In den letzten neun Jahren folgte in Europa eine Krise auf die andere: auf die Finanzkrise eine langanhaltende Wirtschafts- und Sozialkrise und darauf wiederum eine politische Krise. Doch obwohl die Beschäftigung zaghafte Anzeichen eines Wachstums zeigt, bleiben die Arbeitslosenzahlen auch weiterhin auf unannehmbar hohem und die Investitionen auf besorgniserregend niedrigem Niveau. Europa muss das Fundament für einen nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Weg in die Zukunft legen. In der neuen Ausgabe von Benchmarking Working Europe wird beurteilt, was mit dem derzeitigen wirtschaftspolitischen Kurs erreicht und was nicht erreicht wurde – und inwiefern Europa folglich für die Zukunft gerüstet ist.
Die vor uns liegenden Herausforderungen sind gewaltig. Zum einen ist es notwendig, den Klimawandel ernst zu nehmen und für die Transformation der europäischen Wirtschaft zu sorgen, um die auf der Klimakonferenz COP21 gemachten Zusagen erfüllen bzw. gar übertreffen zu können. Zum anderen besteht eine ebenso dringende Notwendigkeit, sich in Anbetracht der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft an der Debatte darüber zu beteiligen, wie man den enormen wirtschaftlichen und technologischen Veränderungen, die allesamt zwangsläufig tiefgreifende und schwerwiegende Folgen für das europäische Sozialmodell haben werden, nicht nur gerecht werden, sondern sie aktiv gestalten kann.
Die schwer wiegenden Probleme, die in früheren Ausgaben von Benchmarking Working Europe (siehe zB 2012 und 2014) angeführt wurden, haben sich nicht etwa in Luft aufgelöst. In allen vier Kapiteln wird eine eher negative Bilanz gezogen und in jedem werden Vorschläge für einige sinnvolle Änderungen an der Politik gemacht. Europa braucht immer noch höhere öffentliche und private Investitionen und das Wachstum wird in einigen Regionen Europas auch weiterhin von einer chronisch fehlenden Inlandsnachfrage gebremst.
Zwar wurden neue Initiativen wie der Europäische Investitionsplan und eine Reform des Europäischen Semesters aufgelegt, doch unter dem Strich zeigen sie nur minimale Wirkung. Als Ausgleich zu einer leichten Lockerung des zuvor straffen finanzpolitischen Kurses stehen strukturelle Reformen, die insbesondere auf Arbeitsrechtstandards abzielen, auch weiterhin hoch im Kurs. Vor diesem Hintergrund ist unter dem Strich kaum eine Wirkung der politischen Bestrebungen zur Förderung eines nachhaltigen Wachstums und zur Schaffung von Arbeitsplätzen wahrnehmbar.
Gefahr in Sicht, aber keine neue Politik
Die makroökonomischen Indikatoren weisen auf einen leichten Anstieg des BIP hin, das 2015 etwa 2 % über dem Vorkrisenstand lag. Unterdessen erlebten wir eine Neuausrichtung der Wirtschaft in Richtung Auslandsnachfrage, was Europa wirtschaftlich gesehen stärker von Entwicklungen in anderen Teilen der Welt abhängig macht. Dies bringt zwei Probleme mit sich: Erstens trägt vor allem die Eurozone mit ihrem hohen Leistungsbilanzüberschuss zu Ungleichheiten auf globaler Ebene bei, und zweitens könnte diese Neuausrichtung die Stabilisierung der EU-Wirtschaft gefährden in Anbetracht der Tatsache, dass sich das Wachstum in anderen Teilen der Welt gerade abschwächt.
Der finanzpolitische Kurs wurde zwar – begleitet von einer Warnung, dass Strukturreformen zu beschleunigen sind – von restriktiv auf neutral geändert, doch ist es unwahrscheinlich, dass diese Kursänderung der Wirtschaft wirklich den Anstoß geben wird, den sie so dringend benötigt. In der Praxis bedeutet dies, dass die Sparpolitik fortgesetzt wird, weshalb sich die Erfolge der zögerlichen Versuche zur Ankurbelung der Investitionstätigkeit und zur Anhebung dringend benötigter Forschungs- und Entwicklungsausgaben sehr in Grenzen halten.
In der Summe wird all dies dazu führen, dass der Grad an Investitionen weiterhin zu niedrig ist und deflationäre Trends bestehen bleiben. Wie in den Schlussfolgerungen des ersten Kapitels ausgeführt ist es deshalb grundlegend wichtig, diesen Trends entgegenzuwirken, wenn die EU die durch Klimawandel und Digitalisierung der Wirtschaft gestellten Herausforderungen nachhaltig bewältigen will.
Die soziale Krise ist nicht gelöst
Da das sich verdüsternde makroökonomische Gesamtbild die Rahmenbedingungen für die Arbeitsmärkte festlegt, erstaunt es nicht weiter, dass sich auch hier einige beunruhigende Trends abzeichnen. Die Arbeitslosigkeit ist weiterhin unannehmbar hoch und die Beschäftigung nahm nur sehr langsam zu. Befristete Arbeitsverhältnisse machen auch weiterhin einen steigenden Anteil an den neu geschaffenen Arbeitsplätzen aus, und Teilzeitarbeit konzentriert sich zunehmend auf GeringverdienerInnen.