Institutionelle Kinderbetreuung in Wien: sozioökonomischer Status bestimmt Zugang zum Kindergartenplatz

04. November 2021

Das Personal in Wiener Kindergärten protestierte kürzlich gegen schlechte Rahmenbedingungen. In den elementaren Bildungseinrichtungen fehlt es an ausgebildeten Elementarpädagog:innen und Unterstützungspersonal, Vorbereitungszeiten sind zu kurz oder nicht vorhanden und die Gruppengrößen zu groß – um nur einige der vorgebrachten Mängel zu nennen. Dass es schwierig ist, mit der gegebenen Ressourcenausstattung auszukommen, um die Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit zu leisten, zeigen auch Befunde zur Zugänglichkeit zu institutioneller Kinderbetreuung in Wien.

Höhere Zugänglichkeit für Kinder aus reicheren Wohnvierteln

Kindern, die in einem „reicheren“ Wohnviertel in Wien aufwachsen, stehen mehr Kindergartenplätze zur Verfügung als Kindern, die in einem „ärmeren“ Wohnviertel aufwachsen. Das bedeutet, dass pro Kind unter sechs Jahren in Gegenden mit höherem durchschnittlichem Einkommen, Bildungsniveau oder Wohnungspreisen mehr Plätze in Kinderkrippen oder Kindergärten zur Verfügung stehen als in solchen mit sozioökonomisch geringerem Status. Salopp ausgedrückt haben es Kinder in Mariahilf daher bedeutend leichter, einen adäquaten Kindergartenplatz zu finden, als jene in Simmering.

Die Zugänglichkeit zu Kinderbetreuung ist nicht nur deshalb ein wichtiges Maß, da die räumliche Nähe von Kinderbetreuungseinrichtungen wesentlich für deren Inanspruchnahme ist. Das ausreichende Angebot an verfügbaren Plätzen gilt auch als eines der wichtigsten Kriterien dafür, dass Eltern, unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund, Kinderbetreuung in Anspruch nehmen. Das liegt unter anderem daran, dass bei Platzmangel Eltern mit höherem sozioökonomischem Status aus verschiedenen Gründen (u. a. Wissensvorsprung) bessere Chancen haben, einen Platz zu erhalten. Dass der Besuch elementarpädagogischer Einrichtungen zahlreiche positive Effekte auf die soziale und kognitive Entwicklung von Kindern hat und daher jedenfalls Kinder mit weniger guten Startchancen erreichen soll, ist umfassend belegt.

Ungleichheit entsteht durch kleine private Betreiber

In einem aktuellen Forschungsprojekt an der Wirtschaftsuniversität Wien haben wir den ungleichen Zugang zu Kinderbetreuung nun genauer analysiert und uns mit der Frage beschäftigt, wieso viele Kindergärten und Kinderkrippen vorzugsweise in reicheren Gegenden Kinderbetreuung anbieten. Es sind insbesondere Einrichtungen von vornehmlich kleineren privaten Betreibern, die sich vor allem in den Wohnvierteln mit hohem sozioökonomischem Status ansiedeln und damit ungleichheitsschaffend sind. Auch eine zweite Gruppe an privaten Betreibern, nämlich kirchliche Einrichtungen (konkret katholische und evangelische Kindergärten), weisen eine leicht höhere Zugänglichkeit in Wohnvierteln mit höherem sozioökonomischem Status auf – und tragen so ebenfalls leicht zur insgesamt ungleichen Zugänglichkeit bei.

Für die beiden großen privaten Betreiber in Wien, nämlich die Kinderfreunde sowie Kinder in Wien (KIWI), zeigt sich dagegen, dass sie relativ gleichmäßig im städtischen Raum verteilt sind. Im Unterschied dazu weisen öffentliche Einrichtungen, also von der Stadt Wien betriebene Kindergärten und Kinderkrippen, sogar eine höhere Zugänglichkeit in Wohnvierteln mit niedrigem sozioökonomischem Status auf. Sie wirken dadurch zwar ausgleichend, da sie aber nur rund ein Drittel aller Plätze in Wien anbieten, können sie die von privaten Betreibern verursachte ungleiche Zugänglichkeit nicht beseitigen.

Warum ist das so: Preisgestaltung über den Markt und Nutzung der Geld- und Zeitressourcen der Eltern

Warum siedeln sich die kleinen Betreiber vor allem in sozioökonomisch reicheren Gegenden an? Anhand von Daten zu Standort-, Preis- und weiteren Strukturmerkmalen von Kindergärten in Wien (N = 2.114) sowie von Daten zu Nachfrageindikatoren (vor allem die Anzahl der Kinder unter sechs Jahren auf einer lokalen Ebene von 250 x 250 Metern) kann gezeigt werden, dass private Anbieter sehr unterschiedliche Verhaltensmuster bezüglich ihrer Standortwahl haben.

Das trifft – wenig überraschend – vor allem auf die Preisgestaltung zu. Die monatlichen Kosten für Eltern sind bei den kleinen privaten Betreibern absolut am höchsten und liegen bei durchschnittlich 166 Euro, während sie bei städtischen Betreibern bei 68 Euro liegen (monatliche Kosten umfassen Ergänzungsbeiträge, Essensbeiträge und andere Kosten, nicht aber einmalige Aufnahmegebühren oder Kautionen). Spannend ist aber auch der Zusammenhang zwischen diesen Kosten und dem Bezirkseinkommen. So gibt es in öffentlichen Kindergärten keine Preisvariation zwischen den Wohngegenden, und in den Kindergärten der Kinderfreunde und von KIWI ist diese Preisvariation nur sehr gering. Für kirchliche Kindergärten hingegen zeigt sich ein relativ heterogenes Bild, was die monatlichen Kosten je Wohngegend betrifft. Der durchschnittliche Preis pro Bezirk der „sonstigen Betreiber“ steht dagegen in einem stark positiven Zusammenhang mit dem durchschnittlichen Bezirkseinkommen. Während also öffentliche Einrichtungen eine finanziell niederschwellige Versorgung anbieten, wachsen die finanziellen Zugangsschwellen bei Einrichtungen kleiner privater Betreiber mit der Höhe der Einkommen der Wohngegend.

Institutionelle Kinderbetreuungskosten und Bezirkseinkommen (Wien, nach Betreibern)

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Es zeigt sich aber auch, dass die privaten Betreiber nicht nur Geld, sondern auch Zeitressourcen von Eltern verlangen. Ausschließlich bei Einrichtungen der Kategorie „sonstige Betreiber“ ist teilweise Mitarbeit durch die Eltern erforderlich, und diese kann bis zu 32 Stunden pro Monat umfassen, beispielsweise für Koch-, Putz- oder Betreuungsdienste. Auch hier finden wir einen positiven Zusammenhang zwischen dem geforderten elterlichen Zeitaufwand und dem Bezirkseinkommen.

Paradoxerweise wird zudem deutlich, dass jene Betreiber, die am teuersten sind, bei mehreren Strukturqualitätsmerkmalen vergleichsweise schlecht abschneiden: Sie haben die kürzesten durchschnittlichen Öffnungszeiten pro Woche und im Durchschnitt die meisten Schließtage pro Jahr. Auch das muss man sich als Elternteil leisten können.

Ansatzpunkte für eine egalitärere Zugänglichkeit

Um zu identifizieren, wie eine egalitärere Zugänglichkeit zu Kindergärten und Kindergruppen erreicht werden kann, ist es erforderlich, die hinter der Standortwahl liegenden Ursachen besser zu verstehen. Die vorliegenden Daten zeigen, dass sich die Standortwahl der kleinen privaten Betreiber in den ökonomisch reicheren Bezirken daraus erklären lässt, dass sie dort auf Eltern treffen, von denen sie einerseits höhere Geldbeiträge verlangen können. Andererseits können es sich diese Eltern – größtenteils sind es Mütter – aber auch „leisten“, einen Teil ihrer Freizeit in die Betreuung als Mithilfe zu investieren.

Es sind also Geld- und Zeitressourcen, die es braucht, um Kinderbetreuung anzubieten. Das deckt sich mit den Forderungen der Elementarpädagog:innen in den aktuellen Auseinandersetzungen. Es stellt sich daher die Frage, wer diese Ressourcen zur Verfügung stellen kann und soll: die Eltern oder der Staat? Wenn man nur dann private Kindergärten und Kinderkrippen betreiben kann, wenn auf Zeit- und Geldressourcen der Eltern zurückgegriffen werden kann, so geht das offensichtlich nicht in allen Wohngegenden gleich gut.

Ein Ansatzpunkt für eine mögliche Steuerung zum Abbau bestehender Ungleichheiten im räumlichen Angebot von Kinderbetreuung wäre, in Wohngegenden, in denen Eltern diese Ressourcen nicht aufbringen können, öffentlich mehr Unterstützung zu gewähren. Zudem ist zu überlegen, ob Kinderbetreuungseinrichtungen in manchen Wohngegenden auch aufgrund unterschiedlicher Herausforderungen absolut gesehen mehr Ressourcen benötigen. Vor allem in jenen Gegenden, wo Eltern nicht genügend Zeit- und Geldressourcen für eine qualitativ gute Betreuung ihrer Kinder aufbringen können, ist es nicht nur sozial, sondern auch ökonomisch sinnvoll, dass der Staat mehr Mittel für eine hochqualitative, personell gut ausgetattete Kinderbetreuung aufbringt. Vorausgesetzt, man möchte Kindern unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund gleichen Zugang zu institutioneller Kinderbetreuung und Bildungschancen bieten.

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