Das Kinderbetreuungsgeld ist neben der Familienbeihilfe die wichtigste Unterstützungsleistung für Familien mit Kindern. Starre Formalismen im Gesetz und eine strenge Rechtsauslegung durch das zuständige Familienministerium stellen die Familien oft vor unüberwindbare Hürden.
Eine kleine Entstehungsgeschichte
In Österreich gab es seit den 1960er Jahren das Karenzgeld, um junge Mütter nach der Geburt ihrer Kinder zu unterstützen. Das Karenzgeld nach dem Karenzgeldgesetz war eine Versicherungsleistung und von einer Beschäftigung abhängig: Hausfrauen oder Studentinnen erhielten kein Karenzgeld. Diese Benachteiligung von Müttern ohne vorangehendes Arbeitsverhältnis erfuhr viel sozialpolitische Kritik, und mit 1. Jänner 2002 wurde schließlich das Karenzgeld durch das Kinderbetreuungsgeld ersetzt.
Das neue System, das den Empfänger:innenkreis nicht mehr einengen sollte, wurde von der damaligen Regierung Schüssel I mit dem Slogan „Karenzgeld für alle“ beworben.
Das Kinderbetreuungsgeld wurde zu einer Familienleistung, losgelöst von einer vorherigen Erwerbstätigkeit (außer in der später eingeführten Variante des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes). Mit 1. März 2017 wurde das Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) weiter flexibilisiert. Nun haben die Eltern die Wahl zwischen den zwei Hauptvarianten eines Pauschalbetrages mit Subvarianten und einer einkommensabhängigen Auszahlung.
Zuständigkeit
Bei der Kontrolle der Anspruchsvoraussetzungen des KBGG müssen sich die Krankenversicherungsträger an die gesetzlichen Vorgaben sowie an die Arbeitsanweisungen des Ministeriums für Arbeit, Familie und Jugend halten. Sie vollziehen das Kinderbetreuungsgeld im übertragenen Wirkungsbereich und sind weisungsgebunden. Es besteht daher wenig Entscheidungsspielraum und Gestaltungsfreiheit.
Die inhaltliche Zuständigkeit für die Leistungen nach dem KBGG liegt beim Familienministerium. Der Aufgabenbereich „Familie und Jugend“ ist derzeit im Bundeskanzleramt angesiedelt.
Das Kinderbetreuungsgeld wird aus dem in den Wirkungsbereich des Familienministeriums fallenden Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) finanziert und soll die finanziellen Belastungen der Familien mit Kindern ausgleichen. Von den im Jahr 2018 getätigten Auszahlungen des FLAF in Höhe von insgesamt 7,094 Mrd. Euro entfiel etwa ein Sechstel auf Leistungen nach dem KBGG (Rechnungshofbericht 2020).
Karenzgeld für alle?
Das Kinderbetreuungsgeldgesetz erfuhr seit seinem Inkrafttreten zahlreiche Ergänzungen und Änderungen. Die wenigen Paragrafen, die das Gesetz enthält, sollen nicht über die Komplexität dieser Materie hinwegtäuschen. Die starr formalistischen Anforderungen – wie strenge Fristen, Formalvoraussetzungen, behördliche Nachweise – stellen die Antragsteller:innen vor unübersichtliche Auflagen und beschäftigen die Gerichte auffallend häufig. In den Jahren 2019 und 2020 entfiel mehr als ein Drittel der Entscheidungen des für Sozialrechtssachen zuständigen 10. Senats des Obersten Gerichtshofes auf Streitigkeiten rund um die Gewährung oder Rückforderung des Kinderbetreuungsgeldes!
Beispiele aus der Praxis
- Mutter-Kind-Pass-Nachweise
Die Vornahme der zehn Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen – fünf Untersuchungen während der Schwangerschaft und fünf Untersuchungen des Kindes – sind ebenso Voraussetzung für den Bezug des Kinderbetreuungsgeldes in voller Höhe wie die rechtzeitige Vorlage der Untersuchungsnachweise beim zuständigen Krankenversicherungsträger. Widrigenfalls wird das Kinderbetreuungsgeld je Elternteil um 1.300 Euro reduziert. In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass trotz persönlicher Abgabe der Nachweise diese später bei der Krankenversicherung nicht mehr auffindbar sind und das Kinderbetreuungsgeld zurückgefordert wird. Eltern sind daher gut beraten, am Schalter – für einen späteren Beweis – immer eine Kopie mit Eingangsstempel zu verlangen oder gleich eine nachverfolgbare Versendungsart zu wählen.
- Lebensmittelpunkt in Österreich
Eine weitere Anspruchsvoraussetzung ist, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Antragsteller:innen in Österreich liegt. Der Lebensmittelpunkt wird oft bei Student:innen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit hinterfragt, selbst wenn sie bereits seit mehreren Jahren in Österreich leben, studieren und arbeiten. In der Praxis werden von den Betroffenen über die üblichen Nachweise – wie Bestätigung über den Familienhilfebezug, Meldezettel, Mutter-Kind-Pass – hinaus unzählige weitere Unterlagen, wie Kontobewegungen, Telefon- und Betriebskostenabrechnungen, Jahreskarten der Wiener Linien u.v.m., als Nachweise verlangt. Ignoriert werden dabei die Judikate der Höchstgerichte, wonach der Lebensmittelpunkt auch dann in Österreich liegen kann, wenn der Aufenthalt zu Studienzwecken zeitlich begrenzt ist (Oberster Gerichtshof, Verwaltungsgerichtshof).
- Gemeinsamer Haushalt und hauptwohnsitzliche Meldung
Mit der KBGG-Novelle 2009 wurde der gemeinsame Haushalt definiert. Diese Legaldefinition wurde seitdem zweimal ergänzt. Das Gesetz verlangt eine auf längere Zeit gerichtete Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit entsprechenden Hauptwohnsitzmeldungen des Elternteiles und des Kindes an derselben Adresse. Eine weitere Voraussetzung ist das tatsächliche Zusammenwohnen an dieser Adresse. In der Beratungspraxis kommt es immer wieder vor, dass die Eltern nach einer Übersiedlung der gesamten Familie übersehen, das Kind an der alten Wohnadresse ab- und an der neuen Wohnadresse anzumelden. Sie bemerken die fehlende Ummeldung oft erst nach Wochen oder Monaten, wenn das Kinderbetreuungsgeld aufgrund fehlender gemeinsamer hauptwohnsitzlicher Meldung zurückgefordert wird. Selbst wenn es nach allen Regeln der Vernunft klar ist, dass bei einer Umsiedlung der Familie ein Säugling nicht allein zurückgelassen wird, gibt es keine Kulanzlösung und das Kinderbetreuungsgeld geht trotz gemeinsamen Haushaltes verloren.
- Karenz zum Schein
In Österreich sind mittlerweile viele Tages- oder Wochenpendler:innen aus den EU-Nachbarländern in diversen systemrelevanten Branchen – wie Pflege, Handel, aber auch Tourismus und Gastronomie – tätig. Ihre Relevanz, beispielsweise in der 24-Stunden-Betreuung, wurde besonders in der Corona-Pandemie sichtbar, als die Grenzen unpassierbar waren und viele zu betreuende Personen in Österreich ohne Unterstützung blieben.
Nach der Scheinkarenz-Regelung im KBGG müssen Unionsbürger:innen, die in Österreich als Grenzgänger:innen arbeiten, spätestens nach Ende der gesetzlichen Karenz mit dem vollendeten 2. Lebensjahr des Kindes die Arbeit wieder antreten. Kann das Dienstverhältnis aus irgendeinem Grund – wie beispielsweise fehlenden Betreuungsmöglichkeiten für das Kind, schwerer angeborener Erkrankung des Kindes oder einer Kündigung bzw. Insolvenz der Firma in Österreich – nicht wieder aufgenommen werden, wird sehr häufig eine sogenannte Scheinkarenz angenommen und das Kinderbetreuungsgeld zurückgefordert. Eine Scheinkarenz bedeutet, dass eine Person mit ihrem Arbeitgeber eine Karenz lediglich zum Schein – ohne Rückkehrabsicht – vereinbart, wobei tatsächlich die Beendigung des Dienstverhältnisses gewollt ist. In der Praxis wird die Lebensrealität der Betroffenen oft unberücksichtigt gelassen und das Kinderbetreuungsgeld entweder gar nicht gewährt oder zurückgefordert. Durch die Prüfung der konkreten Situation der Antragsteller:innen bereits im Verwaltungsweg könnten aufwendige Gerichtsverfahren erspart bleiben.
- Krisenpflegeeltern
Die Krisenpflegeelternschaft sieht – im Gegensatz zu Heimen – die Pflege und Betreuung im familiären Umfeld vor und ist eine wichtige Institution beim Schutz der Kinder vor psychischer oder physischer Gewalt in Akutsituationen. Krisenpflegeeltern übernehmen für einen Zeitraum – bis das Kind in die Herkunftsfamilie zurückkehren kann oder in einer Dauerpflegefamilie untergebracht wird – die Elternschaft. Sie integrieren das Kind in ihrer eigenen familiären Struktur und bieten den Kindern sofortigen Schutz. Sie sind stabile, konstante Betreuungspersonen rund um die Uhr.
Nach der Stammfassung des KBGG gehörten Pflegeeltern zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen. In der Praxis wurde von den Krankenversicherungsträgern immer wieder infrage gestellt, ob Krisenpflegepersonen vom Gesetz überhaupt miterfasst sind sowie ob bei Krisenpflege eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft vorliegen kann. Der Oberste Gerichtshof sprach Krisenpflegepersonen ab dem ersten Tag der Pflege das Kinderbetreuungsgeld zu.
Mit der Novelle BGBl I Nr. 24/2019 (mit 1.7.2018 rückwirkend in Kraft getreten) reagierte der Gesetzgeber auf die Judikatur und normierte Krisenpflegepersonen explizit als anspruchsberechtigte Personen, gleichzeitig knüpfte er ihren Anspruch jedoch an die Voraussetzung einer Mindestbetreuungsdauer von 91 Tagen. Somit wurden Krisenpflegeeltern zwar vom Gesetz miterfasst, das Kinderbetreuungsgeld für kürzere Betreuungszeiten können sie dennoch nicht beziehen.
- Säumnisfälle
Besteht ein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, werden die Antragsteller:innen mit einer Mitteilung informiert. Eine Verpflichtung der Krankenversicherungsträger zur Bescheidausstellung besteht dann, wenn der Anspruch abgelehnt oder nur teilweise zuerkannt wird. Der Bescheid ist besonders wichtig, da erst dieser eine Überprüfung der Entscheidung der Krankenversicherungsträger in einem Sozialgerichtsverfahren (Wien: Arbeits- und Sozialgericht) ermöglicht. Das Verfahren ist für die Betroffenen kostenfrei. Die Bescheiderlassungsfrist beträgt sechs Monate, danach ist eine Säumnisklage möglich, wenn sämtliche Vorfragen geklärt sind und eine sogenannte „Entscheidungsreife“ besteht. Die vom Gesetz vorgesehene Entscheidungsreife darf dabei jedoch die Verpflichtung zu einer bescheidmäßigen Erledigung nicht hinauszögern. Doch genau dazu kommt es in der Praxis in zahlreichen Fällen.
Eine Aufschiebung der Entscheidung durch die Krankenversicherungsträger hat für die Antragsteller:innen neben finanziellen Konsequenzen auch einen Verlust des Krankenversicherungsschutzes zur Folge. Besonders existenzbedrohend ist diese Situation für Alleinerzieherinnen und ihre Kinder, die keine Möglichkeit auf Mitversicherung haben (Volksanwaltschaft 2020, 2021).
Der Rechnungshof hat die überlange Erledigungsdauer bei der Abwicklung des Kinderbetreuungsgeldes in seinem Bericht kritisiert. Im Familienministerium wurden eine durchschnittliche Erledigungsdauer von 28 Tagen und keine Wartezeiten angenommen, die durchschnittliche Erledigungsdauer in den vom Rechnungshof untersuchten Fällen war dagegen bei 45 Tagen im Inland und bei 211 Tagen in grenzüberschreitenden Fällen (Rechnungshofbericht 2020).
Gleichstellungspolitische Ziele verfehlt
Neben dem Ziel der finanziellen Unterstützung von Familien wollte die Gesetzgebung positive Impulse auf die Erwerbstätigkeit von Frauen setzen und eine partnerschaftliche Beteiligung von Männern an der Kinderbetreuung erreichen (620 BlgNR 21,GP).
Diese Ziele wurden bisher verfehlt. Derzeit entfallen nur 4,5 Prozent der genehmigten Anspruchstage für Kinderbetreuungsgeld auf Väter. Dieser Wert stagniert seit 2009. Der Rechnungshof hält in seinem Bericht fest, dass durch das Kinderbetreuungsgeld keine gleichmäßigere Aufteilung der Betreuungspflichten erzielt wurde.
Ein bundesweiter Ausbau von wohnortnahen Kinderbetreuungseinrichtungen mit ganztägigen Öffnungszeiten – auch für unter dreijährige Kinder – und die Erhöhung des Kinderbetreuungsgeldes würden weitere Anreize für eine partnerschaftliche Teilung der Kinderbetreuung schaffen.
Fazit
Die Leistungen nach dem KBGG sollen auf eine teilweise Abgeltung der Betreuungskosten der Kleinkindphase für alle Eltern unabhängig von einer vorangegangenen Erwerbstätigkeit abzielen. Daneben sollte durch die Möglichkeit eines Zuverdienstes die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf angestrebt werden. Das Kinderbetreuungsgeld kann aber seiner Funktion als Unterstützungsleistung für Familien mit Kleinkindern nur dann entsprechen, wenn es zeitnah und tatsächlich gewährt wird. Dazu sind aber die Abschaffung der bürokratischen Hürden im Gesetz sowie eine familienfreundliche Auslegung und Vollziehung erforderlich.