Knapp nach der Jahrtausendwende, im März 2000, steht das soziale Verantwortungsbewusstsein der Unternehmen (CSR) erstmals auf der Agenda des Europäischen Rats. Das Mittel der Wahl sind Best Practices in Bereichen wie lebenslanges Lernen, Arbeitsorganisation u.a. Einmal von den Pionieren inspiriert, würden sich wohl genügend Nachahmer finden, die ebenfalls den Pfad der Tugend einschlagen wollen.
Ganz so unverbindlich-selbstorganisiert-gut ging es dann doch nicht, weshalb die Europäische Kommission ein Jahr später, im Juli 2001, das Grünbuch „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“ herausgibt. Noch immer äußerst vage wird CSR definiert
– als eine im Wesentlichen freiwillige Verpflichtung der Unternehmen, auf eine bessere Gesellschaft und eine saubere Umwelt hinzuwirken;
– und als ein Prozess, nach dem die Unternehmen ihre Beziehungen zu unterschiedlichen Stakeholdern gestalten.
Tatsächlich barg der Terminus „freiwillig“ erheblichen Zündstoff. Die konkrete Auslegung und Implementierung oblag den Unternehmen, sie hatten also die Definitionshoheit. Unterstrichen wurde dies durch ein von der EU-Kommission 2006 ins Leben gerufenes „Europäisches Bündnis für soziale Verantwortung von Unternehmen“, das nur der Arbeitgeberseite offen stand und deren CSR-Interessen bündelte.
Schon vorher gestaltete sich die Meinungsbildung in den sogenannten Multi-Stakeholder-Foren äußerst schwierig, die Exklusion der gesellschaftlichen Anspruchsgruppen aus dem Bündnis brachte allerdings das Fass zum Überlaufen. Sowohl der Europäische Gewerkschaftsbund als auch die NGOs stiegen aus dem CSR-Prozess der EU aus.
Danach folgte eine jahrelange Latenzphase geprägt von CSR-Preisverleihungen, Nachhaltigkeitsberichten im Hochglanzformat und anderen „So-tun-als-ob-Initiativen“. Nicht überraschend zieht die Kommission 2011 in ihrer Mitteilung „Eine neue EU-Strategie (2011-14) für die soziale Verantwortung der Unternehmen (CSR)“ eine recht durchwachsene Bilanz. Zwar werden einige Fortschritte aufgelistet, wie zum Beispiel die vermehrte Unterzeichnung der Prinzipien des Global Compact. Andererseits wird aber lapidar festgestellt, dass viele Unternehmen in der EU soziale und ökologische Belange noch nicht in vollem Umfang in die Betriebsführung und in ihre Kernstrategie integriert hätten. Was also tun? Die Kommission wählte zwei zentrale Hebel, durch die ein Relaunch von CSR gelingen sollte: a) eine neue CSR-Definition und b) eine genauere Erläuterung dessen, was von den Unternehmen erwartet wird.
Nach der neuen Definition ist CSR, „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“. So selbstverständlich und trotzdem so ambitioniert, wenn man die Vorgeschichte bedenkt. Handelt es sich wieder nur um viel heiße Luft im CSR-Wolkenkuckucksheim? Mit hoher Wahrscheinlichkeit ja, es gibt jedoch vage Hinweise, dass diesmal etwas mehr daraus werden könnte: Die in der Mitteilung vorgesehene verpflichtende Offenlegung von sozialen und ökologischen Informationen. Dadurch sollen die Kontakte zu den Stakeholdern erleichtert und konkrete Gefahren für die Nachhaltigkeit aufgezeigt werden. Der springende Punkt: Wie aussagekräftig werden diese Informationen sein und für wen gelten sie?
Ein dorniger und weiter Weg! Nach Corporate-Register veröffentlichten 2011 gerade einmal 2.500 europäische Unternehmen CSR- oder Nachhaltigkeitsberichte, also nur ein Bruchteil der 42.000 in der EU operierenden Großunternehmen. Betrachtet man die österreichischen ATX-Unternehmen, so liegt der Anteil etwas höher, nämlich bei ca. 25%. Eine frühere Studie der Arbeiterkammer weist jedoch nach, dass die Aussagekraft der meisten Nachhaltigkeitsberichte äußerst beschränkt ist und eher der Public Relation als der Information über die Auswirkungen unternehmerischen Handelns auf die Gesellschaft dient.
Die Schwachstelle „Qualität der Daten“ erkennt auch das Europäische Parlament. In seiner Entschließung vom 6. Februar 2013 fordert es die Kommission auf, einen Vorschlag für die Offenlegung nichtfinanzieller Informationen durch Unternehmen vorzulegen. Dieser Vorschlag befindet sich derzeit in der Begutachtungsphase.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Anspruch und Wirklichkeit klaffen meilenweit auseinander. In der Begründung weist die Kommission noch völlig richtig darauf hin, dass sich bislang der in den Rechnungslegungsrichtlinien verfolgte Ansatz für die Offenlegung nichtfinanzieller Informationen als nicht wirksam genug erwiesen habe. Der Vorschlag verfolge daher unter anderem das Ziel einer „Verbesserung der Relevanz, Konsistenz und Vergleichbarkeit der gegenwärtig offengelegten nichtfinanziellen Informationen durch Ausbau und Präzisierung der bestehenden Anforderungen.“
Bei der Umsetzung verlässt die Kommission allerdings wieder der Mut. Umgesetzt werden soll das nämlich nicht durch die Einführung neuer Anforderungen für eine detailliertere Berichterstattung. Auch die Einführung eines EU-Standards ist für die Kommission nicht das Mittel der Wahl. Nein, denn „die Bewertung dieser verschiedenen Optionen ergab, dass der Ausbau der bestehenden Anforderungen, bei dem eine nichtfinanzielle Erklärung im Rahmen des Lageberichts vorgeschrieben würde, als Lösung zu bevorzugen wäre.“ Auf gut deutsch: Alles bleibt so wie es ist. Die Unternehmen können bei der Bereitstellung dieser Informationen aus der ganzen Bandbreite internationaler Rahmenwerke – vom „Global Compact“(!) über ISO 26000 bis hin zur „Global Reporting Initiative“ u.ä. – jene Indikatoren wählen, die ihnen gerade passen.
Wie formulierte einst der Managemetguru Peter Drucker? What gets measured gets done. Nur was gemessen wird, wird auch umgesetzt. CSR ist die Verantwortung der Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Da wird sich doch etwas messen lassen?
CSR konsequent weiter gedacht hätte das Potenzial für die erste Basisinnovation in stakeholderorientierter Unternehmensführung seit Einführung des Betriebsrätegesetzes vor knapp 100 Jahren. Damals stand nur eine Stakeholdergruppe, nämlich die ArbeitnehmerInnen, im Fokus. Heute hat sich das Spektrum um zusätzliche Anspruchsgruppen erweitert. Der vorliegende Richtlinienentwurf ist allerdings nicht geeignet, hier auch nur ein Stück weiter zu kommen. Im Gegenteil: Das „pick-and-choose“-Prinzip, war schon bisher für das Scheitern der Transparenzbestrebungen verantwortlich und wird dies wohl in Zukunft bleiben.