Die Kommission von der Leyen hat am 4. März 2021 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Lohntransparenz präsentiert, wie im Vorfeld etwa vom Europäischen Gewerkschaftsbund gefordert. Der Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche oder gleichwertige Arbeit ist zwar Europäisches Verfassungsrecht, aber dennoch ein Prinzip ohne Praxis. Es braucht deshalb konkrete Regelungen für betriebliche Lohntransparenz, die wichtigste Voraussetzung für diskriminierungsfreie Lohnsysteme, sowie für eine effektive Rechtsdurchsetzung.
Warum die EU-Lohntransparenzrichtlinie richtig und notwendig ist
Zentrale gleichstellungspolitische Ziele der Kommission finden Eingang in den Richtlinienvorschlag: die Erhöhung der Transparenz der Lohnsysteme, die Befähigung der Beschäftigten, insbesondere Frauen, zur Durchsetzung ihres Rechts auf gleiches, also diskriminierungsfreies Entgelt durch eine Reihe verbindlicher Maßnahmen zur Lohntransparenz – und zwar vor, während und nach dem Arbeitsverhältnis. Der Richtlinie liegt die Überlegung zugrunde, dass mangelnde Lohntransparenz zur Verfestigung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles (in Österreich im Jahr 2021 auf der Grundlage des Bruttostundenverdienstes: 18,8 Prozent; im EU-Schnitt: 13 Prozent) wesentlich beiträgt.
Schon bisher ist in Österreich Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nach dem Gleichbehandlungsgesetz verboten, dennoch existiert sie in beachtlichem Ausmaß – vor allem in Hinblick auf die Entlohnung. Die notwendige Grundvoraussetzung, um wirksam dagegen vorgehen zu können, wenn eine Frau geringer entlohnt wird als die männlichen Kollegen in gleichen oder vergleichbaren Funktionen und Tätigkeitsfeldern, ist die Kenntnis darüber, dass dies überhaupt der Fall ist. Es geht also um Informationen, um Vergleiche anstellen und damit Unterschiede in der Bezahlung entweder sachlich nachvollziehen und rechtfertigen zu können oder aber als Geschlechterdiskriminierung bekämpfen zu können.
Nach der bisherigen Rechtslage war es vor den Arbeitsgerichten faktisch äußerst schwierig, glaubhaft zu machen, dass betroffene Arbeitnehmer:innen weniger verdienen als Vergleichspersonen. Daher ist der Zugang zu dieser Information essenziell und wird durch die Richtlinie in mehreren Hinsichten erleichtert:
- Unabhängig von der Anzahl der Mitarbeiter:innen sieht die Richtlinie das individuelle Recht vor, schriftliche Informationen über ihr Lohnniveau und das nach Geschlecht aufgeschlüsselte durchschnittliche Lohnniveau von Arbeitnehmer:innen zu erhalten, die die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten. In Österreich hat derzeit nur die Gleichbehandlungsanwaltschaft besondere Auskunftsrechte über die Entlohnung von Vergleichspersonen. Ein eigenständiger Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer:innen und der Arbeitnehmer:innen-Vertretungen, unabhängig von der Betriebsgröße, ist eine klare Verbesserung.
- Die niedrigere Schwelle von 100 Beschäftigten für die Pflicht, einen Einkommensbericht zu legen, die bisher in Österreich bei 150 Beschäftigten lag, ist eine wichtige Neuerung, um bei möglichst vielen Unternehmen ein Bewusstsein für mögliche geschlechtsspezifische Differenzen bei Löhnen und Gehältern zu schaffen. Der Arbeitgeber kann die Ergebnisse auf seiner Website veröffentlichen oder auf andere Weise öffentlich zugänglich machen, daneben ist allen Arbeitnehmer:innen und ihren Vertretungen Einsicht zu gewähren. Ein Einkommensbericht muss nach aktueller österreichischer Rechtslage auch nur alle zwei Jahre gelegt werden, das Potenzial des Instruments wird trotz Schwächen in der Praxis nicht hinreichend ausgeschöpft. Die Berichte nach dem EU-Recht müssen allerdings nur alle drei Jahre erstattet werden, jedoch gilt, dass aufgrund des in der Richtlinie vorgesehenen Verschlechterungsverbotes die Berichtspflicht alle zwei Jahre beibehalten werden muss. Aus Perspektive der Entdiskriminierung ist jedoch die folgende neue Regelung entscheidend: Hat der Arbeitgeber eine ungerechtfertigte geschlechtsspezifische Lohndifferenz von mindestens 5 Prozent nicht innerhalb von sechs Monaten behoben, ist eine gemeinsame Lohnfestsetzung in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmer:innen-Vertretungen vorzusehen. Mit dieser Verknüpfung von Transparenzvorgaben mit konkreten Maßnahmen zum Abbau von aufgedeckten, diskriminierenden Lohndifferenzen wird einer langjährigen Forderung der Arbeiterkammer entsprochen.
- Um diese Informationen zu bekommen, ist es wichtig, über Löhne zu reden, um individuell oder im Rahmen der betrieblichen Interessenvertretung auf Einkommensgerechtigkeit hinwirken zu können. Durch die neue Richtlinie muss ein Unternehmen über das Lohnniveau der betroffenen Person sowie das durchschnittliche Lohnniveau von vergleichbaren Arbeitnehmer:innen schriftlich informieren. Diese schriftliche Auskunftserteilung kann bei einer Entgeltdiskriminierung als geeigneter Beweis in einem Gerichtsverfahren verwendet werden. Ein Benachteiligungsverbot bei Inanspruchnahme der Rechte aus der Richtlinie soll garantieren, dass diese auch sanktionsfrei in Anspruch genommen werden können.
Darüber hinaus regelt die Lohntransparenzrichtlinie, dass die Verjährungsfrist von drei Jahren erst zu laufen beginnt, wenn ein:e Arbeitnehmer:in von der Verletzung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen. Die Hemmschwelle im aufrechten Arbeitsverhältnis gegen den Arbeitgeber vorzugehen, ist oft so hoch, dass viele Arbeitnehmer:innen erst nach Ende des Arbeitsverhältnisses klagen. Dadurch kommt es aufgrund der derzeit geltenden Verjährungsfrist von drei Jahren oft zu erheblichen Anspruchsverlusten. Die notwendige Anpassung des Beginns der Frist ist nicht nur positiv für die individuellen Ansprüche der Arbeitnehmer:innen, sondern kann auch generalpräventiv gegen Entgeltdiskriminierung wirken.
Mitwirkung der Arbeitnehmer:innen-Vertretung
Eine Einbindung der Gewerkschaften und Betriebsräte ist unumgänglich, um die Transparenz bestmöglich praktisch umzusetzen. An mehreren Stellen ist dies bereits in der Richtlinie der Fall. Beispielsweise kann nach der Richtlinie die Information zum Lohnniveau auch über Arbeitnehmervertreter:innen angefordert werden, um Anonymität zu wahren. Dies ist auch notwendig, denn manch ein Arbeitgeber wird auf die Anfrage einer einzelnen Arbeitnehmerin zum Lohnniveau womöglich mit Maßnahmen bis hin zur Kündigung reagieren, wenn damit zusammenhängende rechtliche Schritte befürchtet werden.
Bei der Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber muss dieser sicherstellen, dass die Sozialpartner einbezogen werden.
Datenschutzbedenken ausgeräumt
In den Erwägungen zur Richtlinie wurde festgehalten, dass die entsprechenden Informationen im Einklang mit der Datenschutzgrundverordnung zu verarbeiten sind. Die Einkommensberichte sind daher anonymisiert. Die zu erteilende Auskunft soll primär auf das durchschnittliche Lohnniveau von vergleichbaren Beschäftigten abzielen, wenngleich auch die Heranziehung von Vergleichspersonen geregelt wurde. Nach nationalem Recht besteht ferner bereits ein Einsichtsrecht des Betriebsrates in Lohndaten einzelner Arbeitnehmer:innen. Im Fall der Geltendmachung von Ansprüchen steht das Rechtsschutzinteresse einer diskriminierten Arbeitnehmerin bzw. eines diskriminierten Arbeitnehmers über dem Geheimhaltungsinteresse einer etwaigen Vergleichsperson. Datenschutzbedenken scheint dadurch ausreichend begegnet worden zu sein.
Die Mitgliedstaaten müssen nun darüber hinaus sicherstellen, dass Vertragsklauseln, die Arbeitnehmer:innen daran hindern, Löhne offenzulegen, verboten sind. Obwohl vertragliche Verschwiegenheitsklauseln in Österreich bereits – unter Umständen – als sittenwidrig qualifiziert werden können, ist das ausdrückliche Verbot dieser Klauseln laut Richtlinienvorschlag wichtig, um die Rechtssicherheit von Betroffenen zu erhöhen und eine vermutete Entgeltdiskriminierung weiterverfolgen zu können.
Gleiche oder gleichwertige Arbeit?
Bezüglich des Begriffs gleicher und gleichwertiger Arbeit regelt die Richtlinie, dass die Arbeitgeber über Lohnstrukturen verfügen müssen, die gleiche Entlohnung gewährleisten. Dazu müssen Analyseinstrumente zur Verfügung gestellt werden, um die Arbeitsbewertung zu unterstützen. Die Lohnstrukturen müssen es ermöglichen, anhand objektiver geschlechtsneutraler Kriterien zu beurteilen, ob sich der bzw. die Arbeitnehmer:in in einer vergleichbaren Situation befindet. Zu diesen objektiven Kriterien gehören:
- Fähigkeiten
- Anstrengungen
- Verantwortung
- Arbeitsbedingungen
- sowie alle anderen Faktoren, die für den jeweiligen Arbeitsplatz relevant sind
Die von der Arbeiterkammer schon länger geforderte Präzisierung des Begriffs „gleicher oder gleichwertiger Arbeit“ müsste auch in Österreich formuliert werden. Die Instrumente und Methoden zur Arbeitsbewertung sollten jedoch unbedingt unter Beteiligung der Sozialpartner entwickelt werden.
Hinsichtlich der Lohntransparenz vor der Einstellung, die für eine am Grundsatz der Lohngleichheit ausgerichtete Arbeitsbewertung wesentlich ist, sieht die Richtlinie im Übrigen vor, dass das Entgelt oder dessen Bandbreite inklusive der Nennung des anzuwendenden Kollektivvertrages auf der Grundlage objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien vom potenziellen Arbeitgeber in Stellenausschreibungen bekannt zu geben ist. Außerdem darf der Arbeitgeber Bewerber:innen nicht nach dem laufenden und früheren Entgelt fragen. Auch dies verbessert die aktuelle Rechtslage, nach der nicht mehr nur der kollektivvertragliche Mindestlohn und eine etwaige Bereitschaft zur Überzahlung bei Stellenausschreibungen auszuweisen ist, sondern hinkünftig auch eine Information über die Bandbreite des Entgelts gefordert werden könnte.
Wie geht es weiter?
Die EU-Lohntransparenzrichtlinie wurde am 21. Dezember 2022 vonseiten des Rates der Europäischen Union angenommen und Österreich hat zugestimmt. Eine Zustimmung des Europäischen Parlaments wird im Frühjahr dieses Jahres erwartet.
Die Lohntransparenzrichtlinie ist ein wichtiges und notwendiges Instrument, um diskriminierende Entgeltdifferenzen zwischen Frauen und Männern zu bekämpfen. So sieht sie auch einen Anspruch auf Schadenersatz vor, wenn das Recht im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts verletzt wird. Es sollen wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorgesehen werden. Die Entschädigung darf dabei nicht durch die Festsetzung einer Obergrenze eingeschränkt werden.
Die neuen Bestimmungen und Maßnahmen der Richtlinie, die innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten in das österreichische Gleichbehandlungsrecht umzusetzen sind, stellen eine deutliche Verbesserung der Rechtssituation dar und können dazu beitragen, die Einkommensschere zu schließen und den in Österreich besonders hartnäckigen Gender-Pay-Gap – zumindest auf betrieblicher Ebene – wirksam und nachhaltig zu bekämpfen.