Die Dekarbonisierung des österreichischen Gebäudesektors ist essenziell, um die nationalen bzw. europäischen Klimaziele zu erreichen. Abseits von fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen (Stichwort „Erneuerbare-Wärme-Gesetz“), Materialknappheiten und fehlenden Finanzierungsmodellen stellt der bereits bestehende hohe Arbeits- und Fachkräftebedarf in der Bauwirtschaft ein zentrales Hindernis dar. Insbesondere die dringend notwendige Ausweitung der Sanierungsrate von Bestandsgebäuden sowie der Ausbau von erneuerbaren Energieträgern im Gebäudebereich führen zu einer höheren Arbeitsnachfrage – vor allem im mittleren Qualifikationsniveau. Aus diesem Grund sind mehr Mittel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik mit Fokus auf Qualifizierungen in diesem Bereich und vor allem auch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen dringend notwendig, um das Arbeitskräfteangebot entsprechend auszuweiten.
Die Gebäudedekarbonisierung schafft Arbeitsplätze über und über
Der österreichische Gebäudesektor war 1993 noch für 17,8 Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen (THG) verantwortlich. Durch höhere Energiestandards im Neubau, Sanierungen von Bestandsgebäuden und den Ausbau von Erneuerbaren sank dieser Wert bis 2022 auf 10,6 Prozent. Zwar ist diese Entwicklung erfreulich, trotzdem erfordern die Klimaziele der Europäischen Union (EU) und der österreichischen Bundesregierung in den nächsten drei Jahrzehnten weitreichendere Anstrengungen als die bisher getätigten.
Aus technischer Sicht stellt die Reduzierung von THG-Emissionen im Gebäudesektor keine große Herausforderung dar. Neben höheren Energiestandards im Neubau sowie dem Aufbau von Märkten für CO2-neutrale Baustoffe gilt es vor allem, thermisch-energetische Sanierungen von Bestandsgebäuden weiter voranzutreiben. Besonders die letztgenannte Maßnahme ist essenziell, da Gebäude mit einem schlechten Energieausweis für das Gros der THG-Emissionen in diesem Sektor verantwortlich sind. Im Regierungsprogramm 2020–2024 schrieb die ÖVP-Grüne-Koalition auf Bundesebene eine jährliche Sanierungsrate von 3 Prozent des österreichischen Wohnungsbestandes fest. Allerdings liegt diese aktuell nur bei rund der Hälfte des gesetzten Ziels. Für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2040 ist daher eine deutliche Expansion der Sanierungsaktivitäten notwendig.
Diverse Studien kommen zu dem Schluss, dass eine Erhöhung der Sanierungsrate zahlreiche Arbeitsplätze schaffen wird. Beispielsweise argumentiert das European Academies Science Advisory Council (EASAC), dass eine Verdoppelung der gegenwärtigen Sanierungsrate eine fast 100-prozentige Steigerung der Arbeits- und Fachkräftenachfrage nach sich ziehen würde. Insbesondere Firmen der Bauwirtschaft werden aufgrund eines höheren Auftragsvolumens mehr Personen einstellen wollen.
Die österreichische Bauwirtschaft kämpft bereits heute damit, ihren Bedarf an Arbeits- und Fachkräften zu decken
Der hohe Bedarf an Arbeits- und Fachkräften ist kein neues Thema für die Bauwirtschaft. Allerdings erschwert dieser die Ausweitung der Produktionskapazitäten. Bereits 2018 stellte Tichy einen hohen Bedarf an Arbeits- und Fachkräften in der Bauwirtschaft fest, welcher bis heute anhält. Beispielsweise handelte es sich im Jahr 2023 bei 33 der 98 bundesweiten Mangelberufe um Professionen, welche der Bauwirtschaft zuzuordnen sind.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass eine Befragung unter rund 200 Expert:innen, durchgeführt im Frühjahr 2022, zu folgendem Ergebnis führte: 59 Prozent der Teilnehmer:innen stuften den Bedarf an Arbeits- und Fachkräften als großes Hindernis bei der Dekarbonisierung des Gebäudesektors ein. Damit schätzten mehr Personen diesen Faktor als großes Hindernis ein als den Mangel an Bauressourcen und Preissteigerungen (39 Prozent). Weiters sahen 43 Prozent der Befragten die Inflexibilität des Bildungssystems als großes Hindernis an. Folglich handelt es sich bei der Dekarbonisierung des österreichischen Gebäudesektors neben einer wohnrechtlichen, energiepolitischen und stadtplanerischen Herausforderung vor allem um eine arbeitsmarktpolitische.