Was bedeutet eigentlich „Wahlfreiheit“? In der politischen Debatte ist der Begriff heiß umkämpft. Von konservativer Seite wird er immer wieder als Antipol zum Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung dargestellt. Befürchtet wird, dass dieser – in den Worten der Frauenministerin Raab – „Lebensmodelle vorgebe“ oder laut einem oberösterreichischen Klubobmann einen „direkten Weg in die Zwangsarbeit junger Mütter“ darstelle. Es ist an der Zeit, mit dem sozialromantischen Märchen einer konservativ geframten Wahlfreiheit aufzuräumen und stattdessen zu diskutieren, warum eine echte Wahlfreiheit nur durch einen Rechtsanspruch in der institutionellen Kinderbetreuung tatsächlich möglich ist.
Mit gutem Beispiel voran – aber jenseits jeglicher Lebensrealitäten
Allem voran ist klarzustellen, dass die „Wahlfreiheit“, erwerbstätig zu sein oder das Kind zu Hause zu betreuen, abhängig ist von den eigenen finanziellen Mitteln und dem Wohnort. In einem aktuellen Interview mit den „OÖN“ meint Ministerin Raab, sie selbst sei bereits nach drei Monaten wieder arbeiten gegangen, verstehe aber gut, wenn das nicht jede Mutter und jeder Vater möchte. Es ist nicht nachvollziehbar, wie von einer privilegierten Position als Ministerin, einer der Top-Verdienerinnen der Republik mit allen finanziellen und – im gut erschlossenen urbanen Raum – auch infrastrukturellen Möglichkeiten, Rückschlüsse auf den Rest der Bevölkerung gemacht werden. Die Lebensrealität der österreichischen Arbeitnehmerinnen ist, dass sie mit einem mittleren Monatseinkommen von 2.019 Euro brutto (2021, Voll- und Teilzeit ab der Geringfügigkeitsgrenze, 14-mal) auskommen müssen. Besonders zynisch ist dabei, dass sie allen Müttern unterstellt, sie wollten gerne und freiwillig zu Hause bleiben. Mit geringen Einkommensniveaus hat mensch aufgrund des Finanzierungsdrucks eben nicht die Wahl. Wenn kein Betreuungsplatz in der Wohnsitzgemeinde zur Verfügung steht und das Einkommen begrenzt ist, kann nicht so einfach auf kostenintensive Betreuungsalternativen wie Au-pairs oder Nannys ausgewichen werden. Dass Betreuungsplätze Mangelware sind, ist nicht nur aus den zahlreichen Beratungsgesprächen, die in der AK OÖ zu den Problemen rund um die institutionelle Kinderbildung und -betreuung durchgeführt werden, bekannt.
Kein Platz in der Krabbelstube? – Pech gehabt!
Verzweifelte Eltern bzw. Mütter, die keinen Krabbelstuben- oder Kindergartenplatz für ihr Kind bekommen, wenden sich häufig an die AK: Frauen, die nach der Kinderbetreuung wieder einsteigen und ein Rückkehrgespräch mit ihrem Arbeitgeber führen wollen, oder Frauen, die einen Kinderbetreuungsplatz benötigen, um die Verfügbarkeit für eine AMS-Meldung und somit auch den Bezug von Arbeitslosengeld zu erfüllen, Beschwerden über Öffnungszeiten, die nicht zu den flexiblen Arbeitszeiten der Eltern passen und vieles mehr! Der fehlende Rechtsanspruch macht es für Eltern zu einem „Glücksspiel“, ob sie – viele Eltern melden ihr Kind schon mit der Geburt in den Einrichtungen an – einen Betreuungsplatz ergattern können oder nicht. Die Familien werden zu Bittsteller:innen, die immer auch auf den guten Willen des bzw. der Bürgermeister:in ihrer Gemeinde angewiesen sind. Wer einen Platz braucht und ihn nicht bekommt, hat halt Pech und wird auf die langen Wartelisten verwiesen! Zusätzlich kommt erschwerend hinzu, dass die Variante des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes (KBG) jene Variante ist, die von den Eltern am häufigsten gewählt wird. In der längsten Variante kann, wenn beide Elternteile das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld beziehen, dieses für längstens 426 Tage bezogen werden (bzw. 365 Tage, wenn nur ein Elternteil das KBG bezieht). Vielerorts gibt es aber für kleine Kinder ab einem Jahr keinerlei Betreuungsangebote. Wo bleibt denn da die Wahlfreiheit?
Kaum vollzeittaugliche Betreuungsplätze
In Oberösterreich haben gerade einmal 5 Prozent der Unter Dreijährigen einen vollzeittauglichen Betreuungsplatz. Wer also gerne einer Vollzeitarbeit mit Kleinkind nachgehen will, deren/dessen „Wahlfreiheit“ ist vor diesem Hintergrund besonders beschränkt, ganz besonders in Oberösterreich. Im Bundesdurchschnitt haben nur 17,6 Prozent der Unter Dreijährigen einen Betreuungsplatz zur Verfügung, der sich auch mit einer Vollzeitstelle vereinbaren lässt („VIF-konform“; VIF = Vereinbarkeitsindikator für Beruf und Familie, VIF-Kriterien sind: mindestens 45 Stunden pro Woche [Montag bis Freitag] geöffnet, an mindestens 4 Tagen pro Woche mindestens 9,5 Stunden geöffnet, Angebot eines Mittagessens, maximal 5 Wochen im Jahr geschlossen) – mit großen regionalen Schwankungen. Ein Wiedereinstieg in Vollzeit ist vielerorts nahezu unmöglich, besonders in den schlecht erschlossenen ländlichen Gemeinden. Da wundert es kaum, dass in OÖ fast sechs von zehn Frauen in Teilzeit arbeiten. In Wien, wo 37,5 Prozent der Unter Dreijährigen VIF-tauglich betreut sind, ist auch die Teilzeitquote der Frauen wesentlich geringer mit 44,6 Prozent (2022).