. Dementsprechend hat die EU-Kommission bereits Anfang Juli 2020 das European Corporate Reporting Lab mit Vorarbeiten zur Standardentwicklung beauftragt: Als inhaltliche Anlehnungspunkte wurden die Leitlinien der Global Reporting Initiative (GRI) sowie themenspezifische Rahmenwerke wie die Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) und die UN Guiding Principles on Business and Human Rights genannt. Die Entwicklung künftiger Standards soll laut Konsultationsergebnis unter Einbindung der relevanten Stakeholder wie Gewerkschaften erfolgen. Rund zwei Drittel (67 Prozent) der Stellungnahmen sprechen sich zudem für eine verpflichtende externe Prüfung durch unabhängige Dritte aus. Dabei wird hervorgehoben, dass die Prüfung der nichtfinanziellen Berichterstattung „auf Augenhöhe“ mit der Prüfung der Finanzberichterstattung zu etablieren ist. Zum Anwendungsbereich der nichtfinanziellen Berichtspflichten besteht nach überwiegender Auffassung der Bedarf, diesen auszuweiten. Konsensfähig wäre hier etwa ein Absehen vom Kriterium des „großen Unternehmens“ bzw. zumindest die Streichung der Prämisse, mindestens 500 MitarbeiterInnen zu beschäftigen.

Nächste Schritte zur Weiterentwicklung

Wie der Tenor zur Konsultation verdeutlicht, herrscht nahezu einhellige Kritik an der gegenwärtigen Praxis der nichtfinanziellen Berichterstattung. Die im Rahmen der Konsultation eingeholten Sichtweisen der Stakeholder decken sich weitgehend mit jenen wesentlichen Problemstellungen, die von der AK identifiziert wurden:

  • Definition der Wesentlichkeit: Oberste Priorität hat es, den Begriff „Wesentlichkeit“ – als „Herzstück“ der Berichtspflichten – sowie den Prozess der Wesentlichkeitsanalyse in der Richtlinie zu konkretisieren und damit die Qualität (Vergleichbarkeit, Verlässlichkeit und Vollständigkeit) der Berichtslegung maßgeblich zu steigern. Zum Hintergrund: Im Vorfeld der nichtfinanziellen Berichterstattung werden jene „wesentlichen“ Themen identifiziert, die sowohl für das betreffende Unternehmen als auch für die jeweiligen Stakeholder (KundInnen, Beschäftigte, Gewerkschaften, ArbeitnehmervertreterInnen etc.) von hoher Bedeutung sind, wie z. B. Arbeitsbedingungen oder CO2-Emissionen. In der Praxis zeigen sich hier neben breiten Auffassungsunterschieden teilweise erhebliche Berichtslücken: Die europäischen Unternehmen müssen daher dringend klare Vorgaben erhalten, wie der Prozess abzulaufen hat bzw. wie eine korrekte, vergleichbare Berichterstattung aussehen muss.
  • Mindestkatalog zu sozialen und ökologischen Indikatoren: Im Rahmen eines verpflichtenden Mindestkatalogs, der europarechtlich zu definieren ist, sind die Belange der Beschäftigten zu berücksichtigen. Hier geht es vor allem um Beschäftigungsindikatoren wie Überstunden, Fluktuation, aber auch um Gesundheit und Sicherheit, Stichwort Arbeitsunfallraten, sowie auch um Aus- und Weiterbildung und um den sozialen Dialog, also etwa die Einbeziehung der ArbeitnehmerInnen-Vertretung. Wichtig sind darüber hinaus Themen, die die Umwelt und den Klimaschutz betreffen – etwa Emissionsmengen, nachhaltige Nutzung von Ressourcen, Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschmutzung, Verbrauch von Rohstoffen und Energieverbrauch. Einbezogen sollte auch die internationale soziale Gerechtigkeit werden: Hier geht es etwa um die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen, um die Vergabe von Unteraufträgen und Zulieferer sowie die Berücksichtigung von Sozial- und Umweltfragen in der Einkaufspolitik. Die Angaben zu den Beschäftigten sind von so elementarer Bedeutung für die Stakeholder, dass sie jedes Unternehmen in seine Berichterstattung aufnehmen muss.
  • Verpflichtende externe Prüfung: Die inhaltliche Prüfung der nichtfinanziellen Berichterstattung muss verpflichtend von externen Dritten durchgeführt werden – und zwar in Bezug auf Form und Inhalt sowie mit gleicher Prüfungsintensität, wie sie bei der Finanzberichterstattung angewendet wird. Nur eine solche externe Prüfung gibt Sicherheit darüber, dass die publizierten Daten korrekt sind und die Darstellung angemessen und ausgewogen erfolgt. Beauftragt werden können neben AbschlussprüferInnen auch Prüfstellen, die Nachhaltigkeitsexpertise aufweisen, also zertifizierte ExpertInnen aus dem Nachhaltigkeitsbereich.  
  • Ausweitung des Anwendungsbereiches: Der Anwendungsbereich der nichtfinanziellen Berichtspflichten in der EU sollte auf sämtliche große Kapitalgesellschaften und auf Unternehmen, die mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen, ausgeweitet werden. Denn die Bedeutung der Auswirkungen unternehmerischen Tuns lässt sich nicht schlüssig durch Kriterien wie jene der Kapitalmarktorientierung oder der MitarbeiterInnenzahl (ab 500 Beschäftigten) abgrenzen.

Fazit und Ausblick

Bei der Weiterentwicklung der nichtfinanziellen Unternehmensberichterstattung sind insbesondere Management und Aufsichtsrat in der Pflicht: Die Leitungs- und Aufsichtsorgane der Wirtschaft müssen Verständnis für nachhaltige Unternehmensführung entwickeln. Dafür braucht es entsprechende Anreize: Nichtfinanzielle Ziele müssen daher mit mehr Nachdruck in der Vergütungspolitik für den Vorstand verankert werden, in dieselbe Kerbe schlägt auch der finale Report zu directors’ duties and sustainable corporate governance (2020) der EU-Kommission. Bei der Steigerung der Qualität der nichtfinanziellen Berichterstattung kommt dem Aufsichtsrat eine Schlüsselrolle zu. Analog zum Finanzexperten bzw. zur Finanzexpertin sollte daher im Aufsichtsgremium ein Nachhaltigkeitsexperte oder eine Nachhaltigkeitsexpertin repräsentiert sein. Dies erfordert auf EU-Ebene die korrespondierende Anpassung des Normenrahmens, in den die NFI-Richtlinie eingebettet ist: Nur so kann die nichtfinanzielle Berichterstattung selbst nachhaltig im Unternehmensalltag Fuß fassen und konsequent vorangetrieben werden – zum Nutzen der Stakeholder, der Unternehmen selbst sowie der gesamten Wirtschaftsordnung.

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