Die Strategie zur Gleichstellung der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist vielversprechend. Schon in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit sollen verbindliche Maßnahmen zu Lohntransparenz vorgeschlagen werden. In weiterer Folge sind unter anderem Initiativen für Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und Maßnahmen zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt vorgesehen. Das sind positive Entwicklungen. Um Gleichstellung voranzutreiben, sind jedoch noch weitere gesetzliche und gesellschaftliche Veränderungen notwendig.
Annähernd paritätische Besetzung der EU-Kommission
Frauen waren in den europäischen Institutionen, insbesondere im Exekutivorgan – der EU-Kommission – seit der Gründung der EU äußerst schlecht vertreten. Seit 1958 waren von den 183 KommissarInnen weniger als 20 Prozent weiblich. Hier hat sich nun viel geändert.
Von der Leyen ist nicht nur die erste weibliche Präsidentin der EU-Kommission in der Geschichte der Europäischen Union (EU), die Kommission selbst wie auch deren Kabinette sind annähernd ausgewogen mit Frauen und Männern besetzt. Im Vorfeld hatte von der Leyen schon angekündigt, dass sie nicht davor zurückschrecken würde, neue Personenvorschläge einzufordern, wenn die Mitgliedstaaten nicht ausreichend viele Kommissarinnen nominieren würden.
„A Union of equality“
Von der Leyen hat – noch bevor das Arbeitsprogramm der neuen Kommission abgestimmt und veröffentlicht wird – politische Prioritäten im Bereich der Gleichstellung gesetzt: Verbindliche Maßnahmen für Lohntransparenz sollen geschaffen werden, gegen geschlechtsspezifische Gewalt muss mehr getan werden, und der Kampf gegen Diskriminierung ist fortzusetzen. Ihre politischen Vorstellungen hat sie nun nochmals in den sogenannten „Mission Letters“ an ihre KommissarInnen kommuniziert.
Im Mission Letter an die Kommissarin für Gleichstellung, Helena Dalli, hat von der Leyen zudem programmatisch hervorgehoben, dass die EU ihre Stärke und Einheit aus Diversität beziehe. Das europäische „commitment to inclusion and equality in all of its senses, irrespective of sex, racial or ethnic origin, age, disability, sexual orientation or religious belief“ sei auch in Zukunft von grundlegender politischer Bedeutung. Eine Bedingung für Inklusion und Gleichheit ist ein Leben frei von Gewalt. Hier sollen legislative Akzente gesetzt werden.
Gleichstellung ist auch der Kampf gegen männliche Gewalt
Auf dem Gebiet der EU werden jede Woche um die 50 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet, im europäischen Durchschnitt hat mindestens eine von fünf Frauen körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Etwa jede zehnte Frau wurde noch vor ihrem 15. Lebensjahr Opfer sexueller Übergriffe durch einen Erwachsenen.
Die neue EU-Kommission hat männlicher Gewalt gegen Frauen wie auch gegen Kinder, Männer, Transgender- und intergeschlechtliche Personen den Kampf angesagt. Helena Dalli hat angekündigt, darauf hinwirken zu wollen, dass alle Mitgliedstaaten den internationalen Gewaltschutzvertrag „Istanbul-Konvention“ ratifizieren und umsetzen. Sollte dieses Vorhaben aufgrund einer Blockade im Rat scheitern, so heißt es im „Mission Letter“, sollen Opferrechte im Europarecht verankert und Gewalthandlungen gegen Frauen als Verbrechen im Sinne der EU-Verträge geächtet werden.
Neue europäische Strategie zu Gleichstellung: Arbeitswelt und Lohntransparenz
Es braucht eine neue „European Gender Strategy“, so lautet ein konkreter Auftrag von der Leyens an Kommissarin Dalli. Um die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen abzubauen, ist der Fokus insbesondere auf die Arbeitswelt zu legen, und hier sieht von der Leyen die Verankerung von Lohntransparenz als zentrale Maßnahme, um gegen die geschlechtsspezifischen Lohngefälle in den europäischen Mitgliedstaaten vorzugehen.
Damit knüpft sie an bestehende Initiativen an. Im Jahr 2017 hat die EU-Kommission hier bereits wichtige Impulse gesetzt: Im Aktionsplan 2017–2019 zur Bekämpfung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles wurden wichtige Maßnahmen angesprochen, wie zum Beispiel der Anspruch von ArbeitnehmerInnen auf Auskunft über Löhne und Gehälter, die regelmäßige Berichterstattung der ArbeitgeberInnen und die Präzisierung des Begriffs der gleichwertigen Arbeit. Jetzt ist es allerdings an der Zeit, Maßnahmen zur Lohntransparenz endlich verbindlich zu machen.
Dies könnte etwa in einer eigenen „Gender Pay Transparency“-Richtlinie, wie vom EGB gefordert, umgesetzt werden. Eine rechtliche Lohntransparenzvorgabe kann gesellschaftliches Bewusstsein und die Datengrundlagen schaffen, die bislang in Verfahren wegen Lohndiskriminierung oft fehlen.
Um Lohndiskriminierung strukturell abzubauen, wäre es darüber hinaus notwendig, eine solche Lohntransparenzvorgabe mit konkreten Maßnahmenplänen zum verbindlichen Abbau dieser Benachteiligungen zu verbinden. Dies hat die Arbeiterkammer immer wieder gefordert, das Frauenvolksbegehren hat diesen Vorschlag aufgegriffen und in seinen Forderungskatalog aufgenommen.
Umsetzung der „Work-Life-Balance-Richtlinie“
Kommissarin Dalli soll sich in den nächsten fünf Jahren auch dem Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie widmen: Hier ist sicherzustellen, dass die sogenannte „Work-Life-Balance-Richtlinie“ vollständig umgesetzt wird. Die Richtlinie wurde im Sommer 2019 beschlossen und ist nun innerhalb von drei Jahren in den Mitgliedstaaten umzusetzen. Sie sieht bestimmte Mindeststandards für erwerbstätige Mütter und Väter vor. Ihr vorrangiges Ziel: Durch einen verbesserten Rechtsrahmen sollen mehr Väter für die Kinderbetreuung gewonnen und die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Arbeitswelt gefördert werden.
Viele dieser neu geschaffenen Rechte sind aber leider viel zu schwach ausgestalten, um die verfolgten Ziele zu erreichen. So sieht die Richtlinie eine Vaterzeit von nur 10 Tagen vor. Zudem fehlen starke Impulse zur staatlichen Bereitstellung von ausreichend qualitätsvollen sowie leistbaren Kinderbetreuungsplätzen (wie sie die Barcelona-Ziele des Europäischen Rates vorsehen) und Pflegeinfrastruktur, die wichtige Grundvoraussetzungen für die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern sind.
Unabhängig vom Umsetzungsbedarf dieser Richtlinie gibt es beim Thema Vereinbarkeit noch allerhand zu tun. Denn auch in Österreich ist man von einer tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter weit entfernt: So ist beispielsweise die Beteiligung der Väter an der Kinderbetreuung noch immer viel zu gering. Nur 3 Prozent der Väter in Partnerschaften gehen in Österreich länger als drei Monate in Karenz, das zeigt das aktuelle AK-Wiedereinstiegsmonitoring.
Es sind daher noch viel mehr Anstrengungen zu unternehmen, um diese Situation zu verbessern. Neben dem weiteren Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen braucht es daher intensive Bemühungen in Richtung partnerschaftlicher Teilung der Kinderbetreuung. Aber auch Arbeitgeber sind verstärkt in die Pflicht zu nehmen: Eine umfassende Sensibilisierung der Unternehmen ist erforderlich, damit Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer gelebt werden kann.
Vertiefung des Diskriminierungsschutzes
Von der Leyen betont die Notwendigkeit, gegen Diskriminierung – „wherever it exists“ – etwa auch mit „new anti-discrimination legislation“ vorzugehen. Die von ihr skizzierte Gleichstellungsstrategie befasst sich mit Erwerbsarbeit: „Who we are, what we believe in and how we look should not dictate our chances of getting a job, progressing in our careers, being paid the same as others for the same work or having our rights protected.“ Zudem braucht es hier sicherlich begleitend ein gezieltes Monitoring zur Förderung von Gleichbehandlung.
Außerdem wäre eine Ausdehnung des Schutzes vor Diskriminierung auf alle wichtigen Bereiche des Lebens („Levelling up“) längst überfällig. Benachteiligungen aus Gründen der sexuellen Orientierung, des Alters, der Religion oder Weltanschauung etwa im Bereich Wohnen oder Gesundheit darf nicht länger erlaubt sein.
Diskriminierung wirksam zu bekämpfen, setzt weitere Initiativen wie etwa Sensibilisierungskampagnen oder Fördertöpfe, die neue und niedrigschwellige Projekte in diesem Bereich unbürokratisch finanzieren, voraus.
Neue Herausforderungen: digitale Diskriminierung
Durch Plattformökonomien und Digitalisierung von Verwaltung, Leistungsbeurteilung und Entscheidungsfindungen entstehen neue Formen der datenbasierten und algorithmischen Diskriminierung, die erst in den letzten Monaten überhaupt einmal in den Blick gerückt sind.
Wie man mit diesen umgeht und wie sie (gleichbehandlungs)rechtlich erfasst werden können, sind Herausforderungen, denen sich die EU und ihre Mitgliedstaaten stellen werden müssen.