Es geht nur gemeinsam. Plädoyer für einen Bottom-up-Ansatz beim Einsatz künstlicher Intelligenz in der Arbeitswelt

18. März 2021

Wenn automatisationsunterstützte Anwendungen im Betrieb eingesetzt werden, gibt es – wenn damit auch personenbezogene Beschäftigtendaten verarbeitet werden – grundsätzlich starke Mitsprache- und auch Vetorechte für die betriebliche Interessenvertretung der Beschäftigten. Bei Anwendungen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz sind die Auswirkungen auf die Arbeitsrealität und die Beschäftigten zunächst auch mit IT-Fachwissen nicht eindeutig abschätzbar. Es braucht daher eine umfassende prozessorientierte Einbindung der Betriebsräte und der Beschäftigten – einen „Bottom-up-Ansatz“.

Digitalisierung – ein bereits altes Thema mit steigender Schlagzahl

Die Diskussionen und Debatten über die vermeintliche vierte industrielle Revolution und in ihrer Folge über „Arbeit und Mitbestimmung 4.0“ sind nun schon einige Jahre alt. Der unaufgeregtere – aber oftmals synonym verwendete – Begriff „Digitalisierung“ beschreibt eigentlich einen noch deutlich älteren Prozess. Digitalisierung bedeutet eigentlich nur die Übersetzung von Informationen in elektronisch les- und speicherbare Formate, sie begann vor über 50 Jahren. So war etwa der Übergang vom Hängeregister zur Speicherung von Akten auf Disketten schon nichts anderes als eine Einführung einer digitalen Innovation in der Arbeitswelt – und diese mutet heute antiquiert an. Gleich geblieben ist aber, dass die konkrete Einführung von technischen Innovationen Auswirkungen auf die Arbeitsrealität hat – wie genau, hängt weiterhin davon ab, in wessen Interesse sie gestaltet wird. Es ist daher notwendig, Digitalisierungsprojekte als Organisations- und Umstrukturierungsprozesse zu betrachten und aus vergangenen Erfahrungen zu lernen. Und es gibt hier grundsätzlich auch bereits entsprechend starke Mitbestimmungsrechte für die Beschäftigten und deren Vertretungen.

Neu ist jedoch, dass – vermeintliche und echte – technische Innovationen schneller Platz greifen und komplexer werden. Dies wurde zudem durch die COVID-19-Pandemie getriggert, der digitale Büroalltag und die Distanzarbeit wurden – zumindest im Angestelltenbereich – in kürzester Zeit zu einer verstärkt präsenten Realität. Dies verschärft die Situation für Betriebsräte, Anforderungen an das eigene IT-Fachwissen und die notwendige Vernetzung mit den projektleitenden Fachabteilungen und den IT-Fachkräften im Betrieb werden noch höher.

Was ist künstliche Intelligenz?

Unter künstlicher Intelligenz werden in der Arbeitswelt meist Anwendungen verstanden, bei denen Computer und Algorithmen nicht nur zur Analyse von Sachverhalten unter bestimmten (von Menschen) vordefinierten Rahmenbedingungen und Parametern herangezogen werden, sondern bei denen Computer und Algorithmen auch selbst lernen, welche Informationen für eine Entscheidung oder eine Entscheidungsunterstützung relevant sind.

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz hat Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsrealität im Betrieb – das unterscheidet künstliche Intelligenz aber noch nicht von anderen IT-Anwendungen, die ebenfalls umfangreich Beschäftigtendaten erheben sowie Arbeitsbedingungen, das Arbeitsvolumen und Tätigkeitsbeschreibungen der Beschäftigten verändern können. Über diese Risiken hinaus ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz aber noch aus zumindest folgenden Gründen kritisch zu betrachten:

  • „Selbst lernende“ Anwendungen orientieren sich bei ihrer Analyse an der Realität. Diese wiederum ist von umfassenden Machtungleichgewichten und Diskriminierungsverhältnissen geprägt. Für künstliche Intelligenz besteht daher die Gefahr, dass sie diese diskriminierenden Realitäten weiter fort- und tiefer einschreibt.
  • Voraussetzung für künstliche Intelligenz ist das umfangreiche – und mitunter zusätzlich unkontrollierte – Erheben von personenbezogenen Beschäftigtendaten. In der betrieblichen Realität entsteht dadurch ein noch stärkeres Kontroll- und Überwachungspotenzial gegenüber den Beschäftigten.
  • Wenn die künstliche Intelligenz als „Blackbox“ selbst Entscheidungen trifft – und nicht nur bei Entscheidungen unterstützt –, fehlt einerseits die Kontrolle und Nachvollziehbarkeit die Entscheidungen betreffend und andererseits für Beschäftigte und Betriebsräte der/die VerhandlungspartnerIn oder das „Gegenüber“.
  • Der Einsatz künstlicher Intelligenz und deren Folgen sind oftmals für Beschäftigte nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, da es entsprechendes Fachwissen benötigt, um die Anwendungen bzw. Systeme und ihre Auswirkungen zu verstehen.

Ein Bottom-up-Ansatz: transparent, verständlich UND nachvollziehbar

Eine Möglichkeit, diesen massiven Risiken zu begegnen und Potenziale zu heben, wäre ein „Bottom-up-Ansatz“ in den Betrieben bei der Einführung künstlicher Intelligenz. Wenn Beschäftigte und ihre VertreterInnen schon am Beginn des Prozesses eingebunden sind, dann können konkrete Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen gut analysiert und erkannt werden, und es können Betriebsräte auch von ihren Mitspracherechten Gebrauch machen. Dazu braucht es ein gemeinsames Verständnis, den Prozess der Einführung künstlicher Intelligenz gemeinsam zu begleiten und zu evaluieren. Das Ergebnis dieses Prozesses könnte natürlich auch sein, dass eine Anwendung als nicht sinnvoll oder als zu riskant betrachtet wird.

Die Europäische Kommission formuliert in einem Weißbuch sieben Kernanforderungen an künstliche Intelligenz, die von eingesetzten ExpertInnengruppen erarbeitet wurden:

  • Vorrang menschlichen Handelns und menschlicher Aufsicht
  • technische Robustheit und Sicherheit
  • Privatsphäre und Datenqualitätsmanagement
  • Transparenz
  • Vielfalt, Nichtdiskriminierung und Fairness
  • gesellschaftliches und ökologisches Wohlergehen und
  • Rechenschaftspflicht

All diese Anforderungen sind grundsätzlich sehr positiv zu sehen. Insbesondere im Bereich der Arbeitswelt wäre es allerdings wichtig, den Begriff der Transparenz um den Begriff der Nachvollziehbarkeit und der Verständlichkeit für Betroffene zu erweitern. In der konkreten Umsetzung soll nach dem oben beschriebenen „Bottom-up-Ansatz“ vorgegangen werden.

Fazit

Künstliche Intelligenz im Betrieb erfordert im Vergleich zu den bereits bekannten und beschleunigten Digitalisierungsprozessen die Einbindung der Beschäftigten und der Betriebsratskörperschaften in weit größerem Ausmaß sowie einen umfassenden Bottom-up-Ansatz mit Fokus auf die Nachvollziehbarkeit der Anwendungen und die Auswirkungen auf die Arbeitsrealität. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist organisatorisch, menschlich und wirtschaftlich sinnvoll. In Anbetracht dieser Prämisse sollten außerdem bestimmte Anwendungen gar nicht zugelassen werden. Konkrete Beispiele, wie Anwendungen künstlicher Intelligenz im Betrieb (nicht) funktionieren, folgen morgen auf dem A&W-Blog.

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