Einkaufen, Essenszubereitung, Nahrungsmittelversorgung, Reinigung, Reparatur, Transportdienste, Texte und Übersetzungen, Nachhilfe, Grafikdesign, Fitness, Dating, Betreuung von Kindern, Kranken und Alten, medizinische Untersuchungen und Therapien, Teilen von Autos oder Wohnungen – all diese Tätigkeiten werden als Dienstleistungen über Internetplattformen abgewickelt, bezahlt und digital oder vor Ort erbracht. Die Fairwork-Studie leistet Pionierarbeit zum Thema: Erstmals wurden die Arbeitsbedingungen bei sechs Dienstleistungsplattformen erhoben und verglichen. Damit eröffnet sich ein neuer Blick auf Arbeit und Wirtschaft im digitalen Wandel. Denn nicht nur Organisation und Gestaltung unseres Alltags haben sich verändert, sondern auch Arbeitsbeziehungen und -bedingungen.
Arbeit und Wirtschaft im digitalen Wandel
Die große Bedeutung dieser neuen Formen von Arbeits- und Lebensorganisation zeigen die Wachstumsraten der Digitalwirtschaft auf der einen, die boomende Abonnement- und Absatzentwicklung auf Patreon, OnlyFans, Etsy usw. auf der anderen Seite. Die Angebote der international agierenden Arbeits- und Dienstleistungsplattformen, wie Delivery Hero, Just Eat Takeaway, aber auch von Uber, Bolt, Care.com & Co. sind durch die Corona-Pandemie noch bedeutsamer geworden. Plattformen machen das Leben vieler Menschen leichter, indem sie Dinge kostengünstig, rasch und unkompliziert zugänglich machen. Und sie ermöglichen für viele Menschen alternative Möglichkeiten zur materiellen Existenzsicherung. Die Plattformlogik befördert bisweilen jedoch auch wettbewerbsfeindliche Wachstumsmodelle und prekäre Arbeitsformen.
Die Macht von Plattformen
Die Umsätze der europäischen Arbeits- und Dienstleistungsplattformwirtschaft sind zwischen 2016 und 2020 von 3 Milliarden auf mehr als 14 Milliarden Euro gewachsen. Und allein Delivery Hero (ehemals „mjam“, nun wieder „Foodora“) und Just Eat Takeaway („Lieferando“) konnten, obgleich sie aufgrund ihrer radikalen Geschäftsstrategie (bestehend aus strategischen Übernahmen, Einzug von Markteintrittsbarrieren und Expansion) nach wie vor operative Verluste schreiben, ihre Umsätze in den letzten Jahren vervielfachen. Kritisch anzumerken ist, dass viele Plattformkonzerne – private Akteure – mittlerweile so viel (Daten-)Macht erlangt haben, dass sie eine marktbeherrschende, monopolartige Stellung innehaben: Man spricht davon, dass sie nicht auf Märkten agieren, sondern diese besitzen. Sie erlassen ihre eigenen Richtlinien, setzen ihre Betriebssysteme als Standards durch, um technische Neuerungen entweder zu verhindern oder zu steuern, haben also eine erhebliche ökonomische Macht. Vom Kartell- und Wettbewerbsrecht sind sie dennoch aufgrund des Problems der schwierigen Marktabgrenzung der digitalen Wirtschaft (noch) nicht adäquat erfasst.
Hinter diesem Erfolg von Plattformen steht aber nach wie vor der Einsatz menschlicher Arbeitskraft – diese Tatsache wird jedoch selten thematisiert. Die Arbeit dahinter kann, so das dominante Narrativ, flexibel gestaltet und von der Lage und dem Volumen her an die Bedürfnisse der Plattformbeschäftigten angepasst werden. Jene, die via Plattformen tätig sind, zum Beispiel Datenbanken bereinigen und ordnen, Übersetzungsleistungen oder kreative Dienste erbringen, Reinigungsaufträge zugeteilt bekommen oder Pakete, Grundnahrungsmittel oder frisch Gekochtes zustellen sowie Personen durch die Stadt fahren, leisten ihre Arbeit oftmals unter rechtlich unklaren und sozial unsicheren Umständen sowie oft unter extremem Zeitdruck. Arbeit unterliegt durch die Plattformvermittlung heute teils stark veränderten Rahmenbedingungen – die Rider, die auf das zubereitete Essen warten, müssen sich für die Abarbeitung ihres Auftrages auf eine möglichst effiziente und schnelle Zubereitung von Speisen in einem vordefinierten Zeitraum verlassen. Das verändert auch die Abläufe in den Gastronomieküchen und damit auch die dortigen Arbeitsbedingungen.
(Un)gute Arbeit in der Plattformwirtschaft?
Arbeit, die über Plattformen abgewickelt wird, nimmt zu. So waren nach Angaben der Europäischen Kommission im Jahr 2021 bereits rund 28 Millionen Menschen über Online-Plattformen beschäftigt, bis 2025 sollen es schon rund 43 Millionen Personen sein. Städte und Kommunen haben ein großes Interesse an guten Arbeitsbedingungen und fairer, angemessener Entlohnung. Schließlich sind sie die notwendige Voraussetzung für ein abgesichertes Leben und ermöglichen Menschen Teilhabe. Damit wird auch die Notwendigkeit einkommensstützender Leistungen in Grenzen gehalten, die sonst eine Mehrausgabe für öffentliche Budgets darstellen. Die Stadt Wien setzt sich daher für die Etablierung von Guter Arbeit am Wirtschaftsstandort Wien ein. Neben einem existenzsichernden Einkommen zielt Gute Arbeit auf eine hohe Beschäftigungsqualität, z. B. im Sinne von Gesundheitsschutz und familienfreundlicher Arbeitsorganisation, ab. Das Anliegen der Etablierung Guter Arbeit trifft ebenso auf die Plattformwirtschaft zu, die ein vornehmlich urbanes bzw. metropolenbezogenes Phänomen darstellt.
Aus sozial-, wirtschafts- und kommunalpolitischer Sicht zeigen sich jedenfalls die Schattenseiten der Marktmacht von Plattformkonzernen. Die Grauzonen zwischen rechtlich abhängiger und selbstständiger Beschäftigung sind stark gewachsen. Damit fällt eine immer größere Gruppe von wirtschaftlich abhängigen Erwerbstätigen aus dem Geltungsbereich des Arbeitsrechts. Gewerkschaften äußern schon seit Jahren massive Bedenken hinsichtlich der Umgehung des Sozialschutzes, der Steuergesetze und vor allem von Mindestentgeltbestimmungen und Kollektivverträgen. Es darf also wenig überraschen, dass in dem Bereich sehr niedrige Entgelte bezahlt werden. Mehrere Studien der Europäischen Kommission zeigen, dass über die Hälfte der über Plattformen arbeitenden Menschen weniger verdienen als den Mindeststundenlohn, der in dem Land, in dem sie tätig sind, gilt. Zudem verbringen Beschäftigte von Plattformen rund 8,9 Stunden pro Woche mit unbezahlten Aufgaben.
Plattformen gehen ohne individuelle Prüfung davon aus, dass es sich bei den von ihnen „Beauftragten“ um Selbstständige (oder freie Dienstnehmer:innen) handelt. Zwar sind sie häufig bei korrekter rechtlicher Prüfung als Arbeitnehmer:innen einzuordnen. Die oft persönlich prekäre und/oder grenzüberschreitende Dimension macht eine Rechtsdurchsetzung im Einzelfall jedoch schwierig. Gerade bei Botenfahrten, Zustelldiensten oder in der Personenbeförderung waren in der Vergangenheit immer wieder Konstruktionen zu beobachten, die zum Ziel hatten, den Arbeitgeberstatus von Plattformen zu umgehen, wie eine ganze Reihe von höchstgerichtlichen Entscheidungen der letzten Jahre zeigt.
Soziale Regulierung von Plattformen?
Seit Jahren haben NGOs, Arbeitnehmer:innen-Vertretungen, gewerkschaftliche und selbst organisierte Initiativen diese Entwicklungen benannt, kritisiert und mehr Rechts- und Sozialschutz eingefordert. Die Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen hat darauf reagiert, ein Legislativvorhaben angekündigt und nach den EU-Sozialpartnerverhandlungen im Dezember 2021 einen Richtlinienentwurf zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit vorgelegt. Er widmet sich drei Regulierungsbereichen: der Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit, der Schaffung von mehr Transparenz und Fairness sowie der Einführung von umfassenden Informationspflichten; und erweist sich als problembezogener und durchaus origineller, interessenausgleichender Policy-Ansatz. Im Zentrum steht eine Bestimmung, die eine sogenannte „widerlegliche Vermutung“ zugunsten eines Arbeitsverhältnisses festlegt. Dabei wird gesetzlich davon ausgegangen, dass ein Arbeitsverhältnis der Plattformbeschäftigten besteht, wenn bestimmte Leistungskontrollkriterien vorliegen; es sei denn, die Plattform beweist das Gegenteil. So soll Scheinselbstständigkeit unabhängig vom Einzelfall wirksam bekämpft werden.
Der Richtlinienentwurf hat das Potenzial, über die Plattformarbeit hinaus auf das allgemeine europäische Arbeitsrecht und die Beschäftigungsqualität in der digitalen Sphäre auszustrahlen. Er könnte mittelbar auch die angebotsseitige Übermacht der Plattformkonzerne eindämmen und so zu fairen Arbeitsbedingungen und fairem Wettbewerb beitragen. Nun müssen die nationalen Staats- und Regierungschef:innen im Europäischen Rat erst einmal davon überzeugt werden, diese für die Verbesserung von Arbeits- und Lebensbedingungen von Plattformbeschäftigten dringend notwendige Richtlinie überhaupt zu verabschieden. Eine solche soziale Regulierung von Dienstleistungen digitaler Plattformen und der damit verbundenen Arbeitsleistungen wäre aus sozial- und wirtschaftspolitischer wie auch aus kommunalpolitischer Sicht dringend geboten. Ein leitendes Prinzip dafür sollte sein, dass der Wohlstand, den Plattformen generieren, allen Involvierten zugutekommt, insbesondere denen, die wirtschaftlich und damit existenziell von diesen Arbeiten abhängig sind.
Am 25. Mai 2023 veranstalten die Stadt Wien und die AK Wien gemeinsam den „Tag der Plattformarbeit – Perspektiven aus Forschung und Interessenpolitik“. Die dabei vorgestellten Projekte tragen nicht nur zu einer soliden empirischen Grundlage bei, sondern liefern auch konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Plattformarbeiter:innen aus den unterschiedlichsten Bereichen (Reinigung & Sorge-Tätigkeiten, Logistik & E-Commerce, Personenbeförderung, Cloud– & Clickwork, Essenszustellung). Einen niederschwelligen Überblick über die aktuellen Forschungsergebnisse aus Österreich verschafft die Tagungspublikation.
Eine Anmeldung zur Veranstaltung ist für Kurzentschlossene unter diesem Link noch möglich.