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Die Umfrage ist dennoch ausgewogen genug, um ein paar interessante Resultate zu präsentieren. Einige Ergebnisse sind gerade auch unter dem Gesichtspunkt interessant, dass gut ausgebildete und sich größtenteils in Arbeit befindliche Menschen in der Umfrage überrepräsentiert sind.
Denn: 85 Prozent der Befragten sehen Arbeitslosigkeit generell als dringendes gesellschaftliches Problem an und 71 Prozent beobachten Arbeitslosigkeit in ihrer Region. Die Hälfte der Befragten waren tatsächlich schon selbst von Arbeitslosigkeit betroffen und 81 Prozent haben eine von Arbeitslosigkeit betroffene Person im Familien- oder Freundeskreis.
Nach den Gründen befragt, stimmten 81 Prozent tendenziell der These zu, dass es ein Ungleichgewicht zwischen Jobangebot und Nachfrage gebe und 76 Prozent empfanden Politiker:innen als zu wenig engagiert im Kampf gegen Arbeitslosigkeit. Der am dritthäufigsten genannte Grund ist besonders interessant, da er auf ein Problem hinweist, das von der Politik vergleichsweise einfach zu beheben wäre (und für das eine Jobgarantie ideale Werkzeuge liefern würde): Informelle oder im Ausland erworbene Kenntnisse werden häufig nicht anerkannt.
Dies liefert ein wichtiges Argument für eine europäische Jobgarantie. Ein oft genannter Vorbehalt ist nämlich die vermeintlich mangelnde Qualifikation der Arbeitsuchenden. Durch gezielte Aus-, Weiter- und Zusatzbildung können viele der o.g. Kenntnisse formalisiert und in einer Jobgarantie vertieft werden. Was privaten Akteur:innen zu riskant erscheint, wird dem öffentlichen Sektor hier zur Möglichkeit.
Andere häufig genannte Gründe scheinen ebenfalls durch eine Jobgarantie lösbar zu sein: inflexible Arbeitszeiten, die nicht vereinbar sind mit anderweitigen Verpflichtungen inner- und außerhalb der Familie und zu wenig Jobangebote in der Wohnregion.
Bei der Frage, in welchen Sektoren eine Jobgarantie ihrer Meinung nach am relevantesten sei, wählten die Befragten aus einer Liste mit sechs Jobkategorien: An erste Stelle steht die Arbeit im Care-Bereich (Kindererziehung, Sozialarbeit, Pflege, Integration von Menschen mit Behinderung und Migrant:innen), gefolgt von grünen (Umweltschutz, energetische Sanierung, nachhaltige Nahrungsversorgung) und blauen Jobs (Schutz von Gewässern) sowie Arbeit in der Gemeinschaft (Reparaturen und Pflege öffentlicher Infrastruktur).
Ergebnisse der „Haustürgespräche“ in Berlin Im Sommer 2022 sind Mitglieder unserer Initiative in den Straßen von Berlin unterwegs gewesen, um 37 Interviews mit Menschen zwischen 18 und 65 Jahren durchzuführen. Zusammen mit der Online-Umfrage ist dies für uns ein wichtiges Tool, um einen Einblick in die Erfahrungen im Arbeitsmarkt und politische Meinungen zum Thema Jobgarantie zu bekommen.
Der Wunsch nach einer „guten“ oder „fairen“ Bezahlung wurde in fast jedem Interview geäußert. Auf Nachfrage definierte eine Person dies mit der Möglichkeit, Urlaub zu machen und ein paar langfristige Konsumgüter zu erwerben, eine andere nannte die Möglichkeit, als alleinerziehende Mutter gut für die eigenen Kinder sorgen zu können.
Die Qualität des Arbeitsplatzes (kurze Pendelwege, interessante Aufgaben, Arbeitszeiten, die mit Kinderbetreuung vereinbar sind) scheint für viele der Befragten wichtig zu sein. Arbeit wurde als Möglichkeit und Bedürfnis genannt, um „am Leben und in der Gesellschaft“ teilzuhaben.
Das Konzept einer Jobgarantie war keinem:r der Befragten bekannt, sodass das Konzept jeweils kurz umrissen wurde: als EU-finanzierte öffentliche Initiative, um vom Staat garantierte und bezahlte Arbeitsplätze in Bereichen zu schaffen, die ungenügend ausgestattet sind. Mit besonderem Fokus auf die grüne Transformation und den Ausbau sozialer Infrastruktur (Bildung, Pflege, soziale Arbeit u.ä.).
Beinahe alle Interviewten hielten ein solches Programm für eine „gute“ oder „vernünftige“ Idee, bezweifelten aber auch die politische Umsetzbarkeit. Viele befürchten eine zu geringe Bezahlung oder eine unfaire Behandlung in einer Jobgarantie. Auch die Frage der nötigen Qualifikation wurde häufig gestellt: Wie sollen Mensch in kurzer Zeit für die infrage kommenden Tätigkeiten qualifiziert werden?
Schließlich spielt auch eine gewisse Angst vor staatlicher Willkür (Zwang zur Aufnahme einer Jobgarantie-Arbeit, plötzliche Versetzung zu einem anderen Arbeitsplatz) eine Rolle in den Antworten der Interviewten. Hier wurden die Begriffe „Selbstbestimmung“ und „Freiwilligkeit“ als wichtige Voraussetzungen genannt.
Fazit Wie schon weiter oben erwähnt: 86 Prozent der Teilnehmer:innen halten die Einführung einer öffentlich finanzierten Jobgarantie für sinnvoll. Eine Jobgarantie kann aber nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn sie sich von anderen „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“ unterscheidet. Die Befragten wünschen sich von einer Jobgarantie sinnvolle und fair bezahlte Tätigkeiten, die einen Nutzen für die Gesellschaft haben. Die Jobgarantie soll eine Alternative zu anderen Angeboten (wie zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen) sein und darf nicht den Charakter einer staatlichen Zwangsmaßnahme haben.
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44 Prozent der Befragten würden sich ein Jobgarantie-Programm auf EU-Niveau wünschen, aber nur 20 Prozent halten eine gesamteuropäische Umsetzung für realistisch.
Meine Mitstreiter:innen in der Initiative für eine europäische Jobgarantie und ich sehen unsere Aufgabe darin, durch Öffentlichkeitsarbeit und die Schaffung von europäischen Netzwerken eine europäische Jobgarantie in nicht allzu ferner Zukunft zu einer realistischen Option zu machen. Der Weg dahin beinhaltet auch das Schmieden von Allianzen mit weiteren gesellschaftlichen Akteuren wie z. B. Gewerkschaften, Sozialverbänden und der Klimagerechtigkeitsbewegung. Eine europäische Jobgarantie muss vor allem gesellschaftlich erkämpft werden, wenn sie ihre volle Wirkung entfalten soll.
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